Das Museum als bewegter Lernort, der Geschichte lebendig werden lässt

Der Besuch eines historischen Museums ist für Schüler/innen ein eindrückliches Erlebnis, bei dem Geschichte erfahrbar wird. Das Lehrbuch Museen und Geschichtsunterricht möchte Lehrkräfte sowie Schüler/innen für einen Museumsbesuch begeistern. Zugleich erläutert es praxisnah, wie diesen ein kritisches Bewusstsein beim Museumsbesuch vermittelt werden kann.

Der Autor PD Dr. Olaf Hartung gibt in seinem jüngst erschienenen Buch Lehrer/innen und Dozent/innen wertvolle Hinweise und Ideen, wie sie dieses Ereignis didaktisch vor- und nachbereiten können. Gewinnen Sie erste Eindrücke davon in diesem Interview.

Olaf Hartung
Museen und Geschichtsunterricht

2019. 178 Seiten, 32 Abb. Kart. € 25,–
ISBN 978-3-17-022637-1

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Herr Hartung, Sie plädieren für mehr Museumsbesuche im Geschichtsunterricht – was versprechen Sie sich davon?

Olaf Hartung

Davon verspreche ich mir ein ausgeprägtes geschichtskulturelles Bewusstsein der Schüler/innen. In Museen erfahren sie nicht nur etwas über die Ausstellungsstücke und die thematisierten geschichtlichen Inhalte. Zugleich spiegeln Geschichtsausstellungen auch den Umgang mit Geschichte in der Gesellschaft. Geschichtsmuseen repräsentieren oft mehrere Zeitschichten, die auch deren Ausstellungen als ‚Geschichtsmedium‘ selbst betreffen.

Für Schüler/innen ist es wichtig, Fähigkeiten zu entwickeln, Museen auch auf ihre Deutungsangebote hin zu hinterfragen. In meinem Buch stelle ich drei verschiedene Ansätze vor, wie Museen ihre Exponate verstanden wissen wollen. Die meisten Objekte können ohne Zusatzinformationen ihren geschichtlichen Zusammenhang nicht offenbaren. Dies ist auch der Grund, warum Museen ihre Ausstellungen szenografisch inszenieren. So werden sie zu Medien, in denen die Objekte als Träger von Bedeutungen fungieren. Der Museumstheoretiker Krzysztof Pomian hat deshalb für Museumsobjekte den Begriff „Semiophoren“ vorgeschlagen.

Arbeiterküche aus Hamm, um 1920, Gustav-Lübcke-Museum, Hamm. © Anna Stamer.
Arbeiterküche aus Hamm, um 1920, Gustav-Lübcke-Museum, Hamm. © Anna Stamer.

Sie forschen zu Museums- und Ausstellungsdidaktik. Wie können sich Museen und Ausstellungen im Zeitalter von Netflix und Online-Games behaupten? Und welche Ansätze verfolgt die Museumskommunikation verglichen mit anderen Medien?

Die Mediengeschichte zeigt, dass neue medientechnische ‚Erfindungen‘ und Medienformate nur dann alte ‚Medientechniken‘ verdrängen, wenn deren Funktionen von den neuen Medien komplett übernommen werden. Die klassischen Aufgaben von Museen, wie Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen physischer Objekte, können aber nicht vollständig ‚digital‘ ersetzt werden. Insofern könnte die Museumskommunikation in einer zunehmend digitalisierten Welt gerade wegen der physischen Präsenz sogar noch an Bedeutung gewinnen.

Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass unsere Kultur irgendwann ganz auf das Sammeln von geschichtlichen Sachquellen zugunsten von reinen Digitalisaten verzichten möchte. Vielleicht werden Museen irgendwann gerade deshalb besucht, weil sie eine ganzheitliche Wahrnehmung von historischen Objekten als besonderes Event zur heutigen ‚Bildschirmwelt‘ bieten.

Historische Dampfmaschine im Deutschen Museum in München. Wiki Commons.
Historische Dampfmaschine im Deutschen Museum in München. Wiki Commons.

Museen wollen gerade nicht als ‚verlängerte Schulbank‘ auftreten. In welchem Verhältnis stehen also Lernen, schulischer Geschichtsunterricht und Museen?

In der jungen Disziplin ‚Museologie‘ gab es anfänglich Tendenzen, sich möglichst von den Lernformen in der Schule abzugrenzen. Museen wurden verstanden als kulturelle Einrichtungen, in denen Bildungswillige durch die Begegnung mit Ausstellungsobjekten Bildungszuwächse erlangen. Das Problem dieses Ansatzes ist jedoch, dass die Besucher/innen hier bereits denjenigen Bildungshorizont mitbringen müssen, der zum Verständnis der meisten Objekte benötigt wird. Dies kann jedoch weder von der Mehrheit der erwachsenen Besucher/innen noch von Schüler/innen erwartet werden.

Meiner Ansicht nach haben Schule und Museen viel mehr gemeinsam, als mancher Museologe wahrhaben möchte. Dies zeigt auch der Blick in die Geschichte vieler Museen, die im 19. Jahrhundert nicht selten von Lehrern als anschauliche ‚Lehrsammlungen‘ gegründet wurden. Heute stehen sich Museumswissenschaften, Pädagogik, Geschichtsdidaktik und historische Fachwissenschaft wieder näher. Im täglichen Geschäft vieler Museen überwiegt die Einsicht, dass die Einrichtung anspruchsvoller Ausstellungen die Kooperation verschiedener Professionen erfordert, die sich gegenseitig ergänzen und bereichern.

Ein alter Klassenraum im Ingersoll Museum, USA. Wiki Commons.
Ein alter Klassenraum im Ingersoll Museum, USA. Wiki Commons.

Museen wollen als Lernort fungieren. Mit welchen Mitteln gelingt dies? Und welche innovativen Ansätze werden dabei verfolgt?

Das Lernangebot in Museen leitet sich vor allem aus seiner Beschäftigung mit erhaltenswerten Sammlungen ab. Daraus ergeben sich einige Eigenarten, die das Lernen im Museum mit bedingen. Hierzu zählt z. B. die Notwendigkeit, Sammlungsschwerpunkte zu setzen und bestimmte Themengebiete zu fokussieren. In Sonderausstellungen können Museen zudem zeitnah auf neue Forschungsergebnisse zu ihren Exponaten reagieren und so durch Aktualität brillieren. Die Objektbezogenheit bedingt auch besondere Lehr-/Lernmethoden: Museen betonen vor allem das Bildungspotenzial des konkreten Exponats. Ihre primären ‚Lernmedien‘ sind Objekte in ihrer physischen Präsenz. In Museen dominiert die unmittelbare sinnliche Erfahrung.

Zugleich können die Besucher/innen in Bewegung lernen. Sie können selbst die Nähe und Distanz zu den ausgestellten Objekten, zu den anderen Besucher/inne/n und zu der Person bestimmen, die sie durch die Ausstellung führt. Doch nicht immer wird das Lernen mit Objekten im Museum angeleitet. Das hat seinen Preis: Während des Museumsbesuchs findet Lernen oft eher zufällig, flüchtig und punktuell statt. An dieser Stelle kommt das bereits oben formulierte geschichtskulturelle Lernen ins Spiel. Museen vermitteln wie Schulen Geschichtsinterpretationen, denen bestimmte Werte zugrunde liegen. Die Träger und Mitarbeiter/innen von Museen stehen nicht außerhalb gesellschaftlicher Prozesse und agieren nicht interesselos. Dies macht es notwendig, dass die Schüler/innen lernen, kritische Distanz zu den präsentierten Geschichtsdeutungen zu halten.

In einem Satz … Was können Museumsmacher/innen und Geschichtslehrkräfte aus Ihrem Buch lernen?

Sie können die Vielfalt im Umgang mit der geschichtskulturellen Institution Geschichtsmuseum auch anhand eines konkreten Praxisbeispiels für einen Museumsbesuch mit einer Schulklasse ersehen.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Mühe.

Das Interview führte Rieke Barbek aus dem Lek­torat des Bereichs Geschichte/ Politik/ Gesell­schaft.

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