Anlässlich des Erscheinens des Bandes Bilingualer Geschichtsunterricht von Dr. Michael Maset führten wir mit dem Autor das folgende schriftliche Interview:
Bilingualer Geschichtsunterricht ist gerade sehr in Mode, warum sollte man Geschichte mit einer Fremdsprache lernen. Dann versteht man ja weder etwas richtig von Geschichte, noch von Englisch könnte man sagen. Warum ist das nicht so?
Es kann durchaus so sein, muss es aber nicht zwangsläufig. Die Schüler/innen erhalten ja weiterhin ihren regulären Englischunterricht, insofern kann zum Teil oder weitgehend in englischer Sprache stattfindender Geschichtsunterricht für das Fach Englisch nur positiv sein. Für das Fach Geschichte stellt sich die Situation aber anders dar, da der bilinguale den deutschsprachigen Geschichtsunterricht in der Regel ersetzt und die zum Einsatz kommenden Unterrichtsarrangements bisher weitgehend von der Fremdsprachendidaktik vorgegeben werden. Aufgrund meiner langjährigen Beobachtungen dieser Unterrichtsform bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Qualität des historischen Lernens hierunter deutlich leidet. Deshalb habe ich mich entschlossen, ein Buch über bilingualen Geschichtsunterricht zu schreiben, das dieser problematischen Tendenz entgegenwirkt und die Notwendigkeit einer fachspezifischen Didaktik unterstreicht. Wenn der bilinguale Geschichtsunterricht wirklich zu Fremdverstehen und transkultureller Kompetenz führen soll, was bisher eine weitgehend unbewiesene und überzogene Forderung der Fremdsprachendidaktik Englisch darstellt, geschieht das nicht durch den Import von Texterschließungs- und Textverarbeitungsmethoden aus dem Englischunterricht, sondern durch einen Geschichtsunterricht, in dem Schüler/innen ihr historisches Denken weiterentwickeln können.
Wie finden eigentlich Schüler den bilingualen Geschichtsunterricht?
Die Einschätzungen sind hier sehr unterschiedlich. Leistungsstarke Schüler/innen, die diese Unterrichtsform bevorzugt anwählen und in ihr gut zurechtkommen, erhoffen sich Wettbewerbsvorteile durch vertiefte Englischkenntnisse, weshalb sie den Unterricht positiv einschätzen. Es gibt aber durchaus auch negative Einschätzungen und Schüler/innen, die das bilinguale Angebot verlassen. Häufig scheinen mir die Motivation für die Wahl des bilingualen Geschichtsunterrichts und die Vorteile, die Schüler/innen in ihm sehen, weniger mit ihrem Interesse an Geschichte zu tun zu haben.
Kann Ihr Buch Hilfestellungen dazu geben, wie „guter“, „gelingender“ bilingualer Geschichtsunterricht „gemacht“ wird?
Das hoffe ich doch sehr! Guter bilingualer Geschichtsunterricht zielt auf eine Lernprogression der Schüler/innen im Hinblick auf ihre konzeptuellen Verständnisse von Geschichte. Der Band bietet eine Vielzahl von fachspezifischen Modellierungshilfen und Übungsbeispielen für historische Lese-, Schreib- und Denkstrategien. Wenn Schüler/innen beispielsweise historisch lesen sollen, müssen die damit verbundenen domänenspezifischen Denkprozesse durch Modellierungsmaßnahmen im Unterricht erst einmal „sichtbar“ gemacht werden, bevor sie durch häufiges Üben nach und nach zu Denkgewohnheiten werden können.
Gibt es auch Nachteile des bilingualen Geschichtsunterrichts?
In seiner derzeit praktizierten fachunspezifischen Form gibt es meines Erachtens viele Nachteile dieser Unterrichtsform, die ich im Buch diskutiere. Die wissenschaftliche Grundlage des bilingualen Geschichtsunterrichts ist problematisch, weil die theoretischen Konzepte der Fremdsprachendidaktik, die dem Fach Geschichte wichtige Zugewinne versprechen, aus fachspezifischer Perspektive eher fragwürdig sind.
Haben Sie sich einen bestimmten Leser beim Schreiben des Buches vorgestellt oder eignet sich das Buch für jeden, der sich mit diesem Thema beschäftigen möchte.
Der Band richtet sich an die Praktiker/innen in der Schule und an Studierende. Er greift aber natürlich auch die didaktische Diskussion zu dieser Unterrichtsform auf und fordert eine fachspezifische Wende in der Theoriebildung. Er eignet sich somit für alle, die sich mit Geschichtsunterricht oder bilingualem Unterricht beschäftigen.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn