Wie gestaltete sich der Weg von der Monarchie zur Republik im deutschen Südwesten? Wie reagierten die Zeitgenossen auf diesen politischen Wandel und mit welchen Herausforderungen hatten sie dabei zu kämpfen? – Diesen und ähnlichen Fragen gehen Prof. Dr. Sabine Holtz (Universität Stuttgart) und Prof. Dr. Gerald Maier (Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg) in ihrem neuen Sammelband „Von der Monarchie zur Republik“ nach, der als 224. Band in der Reihe B: Forschung in den Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg erscheint. Im Interview geben die Herausgeber erste Einblicke in die Ergebnisse ihres Sammelbands zu diesem bewegten Abschnitt deutscher Politikgeschichte.
In ihrem Tagungsband stehen der Beginn der Weimarer Republik und die Auswirkungen des großen politischen Umbruchs besonders im Südwesten der Republik im Mittelpunkt. Sie beschreiben den Übergang von der Monarchie hin zur Republik als einen von vielen Zeitgenossen ungeliebten Umbruch. Wer waren diese Gegner der Demokratisierung? Was spricht 1919 gegen die Demokratie?
Im Tagungsband, der zugleich den Abschluss des gleichnamigen Projekts „Von der Monarchie zur Republik“ bildet, legten wir den Fokus auf die Darstellung der gewaltigen Transformationsprozesse in der Frühphase der Weimarer Republik. Den politischen Umbruch im deutschen Südwesten wertete die Forschung zumeist als „sanften Übergang“, aber auch hier gab es Versammlungen, Demonstrationen und revolutionäre Akte, die das Ende der Monarchie und den Demokratisierungsprozess begleiteten.
Viele Deutsche wünschten sich nach Kriegsende eine Änderung der politischen Verhältnisse, so auch hier im Südwesten. Vor allem Anhänger der MSPD und USP hatten sogar schon seit vielen Jahren die Demokratisierung des obrigkeitsstaatlichen Kaiserreiches gefordert.
Als Gegner der entstehenden parlamentarischen Demokratie müssen in erster Linie die Monarchen und national-konservativ eingestellte Bevölkerungsteile gesehen werden. Die Regenten von Baden, Württemberg und Hohenzollern versuchten lange, an ihrer Macht festzuhalten und ihre jeweilige Abdankung hinauszuzögern. Der König von Württemberg war sogar der letzte der Bundesfürsten, der schließlich am 30. November 1918 abdankte.
Zudem war die Weimarer Republik schon in ihrer Frühphase Angriffen von rechten und linken Kräften ausgesetzt. Parteipolitisch manifestierten sich diese Kräfte in der DNVP, der NSDAP, die bereits 1920 in München gegründet wurde, und der KPD. Auch das Militär signalisierte zu Anfang nicht gewillt zu sein, die sich ausbildende demokratische Ordnung im Reich zu respektieren oder mit der provisorischen Regierung zusammenzuarbeiten. Später wurde der Demokratie vom national-konservativen Lager die Schuld am verlorenen Krieg und den hohen Kriegsschulden gegeben. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten spalteten die Arbeitnehmerschaft und schürten zunehmend Ängste. Mit diesen Belastungen hatte die junge Demokratie von Anbeginn zu kämpfen.
Diese politische und gesellschaftliche Umbruchsphase wurde bis dato mehrheitlich auf der Ebene des Deutschen Reiches untersucht. Sie wenden sich nun gezielt dem deutschen Südwesten zu. Welche Demokratisierungsprozesse sind auf der Landesebene spürbar?
Der revolutionäre Funke aus Kiel, Berlin oder München sprang innerhalb weniger Tage nach Baden und Württemberg über. Dies zeigen die Ankunft von meuternden Soldaten aus Kiel in Ludwigsburg oder Stuttgart deutlich. Es kam zu Versammlungen und Demonstrationen, die zur Bildung von Arbeiterräten an verschiedenen Orten in Württemberg und Baden wie etwa in Stuttgart, Lahr, Offenburg, Karlsruhe oder Mannheim führten und auch reichsweite Geschehnisse wie das Ende des Krieges, die Abdankung des Kaisers und das (Mit-)Erleben der Aufstände im Zuge der Revolution wirkten sich unmittelbar in den deutschen Südwesten aus.
Vor dem Hintergrund der Gründung der Weimarer Republik und der Abdankung des Kaisers wurde auch die badische Republik proklamiert und der württembergische Volksstaat ausgebildet. In den Hohenzollerischen Landen, die im deutschen Südwesten eine Sonderstellung einnahmen, da sie zu Preußen gehörten, wurden nur sehr vereinzelt Stimmen zur Änderung der Verhältnisse laut. Hohenzollern verblieb auch nach 1918/19 bei Preußen und der Fürst in Sigmaringen blieb letztlich eine Art „Ersatzmonarch“, auch wenn dem Fürstenhaus alle Privilegien entzogen worden war.
Mit dem Rückzug der Monarchen war der Weg für die Volkssouveränität im deutschen Südwesten freigegeben. Die provisorischen Regierungen konnten in Baden und Württemberg damit beginnen, den Staat umzubauen, Wahlen vorzubereiten und Verfassungen auszuarbeiten. Im Januar 1919 machten erstmals alle über 20jährigen Bürgerinnen und Bürger Badens und Württembergs von ihrem passiven und aktiven Wahlrecht Gebrauch.
Spürbar und unmittelbar erlebt wurde vor Ort also ein Wandel in Politik und Gesellschaft: Beamte lösten ihren Eid zu den jeweiligen Monarchen und standen nun im Dienste der neu entstehenden republikanischen Staatsform, Frauen errangen das aktive und passive Wahlrecht, sie erhielten Zugang zu allen Fächern und akademischen Abschlüssen an den Universitäten, Einrichtungen wurden verstaatlicht (wie das königliche Hoftheater), Kriegsheimkehrer und Vertriebene mussten wiederaufgenommen und integriert werden.
Am Ende dieses politischen Transformationsprozesses waren Frauen und Männer in den politischen Prozess miteingebunden, wie es bis dato noch nicht geschehen war.
Mehrere Beiträge machen deutlich, dass diese Entwicklungen mit einigen Schwierigkeiten abliefen. Waren die Zeitgenossen mit ihren eigenen gesellschaftlichen Entwicklungen überfordert?
Die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen waren tiefgreifend: Sicherlich erlebten die Menschen das Kriegsende mit der Aufgabe der Integration der Kriegsheimkehrer, der Aufnahme von Vertriebenen, mit der Zuweisung der Kriegsschuld und auch mit den aus dem verlorenen Krieg resultierenden wirtschaftlichen Nöten als einschneidendes Ereignis. Es fehlte an Nahrung, Wohnungen und Arbeitsplätzen. Vor diesem Hintergrund vollzogen sich der Umbau des Staates und die Gründung der Demokratie.
Das Frauenwahlrecht (1918) und der steigende Zugang von Frauen zu Universitäten wirkten sich auf Politik und Gesellschaft aus. So gab es ab 1919 parlamentarische Vertreterinnen, wenn auch nur in kleiner Zahl, und Frauen erlangten einen größeren Zugang zu Bildungsstätten. Allerdings orientierte sich die Gesellschaft sehr schnell wieder an alten Rollenbildern und drängte Frauen bei der Rückkehr der Kriegsteilnehmer aus ihren gerade im Krieg erlangten beruflichen Positionen oder von ihren Studienplätzen zurück. Zudem taten sich akademische Lehrkörper und männliche Studierende in der Akzeptanz der Frauen schwer, da sie durch die zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Berufschancen fürchteten. Dies waren alles Gründe, warum das politische System die wirtschaftliche Krise nach 1929 nicht überstand.
Unbestritten ist es, dass die Frühphase der Weimarer Republik von außergewöhnlichen Belastungen begleitet wurde, die es auszuhalten galt. Man könnte sagen, statt Demokratie einzuüben, kämpfte sie von Anbeginn an – und das über Jahre auch erfolgreich – gegen Angriffe von rechts und links und verteidigte ihre Staatsform. Die Weimarer Republik hatte eine vorbildliche Verfassung und ein fortschrittliches Wahlrecht und im Südwesten war der Übergang zur Demokratie fast reibungslos und ohne Blutvergießen vollzogen worden. Dies ist als beachtliche Leistung zu werten.
Ihr Band stellt in mehreren Beiträgen Wege der digitalen und öffentlichkeitswirksamen Vermittlung von Quellen und Ergebnissen zum Thema Ihres Tagungsbandes vor. Was ist das Ziel dieser Projekte?
Ziel des Projekts „Von der Monarchie zur Republik“ war es, die gewaltigen politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Transformationsprozesse ab den letzten Kriegsmonaten 1918 bis ins Jahr 1923 durch die Digitalisierung unterschiedlicher Quellen des Landesarchivs Baden-Württemberg und deren wissenschaftliche Aufarbeitung zu veranschaulichen. Das bereitgestellte Material soll Anstöße zur weiteren wissenschaftlichen Erforschung der Umbruchphase und der Demokratiegeschichte in den Vorgängerstaaten des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg geben.
Die Einstellung der Digitalisate nicht nur in das Online-Findmittel des Landesarchivs, sondern auch in LEO-BW (Landeskundliches Informationsportal für Baden-Württemberg) bot die Möglichkeit, die digitalisierten Archivalien thematisch aufzubereiten und durch wissenschaftliche Begleittexte zusätzlich zu kontextualisieren.
Der große Nutzen einer Online-Quellensammlung besteht darin, dass Forschung orts- und zeitungebunden möglich ist. Des Weiteren können die Digitalisate der Quellensammlung in nationale Portale wie in die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) oder das Archivportal-D eingebunden werden. In beiden Angeboten kann das digitalisierte Material zudem mit dem Kulturgut zahlreicher anderer Einrichtungen verknüpft werden. Dies erleichtert die Recherchierbarkeit archivalischer Quellen und erhöht ihre Sichtbarkeit.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Mühe.
Das Interview führte schriftlich Charlotte Kempf.