Die Einführung des Frauenwahlrechts

Am 19. Januar 1919 war es endlich so weit: Frauen durften in Deutschland erstmals an Wahlen teilnehmen. Diesem – aus heutiger Sicht kaum beeindruckenden – Ereignis gingen harte und langwierige Kämpfe voraus.

Und in der Tat ist das Wahlrecht der wohl wichtigste Meilenstein auf dem langen Weg hin zur Gleichberechtigung in Gesellschaft und Politik.

Die beiden Autorinnen beschreiben in unserem neuen Buch nicht nur die Vorgeschichte und das historische Ereignis, sondern schlagen darüber hinaus den Bogen in die Gegenwart, die ohne den 19. Januar 1919 eine ganz andere wäre.

Erste Eindrücke davon gewinnen Sie im Interview.

Sabine Liebig/Brigitte Ãœbel
19. Januar 1919: Frauenwahlrecht
Ein Meilenstein zur Gleichberechtigung

2020. 170 Seiten, 10 Abb. Kart. € 29,–
ISBN 978-3-17-034343-6

Aus der Reihe „Zeitpunkte der Geschichte“

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Warum mussten die Frauen 1919 um das politische Mitspracherecht kämpfen? Was waren das für Zeiten?

Die vom bürgerlichen Selbstverständnis geprägte Gesellschaft des 19. Jahrhunderts wies den Frauen die Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zu. Es war daher nicht selbstverständlich, den Frauen dieselbe rechtliche, politische und gesellschaftliche Stellung wie den Männern zuzugestehen. Selbst in der SPD, die seit 1895 für das Frauenwahlrecht eintrat, herrschte keine Einigkeit hinsichtlich des Frauenwahlrechts.

So mussten die Frauenstimmrechtlerinnen sowohl aus dem bürgerlichen wie sozialdemokratischen Lager, mit Kreativität und Hartnäckigkeit, ihre Rechte immer wieder einfordern.
Die Frauen erkämpften sich nach und nach ihre Rechte, sei es in der Bildung oder im Recht auf einen Beruf, doch mit dem Stimmrecht wollten sie endlich in allen Bereichen ihres Lebens mit den Männern gleich gestellt werden, denn – so die Befürworterinnen – durch politische Mitsprache könnten sie Gesetze zum Wohle der Frauen beeinflussen und die Gesellschaft zum Besseren für alle mitgestalten.

Aufruf zur Frauenwahlversammlung im Acher- und Bühlerbote vom 20. Dezember 1918

Die Frauen von damals, die sich für die Sache engagierten, haben sich vielfach in der Gesellschaft exponiert. Was war ihr Antrieb? Und was waren ihre Ziele?

Die Frauen, die sich für das Wahlrecht stark machten, traten aus der ihnen zugeschriebenen Passivität heraus in die Öffentlichkeit, was in weiten Teilen der Gesellschaft auf Ablehnung stieß. Allerdings unterschieden sich die diversen Lager deutlich. Die radikalen bürgerlichen Frauen forderten das Wahlrecht für Frauen als Menschenrecht – ohne Wenn und Aber. Die gemäßigten bürgerlichen Frauen vertraten in der Regel den Standpunkt, die Frauen müssten erst durch Leistung beweisen, dass sie des Wahlrechts würdig seien. Die proletarischen Stimmrechtlerinnen wollten mit ihren Stimmen die SPD stärken, um die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse insgesamt zu verbessern.
Sehr interessant bei der Beschäftigung mit den Frauen ist, dass sie alle – unabhängig von ihrer politischen Einstellung – international vernetzt waren und sich mit den Frauenstimmrechtlerinnen aus der ganzen Welt austauschten.

Welche Vorkämpferin hat Sie besonders beeindruckt und weshalb?

Hedwig Dohm (um 1870)

Sehr beeindruckend ist Hedwig Dohm, übrigens die Großmutter von Katja Mann (der Ehefrau von Thomas Mann), die schon in den 1870ern sehr pointiert und wirklich auf den Punkt, den missachtenden Umgang der Männer mit den Frauen anprangerte. Ihre Schriften sind sehr scharfzüngig. Sie beschrieb jede Herrschaft, die ohne Zustimmung der Frauen ausgeübt wurde, als Tyrannei. Im Grunde könnte man Hedwig Dohm – nach Louise Otto Peters – als eine der Initiatorinnen der Forderung nach dem Frauenwahlrecht bezeichnen.

Und hat sich das Engagement für die Frauen ausgezahlt?

Natürlich, gesamtgesellschaftlich betrachtet, auf jeden Fall. Aber viele der Protagonistinnen, vor allem der radikalen Frauen, wurden bei der Wahl am 19.01.1919 nicht gewählt. Es waren ohnehin viel zu wenig Frauen in der Nationalversammlung und später im Reichstag vertreten. Die Gründe waren vielfältig:

Sind Sie bei Ihren Recherchen auf ein besonderes Thema gestoßen?

Ja, auf das so genannte „Lehrerinnenzölibat.“ Lehrerinnen wurden ab 1871 aus dem Schuldienst entlassen, wenn sie heirateten. Dieses umstrittene Gesetz wurde mit der Weimarer Verfassung aufgehoben, jedoch mit dem Personalabbaugesetz vom 27.10.1923 durch die Hintertür wieder eingeführt. Letztendlich wurde das Gesetz erst in den 1950er Jahren endgültig gestrichen.

Febronie Rommel als Lehrerin an der Städtischen Höheren Mädchenschule in Straßburg 1896; Nachlass Febronie Rommel – Stadtarchiv Freudenstadt.

Inwieweit profitieren wir alle heute von dem Mut und der Tatkraft dieser herausragenden Persönlichkeiten?

Das Wahlrecht war wirklich ein Meilenstein zur Gleichberechtigung, denn die Parlamentarierinnen setzten sich doch bei einigen Gesetzen durch und zeigten, trotz aller Kritik, dass Frauen durchaus politisch tätig sein konnten, ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren. Das Rad konnte – trotz des Nationalsozialismus – nach 1945 nicht mehr zurück gedreht werden. Das Recht der Frauen zu wählen und gewählt zu werden, blieb unangetastet und Frauenrechtlerinnen aus der Weimarer Republik engagierten sich in der Nachkriegszeit und beeinflussten (als vier Mütter des Grundgesetzes) die rechtliche Gleichstellung der Frauen, auch wenn der Weg zu einer kompletten Gleichberechtigung von Mann und Frau noch nicht zu Ende ist.

Wichtig ist aber auch, dass durch die Thematisierung des Geschlechts, andere Geschlechter den Mut fanden und finden, ihre Rechte einzufordern und die Gesellschaft bereit ist, auch hier umzudenken.

Gleichberechtigung funktioniert nur in einer Demokratie, die wir deshalb unbedingt schützen und bewahren müssen.

Das Interview mit den Autorinnen Frau Prof. Dr. Sabine Liebig und Frau Dr. Brigitte Übel führte Herr Dr. Peter Kritzinger aus dem Lek­torat des Bereichs Geschichte/ Politik/ Gesell­schaft.

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