Anlässlich des Erscheinens des Bandes Werte machen Schule. Lernen für eine offene Gesellschaft von Herrn Professor Wilfried Schubarth führten wir mit dem Autor das folgende schriftliche Interview:
Lieber Herr Professor Schubarth, Sie sind Mitherausgeber der Reihe „Brennpunkt Schule“, welche all die Facetten von Schule aufgreift, die die Institution Schule jenseits engerer Unterrichtsgestaltung prägen, häufig sogar belasten, aber auch Aspekte beleuchtet, die Handlungschancen aufzeigen. Wie sind Sie und Ihre Mitautoren zu dem neuen Thema Werteerziehung gekommen?
Als mich meine Lehramtsstudierenden fragten, ob sie in der Schule überhaupt zu Werten erziehen sollten und nicht wussten, wie das geschieht, ist mir klar geworden, dass zu Werten und Wertebildung ein großer Aufklärungs- und Handlungsbedarf besteht. Hinzu kam, dass sich durch die Flüchtlingsdebatte eine Renaissance der Werte vollzieht und plötzlich alle über Werte reden und einige deren angeblichen Verlust befürchten. Da ist der Beitrag der Schule besonders gefragt.
Kann man Werte lernen, Herr Schubarth
Ja, natürlich kann man Werte erlernen. Das geschieht ganz beiläufig, ob jemand will oder nicht, und zwar durch jegliche Interaktion mit der Umwelt, angefangen in der Familie, über Kitas, Schule, den Peers und die Medien. Wertelernen ist Teil der gesamten Persönlichkeitsentwicklung und geht bis ins hohe Alter. Ihre Frage meint jedoch noch etwas anderes: Ist eine bewusste Werteerziehung von prosozialen Werten überhaupt möglich? Auch hier ist meine Antwort „ja“. Dafür bedarf es jedoch pädagogischer Angebote, die eine Reflexion von Werten und eine Förderung von Urteilskompetenz ermöglichen. Oder anders gesagt: Wertevermittlung erfolgt nicht nach dem Modell des „Nürnberger Trichters“, sondern vor allem durch die bewusste Auseinandersetzung mit Werten, weshalb ich lieber von Wertebildung spreche.
Von welchen Werten ist in dem Buch konkret die Rede?
Generell kann man zwischen persönlichen Werten wie Familie oder Freunde, moralischen Werten wie Ehrlichkeit oder Vertrauen und den demokratischen Grundwerten unterscheiden. Im Buch geht es vor allem um Werte, die aus dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule resultieren, z. B. Menschenwürde, Gleichberechtigung, Toleranz, Solidarität, Gerechtigkeit, Antidiskriminierung usw.
Heißt Wertevermittlung heute nicht auch, dass Werte hinterfragt werden müssen?
Sie sprechen damit den Wertewandel in der Gesellschaft an. So wurden traditionelle Werte wie Pflicht und Gehorsam schwächer und moderne Werte wie Autonomie und Selbstverwirklichung wichtiger. Ähnliches gilt für politische Werte: Hier können wir gerade eine Polarisierung zwischen einerseits kulturell offenen Wertvorstellungen und andererseits national geschlossenen Wertvorstellungen beobachten, dem entgegengewirkt werden sollte.
Bei all der Diskussion heutzutage: Ist die Schule der Ort, an dem die Werte vermittelt werden sollen oder sollte Schule im Sinne von Wertepluralismus neutral bleiben?
Die Auffassung von „Werteneutralität der Schule“ begegnet mir immer wieder. Zur Klarstellung: Der Bildungs- und Erziehungauftrag ist eindeutig ein Auftrag zur Werteerziehung. In allen Landesverfassungen und Schulgesetzen ist dieser Auftrag festgeschrieben. Viele Schulen beziehen sich in ihren Leitbildern oder Programmen auch darauf. Wertepluralismus bedeutet zwar, dass unterschiedliche Wertesysteme gleichwertig sind. Das heißt aber nicht, dass Grundwerte wie Menschenwürde, Gewaltfreiheit oder Gleichberechtigung zur Disposition stünden, im Gegenteil. Wertekonflikte sind dabei immer auch Lernchancen, das demokratische Wertefundament zu festigen.
Denken Sie, dass viele Schulen mit der Aufgabe der Wertevermittlung und -erziehung überfordert sind?
Da mag vielerorts so sein. Dennoch kann sich die Schule ihrer Verantwortung nicht entziehen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Schulen durch eine bessere Ausstattung sowie durch Fortbildungen in die Lage versetzt werden, ihren Auftrag zur Werteerziehung besser gerecht zu werden. Mittlerweile gibt es eine ganze Palette von guten Ansätzen, wie Wertebildung gefördert werden kann. Auch unser Buch enthält vieler solcher Ansätze.
Benötigen Schulen Fächer wie beispielsweise Ethik, oder vermittelt die Schule nicht per se Werte?
Beide Ansätze sind wichtig: Schule ist ein sozialer Erfahrungsraum, in dem Werte gelebt und erfahren werden. Das geschieht sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unterrichts. Und die Lehrkraft ist immer auch eine Art „Werterepräsentantin“. Spezielle „Wertefächer“ können vor allem die Diskursfähigkeit zu Werten fördern oder soziale Projekte wie Service Learning anschieben. Solche Projekte haben meist eine nachhaltige Wirkung.
Zum Abschluss die Frage nach einem „Ranking“: Herr Schubarth, wie würde Ihr „Werte-Ranking“ aussehen?
Als Erziehungswissenschaftler sind mir Mündigkeit und Wertschätzung des Anderes besonders wichtig. Noch wichtiger ist jedoch, über Werte mit anderen ins Gespräch zu kommen und zu klären, was das in der Praxis konkret bedeutet.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Zeit.