Rettungswissenschaft ist eine neue WissenÂschaftsÂdisziÂplin, deren AnalyseÂgegenÂstand die Rettung und NotfallÂversorgung ist. Ausgehend von der RettungsÂwissenÂschaft als angeÂwandte Handlungs-, Berufs- und RefleÂxionsÂwissenÂschaft entsteht ein Modell der ForÂschungsÂfelder und mögÂlicher ForÂschungsÂgegenÂstände innerÂhalb der RetÂtung und NotfallÂversorÂgung, die proÂfesÂsioÂnelles Handeln der Akteure interÂsubÂjekÂtiv nachÂvollÂziehÂbar und fachÂwissenÂschaftÂlich begründÂbar machen. Die HerausÂgeber Thomas Prescher, Christian Bauer, Sebastian Koch, Thomas Hofmann und Rolf Dubb geben im Interview Einblicke in ihr neues Buch zu dieser Thematik.
Prescher/Bauer/Koch/Hofmann/Dubb (Hrsg.)
Rettungswissenschaft
Grundlagen, Theorien und Perspektiven
Ca. 350 Seiten, ca. 30 Abb., ca. 30 Tab. Kartoniert. Ca. € 49,–
ISBN 978-3-17-040840-1
Die Rettungswissenschaft ist eine noch junge Disziplin. Was genau verbirgt sich hinter dieser?
Christian Bauer: Wir stellen im SammelÂband „RettungsÂwissenÂschaft“ einen ersten EntÂwurf für ein Modell der RettungsÂwissenÂschaft zur DisÂkusÂsion, in dessen MittelÂpunkt die beiden PhänoÂmene „Retten“ und „NotfallÂversorgung“ stehen. „Retten“ und „Notfallversorgung“ bilden in unserem Modell den zenÂtralen BezugsÂpunkt für alle rettungsÂwissenÂschaftÂlichen FrageÂstellunÂgen und ForÂschungsÂgegenÂstände. Sie dienen sowohl der FokusÂsieÂrung des ErÂkenntÂnisÂinteÂresses als auch der AbÂgrenÂzung der Disziplin. Das ErkenntÂnisÂinteÂresse der RetÂtungsÂwissenÂschaft umfasst dabei alle FrageÂstelÂlunÂgen und ForÂschungsÂgegenÂstände im Kontext dieser beiden PhänoÂmene, wobei zu deren BeÂhandÂlung die AnÂsätze und ErkenntÂnisse einer VielÂzahl andeÂrer DisÂzipliÂnen und deren jeweiÂlige PerÂspekÂtiven im Sinne von BezugsÂwissenÂschaften inteÂgriert werden. Neben der Medizin zählen dazu insÂbeÂsonÂdere DisÂziÂpliÂnen aus dem Bereich der Sozial- und WirtÂschaftsÂwissenÂschaften, der IngeÂnieurÂwissenÂschafÂten sowie der Geistes- und RechtsÂwissenÂschaften. Rettungswissenschaft ist somit sowohl methoÂdisch als auch inhaltÂlich stark interÂdisziÂplinär geprägt.
Rettungswissenschaft ist in unserem Entwurf zudem klar anwenÂdungsÂorienÂtiert. Das bedeutet, das wissenÂschaftÂliche ErkenntÂnisÂinteÂresse ist stark mit der ZielÂsetÂzung von VerÂwertÂbarÂkeit im Sinne von HandÂlungsÂorienÂtieÂrung und SystemÂgestalÂtung verbunden. Ziel der RettungsÂwissenÂschaft ist es, prakÂtisches Handeln im Kontext von „Retten“ und „NotfallÂversorÂgung“ wissenÂschaftÂlich zu unterÂsuchen, zu reflekÂtieren und zu bewerÂten und die gewonÂneÂnen ErkenntÂnisse in entÂspreÂchende Handlungs- und GestalÂtungsÂempfehÂlungen zu überÂführen – für die jeweiÂligen BerufsÂfelder, aber auch für das System „Retten“ und „NotÂfallÂversorÂgung“ über alle beteiÂligten AkÂteure und InstiÂtutioÂnen hinweg.
Mit dem Rettungswesen assoÂziÂiert man eine äußerst prakÂtische TätigÂkeit, die ein rasches Abrufen von Wissen, eine gute ReakÂtionsÂfähigÂkeit und starke Nerven der im RettungsÂdienst tätigen vorÂausÂsetzt. Wie können wissenÂschaftÂliche Methoden das RetÂtungswesen unterstützen?
Rolf Dubb: Wissenschaftliche MethÂoden wie zum BeiÂspiel bestimmÂte VerÂfahren oder die InforÂmationsÂweiterÂgabe zwischen den unterÂschiedÂlichen ProfesÂsionen und VerÂsorgungsÂeinrichÂtungen können helfen, die Prozesse im Sinne einer QualiÂtätsÂsteiÂgerung der VersorÂgung kriÂtisch erÂkrankÂter oder verÂletzÂter PatienÂten zu unterÂsuchen und zu optiÂmieren. Beispielhaft sei hier die ÃœberÂgabe von NotÂfallÂsaniÂtätern zum Notarzt und dessen WeiterÂgabe der bisher durchÂgeführÂten MaßÂnahmen an die weiterÂbehanÂdelnde Klinik genannt. Durch den EinÂsatz von sogeÂnannÂten „struktuÂrierten ÃœberÂgaben“ wird eine mögÂlichst hohe ReaÂlitätsÂtreue erreicht. Die WissenÂschaft kann hier dazu beiÂtragen, dass geeigÂnete ÃœberÂgabeÂabläufe entÂwicÂkelt und etabliert und zwischen den Sektoren verÂeinÂheitÂlicht werden.
Wie genau ist die Rettungswissenschaft an den HochÂschulen verorÂtet? Wird angeÂstrebt, diese als selbstÂstänÂdige Disziplin zu etablieren?
Sebastian Koch: Natürlich lassen sich in den einÂschläÂgiÂgen pädaÂgogiÂschen, betriebsÂwirtÂschaftÂlichen sowie inÂgenieurÂtechniÂschen StudienÂgängen im FachÂbereich des RetÂtungsÂdienstes allÂgemeinÂwissenÂschaftÂliche Module sowie gesundÂheits- und bezugsÂwissenÂschaftÂliche Module wiederÂfinden. Zum aktuÂellen ZeitÂpunkt muss man aber leider festÂstellen, dass eine eigenÂstänÂdige RettungsÂwissenÂschaft als selbstÂstänÂdige anwenÂdungs- und handÂlungsÂorienÂtierte DisziÂplin an den HochÂschulen ledigÂlich rudiÂmenÂtär verorÂtet ist.
Angesichts der in der VersorÂgungsÂforÂschung aufÂgezeigÂten ProÂbleme einer unzuÂreiÂchenÂden RezepÂtion und UmÂsetÂzung wissenÂschaftÂlicher ErkenntÂnisse und der kaum mehr zu überÂbliÂckenÂden Fülle mediÂziniÂscher InforÂmatioÂnen in der NotÂfallÂverÂsorÂgung, stellt die anwenÂdungs- und handÂlungsÂorienÂtierte RettungsÂwissenÂschaft eine dringend notwenÂdige und zeitÂgemäße wissenÂschaftÂliche DisziÂplin eines kritiÂschen, effiÂzienÂten und proÂfessioÂnellen Berufs-, VerÂsorÂgungs- und BilÂdungsÂmanageÂments dar.
Wir sind daher nicht nur bestrebt, mit dem vorÂliegenÂden SammelÂband, eine (inter)proÂfessioÂnelle DisziÂplin RettungsÂwissenÂschaft an den Hoch- und BerufsÂschulen sowie EinÂrichÂtungen der Fort- und WeiterÂbilÂdung zu verorÂten, sondern darüÂber hinaus im Sinne einer proÂfessioÂnellen RetÂtung und NotÂfallÂversorÂgung, anwenÂdungs- und handÂlungsÂorienÂtiere ErkenntÂnisse einer (inter)proÂfessioÂnellen DisziÂplin RettungsÂwissenÂschaft nach aktuÂellen Stand von WissenÂschaft und Technik in der tägÂliÂchen Praxis im RettungsÂdienst zu etablieren.
Das Werk „Rettungswissenschaft“ ist die erste BuchÂveröffentÂlichung, die die neue DisziÂplin beÂschreibt und dieser eine PlattÂform bietet, um einen wissenÂschaftÂlichen Diskurs zu eröffnen. Was sind die wesentÂlichen Ziele des Werkes?
Thomas Prescher: Unser SammelÂband „RettungsÂwissenÂschaft“ präsenÂtiert eine ZusamÂmenÂstelÂlung von BeiÂträgen rettungsÂwissenÂschaftÂliÂchen Denkens und Forschens für eine proÂfesÂsioÂnelle Rettung und NotÂfallÂversorÂgung. Hierzu geben die KolÂlegen und KolÂleginÂnen in ihren BeiÂträÂgen grundÂlegende EinÂblicke in ihre rettungsÂwissenÂschaftÂlichen ForÂschungsÂgegenÂstände mit dazuÂgehöÂrigen Thesen, MethoÂden und DisÂkussioÂnen, um die AusÂrichÂtung einer rettungsÂwissenÂschaftÂlichen ForÂschung in unterÂschiedÂlichen ForÂschungsÂfeldern der DisziÂplin, aber vor allem mit der theoÂretiÂschen und prakÂtiÂschen Arbeit im KonÂtext von Rettung und NotÂfallÂversorÂgung zu verbinden.
Unser Ziel ist es dabei, Ansätze der RettungsÂwissenÂschaft und deren BedeuÂtung für eine proÂfessioÂnelle Rettung und NotÂfallÂverÂsorÂgung darÂzuÂstellen und in einem ersten Modell der RettungsÂwissenÂschaft mit ForÂschungsÂfelÂdern und exemÂplariÂschen ForÂschungsÂgegenÂständen zu bündeln. Wir wollen damit die GrundÂlage legen, um zuÂkünfÂtige systeÂmatiÂsche DisÂkussioÂnen und ErÂkenntÂnisse für eine ProÂfessioÂnaliÂsieÂrung und die RettungsÂwissenÂschaft anzuregen und zu führen.
Die Deutsche Gesellschaft für RettungsÂwissenÂschaften (DGRe) ist eine ebenso noch junge GesellÂschaft. Was sind deren Ziele? Kann das Buch diese Ziele unterstützen?
Thomas Hofmann: Die DGRe verfolgt die wissenÂschaftÂliche EinÂbetÂtung und RefleÂxion der TätigÂkeit im RettungsÂdienst. Daher haben wir uns der EtaÂblieÂrung der RettungsÂwissenÂschaft(en) in der Praxis und an den HochÂschulen verÂschrieÂben. Der Sammelband dient dazu das VerÂständÂnis der RetÂtungsÂwissenÂschaft zu fundieren und zu verÂbreiÂten. Es stellt damit die Basis für weiÂtere DefiÂnitioÂnen, DisÂkussioÂnen, TheoÂrien, ForÂschungsÂvorÂhaben und somit weitere ErkenntÂnisse dar. Als Buch findet der SammelÂband seine Wege in HochÂschulÂbiblioÂtheken, BerufsÂfachÂschulen und RettungsÂwachen und leistet so der Idee einer zenÂtraÂlen RettungsÂwissenÂschaft Vorschub. Daher unterÂstützt dieser SammelÂband ganz klar die Ziele der DGRe und wir freuen uns, dass wir unsere Ideen und VorÂstelÂlunÂgen mit einbringen konnten.
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