Digitalisierung verstehen, Versorgungskontinuität sichern

Prof. Dr. Ursula Hübner“Prof. Dr. Elske AmmenwerthProf. Dr. Björn Sellemann

Die Digitalisierung in der pflegerischen Versorgung prägt den Arbeitsalltag von Pflegefachpersonen bereits jetzt in vielerlei Hinsicht. Um Digitalisierung für sich selbst sinnvoll nutzen zu können und um Digitalisierung in der eigenen Einrichtung vorantreiben zu können, sind daher spezifische Kenntnisse nötig. Das Buch beleuchtet anhand eines durchgehenden Fallbeispiels digitale Konzepte, Methoden und Anwendungen – ohne, dass dafür spezielle Vorkenntnisse im Bereich der Digitalisierung und Informatik notwendig sind. Die Herausgeber im Interview.

Umschlagabbildung

Ca. 180 Seiten, 36 Abb., 22 Tab. Kart. Ca. € 32,–
ISBN 978-3-17-038844-4

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Informationsverarbeitung und Pflege – auf den ersten Blick scheinen sich Theorie und Praxis hier gegenüberzustehen. Inwiefern sind diese Themen miteinander verbunden?

Der pflegerische Beruf ist spannend und immer nahe am Patienten. Pflegefachpersonen stellen die Schaltstelle der Informationsverarbeitung dar, sei es in der ambulanten Pflege, der stationären Pflege, der Palliativpflege oder in der Rehabilitation. Pflegekräfte benötigen ständig Informationen über den Patienten, erfassen diese Informationen, führen Informationen aus vielen Quellen zusammen und verbinden dies mit Wissen aus der aktuellen Pflegeforschung. Informationsverarbeitung ist also ein Kerngeschäft für Pflegefachpersonen!

Das Thema digitale Informationsverarbeitung könnte auf den ein oder anderen, der z. B. schon jahrzehntelang papierbasiert arbeitet, zunächst abschreckend wirken. Was kann Ihrer Ansicht nach noch getan werden, damit sich mehr Pflegende diesem Thema weiter öffnen?

Wir allen verwenden im Alltag, ohne viel nachzudenken, digitale Anwendungen. Dazu gehören die Navigationsunterstützung beim Autofahren und Wandern, das Online Banking, die sozialen Medien, online-gestützte Weiterbildungen oder auch einfach Wikipedia. Unser Ziel ist es, dass die Informationsverarbeitung im pflegerischen Bereich ähnlich effizient und nützlich organisiert ist. Digitalisierung soll Pflegefachpersonen von unnötigen Tätigkeiten entlasten, Prozesse effizienter gestalten und letztendlich dem Patienten nützen. Und dafür ist es notwendig, dass Digitalisierung gemeinsam mit Pflegefachpersonen gestaltet wird – daher dieses einführende Lehrbuch.

Ist es auch ein Ziel von Ihnen, mögliche Ängste und Vorbehalte der Pflegenden zu nehmen?

Zum Glück hat die Digitalisierung im privaten Bereich in den letzten Jahren durch Smartphones, Tablets und Apps so deutlich zugenommen, dass mittlerweile fast alle Pflegenden schon einmal zumindest privat ein digitales Werkzeug nutzen, vermutlich täglich und noch häufiger. Auch in dem beruflichen Umfeld gab es so viele Veränderungen in Hinblick auf Digitalisierung, dass die Ängste, die es noch vor mehr als 10 Jahren gab, in dieser Form nicht mehr existieren. Aber ja, es gibt sie noch bzw. es gibt Vorbehalte und eine falsche Einschätzung darüber, was man wissen muss, was man wissen sollte und was man nicht wissen muss. Uns ist es wichtig aufzuzeigen, dass Pflegekräfte selbstwirksam handeln können, d. h., dass sie ihre digitale Umgebung maßgeblich prägen und mitgestalten können. Sie sind nicht diejenigen bzw. sollten es nicht sein, die am Ende der Kette nur die Anwendung bedienen. Unser Buch soll Mut machen, sich hier zu engagieren.

Warum ist es vor allem in der Pflege so wichtig, dass digital gearbeitet wird?

Pflegekräfte wirken häufig als Informationsdrehscheibe. Sie haben engen Kontakt mit den Patienten und können darüber viel beobachten. Sie stehen aber auch mit den anderen Berufen, den Ärzten, den Physiotherapeuten, den Apothekern und Diätassistenten u. v. a. in Kontakt. Häufig sind sie es, die dokumentieren – und dies nicht allein für den Bereich Pflege. Somit ist die digitale Dokumentation ein zentrales Element des Arbeitsalltags. Die digitale Akte ist besser suchbar, navigierbar und visualisierbar. Das kann eine Verbesserung der Arbeitsabläufe mit sich bringen. Ebenso können viele Sachverhalte durch eine kluge Art der Dokumentation kommunizierbar gemacht werden und Kollegen und anderen Berufen unmittelbar und unabhängig von Ort und Zeit zur Verfügung gestellt werden. Hier liegen viele Chancen. Aber sie müssen richtig genutzt werden. Hierzu möchte das Buch einen Beitrag liefern.

Inwiefern können die pflegebedürftigen Personen von digitalen Prozessen profitieren?

Pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen können immer dann profitieren, wenn auch die Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe gut mit den digitalen Werkzeugen umgehen können. Eine App, die z. B. als Digitale Gesundheitsanwendung (DIGA) in Deutschland verschrieben werden kann, muss auch motiviert, erklärt und begleitet werden. Beispielsweise eine Diabetes-App, die eine Patientin nutzt, sollte auch den Pflegekräften bekannt sein und sie sollten ihre Patientin darüber beraten können. Jetzt können zwar nicht alle Pflegekräfte alle Apps kennen, aber sie sollten die Prinzipien kennen und sollten wissen, was man grundsätzlich damit tun und erreichen kann. Auch hier versucht das Buch, einen Überblick zu geben.

In vielen Bereichen sind digitale Arbeitsprozesse hierzulande noch nicht so stark ausgeprägt, wie sich dies manch einer wünschen würde. Sehen Sie hier auch für die Pflege Nachholbedarf?

Auf- und Nachholbedarf gibt es immer, es sei denn, man ist in allen Bereichen der oder die Beste. Die Digitalisierung ist in den D-A-CH-Ländern noch nicht so weit vorangeschritten wie beispielsweise in den skandinavischen Ländern. Aber die deutschsprachigen Länder holen auf, das ist ein ganz natürlicher Prozess. Es gibt auch die Chance des „second movers“, also desjenigen, der nicht alle Anfangsfehler selbst macht. Beispielsweise kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie viel IT zur Verfügung steht, sondern, dass diese IT gebrauchstauglich ist und die Arbeitsprozesse gut unterstützt. Genauso braucht es Personen, die die digitalen Anwendungen verstehen, anleiten und in den Arbeitsalltag einbauen können. Es gibt also immer etwas zu lernen und das lebenslang. Deshalb richtet sich das Buch nicht allein an Studierende in den ersten Semestern, sondern auch an alle Personen, die sich weiterbilden wollen.

Wenn von Digitalisierung in der Pflege die Rede ist, denken viele gleich an Künstliche Intelligenz und Robotik. Spielen diese Dinge im Pflegealltag tatsächlich bereits eine Rolle oder ist das alles noch Zukunftsmusik?

Das ist richtig und falsch zugleich. Digitalisierung geht mit unsichtbaren Dingen, nämlich der Verbreitung und Vernetzung von Daten, Informationen und Wissen, einher. Diese haben eine gewaltige Wirkung auf das private und berufliche Leben sowie auf die Gesellschaft als Ganzes. Manchmal kommt diese Wirkung jedoch verzögert oder man ordnet sie nicht unmittelbar der Digitalisierung zu. Digitalisierung ist also keine Zukunftsmusik – auch nicht in der Pflege.

Professionalisierung in der Pflege ist nicht ohne die unmittelbare Bereitstellung von Wissen möglich. Manche Personen sagen sogar, es braucht entscheidungsunterstützende Systeme, damit durch eine geeignete Reflexion der Inhalte dieser Systeme Pflege professioneller wird. Solche entscheidungsunterstützenden Systeme sind nicht ohne Künstliche Intelligenz denkbar, eine dergestalt, die nachvollziehbar und vertrauenswürdig ist.

Die Rolle von Robotik ist zweifach. Hier sieht man zum einen die Digitalisierung. Im Gegensatz zu Informationen sind Roboter zum Anfassen und der Zugang damit ist unmittelbar. Zum anderen liefern Roboter eine Versprechung, die Pflegekräfte sehr berührt, nämlich die Entlastung von Arbeit in einer Situation des akuten Fachkräftemangels. Gleichzeitig sind mit dieser Hoffnung Ängste verbunden, dass Roboter die Tätigkeiten von Pflegekräften ersetzen könnten. Diese Befürchtung geht einher mit einer Vorstellung, dass die klassische Beziehungsarbeit von Pflegekräften durch eine Maschine ersetzt werden soll. Roboter können Pflegekräften als Werkzeuge dienen und dieses Verständnis versucht dieses Buch zu vermitteln. Das heißt, Künstliche Intelligenz und Robotik wird Pflege nicht überflüssig machen. Dazu muss man aber diese Themen besser verstehen.

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