Anlässlich des Erscheinens des Bandes Die GeschwisÂterÂmeere. Eine Geschichte des Nord- und OstseeÂraumes im W. Kohlhammer-Verlag führten wir mit dem Autor Professor Dr. Olaf Mörke das folgende schriftliche Interview.
Die GeschwisÂterÂmeere Nord- und Ostsee werden kaum gemeinÂsam betrachtet, die einen sind Nord-, die anderen OstseeÂliebÂhaber. Was spricht für einen gemeinsamen Nordeuroparaum?
Ich wohne direkt am Nord-Ostsee-Kanal. Da ist die Kommunikation zwischen Nord- und Ostsee, zwischen Skandinavien und Mitteleuropa zu jeder Stunde augenfällig. Die Dichte der aktuellen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen von den Britischen Inseln bis nach Russland, von Norwegen bis nach Deutschland hat sowohl hinsichtlich der Chancen als auch der Probleme eine lange Tradition. In der Zukunft wird solche Dichte eher noch wachsen. Es lag für mich, der ich eben in Kiel lebe, in der von Hamburg bis nach Skagen reichenden Verbindungszone zwischen Ost- und Nordsee, im Wortsinn nahe, diesen besonderen Beziehungen rund um die Geschwistermeere nachzugehen.
Ihr Werk steht unter dem Eindruck des Spatial Turn, die Betonung des Raumes, der nicht durch politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche Grenzen, sondern durch gemeinsame Identität gebildet wird. Wie sieht diese Identität der Geschwistermeereregion aus?
Man braucht sich gar nicht einem der modischen ‚Turns’ anzuschließen, um die Wichtigkeit des Raumes für die Herausbildung von Identitäten und im Gegenzug die Bedeutung von Kollektividentitäten für das Entstehen von Raumkonzepten zu erkennen. Das hat man schon seit mehr als einem Jahrtausend getan. Damals begannen frühe Beschreiber Nordeuropas, Gemeinsamkeiten zwischen weit auseinanderliegenden Bevölkerungen zu entdecken. Sie dachten diese Gruppen zusammen, schufen gewissermaßen Völkerschaften, die es als geschlossene ethnische Gruppen so noch gar nicht gab, und fingen an, sie räumlich wie normativ gegenüber anderen abzugrenzen. Rund um Nord- und Ostsee spielte die Vorstellung vom Norden als einer Region von ganz besonderer Qualität eine herausragende Rolle. Zum einen sah man ihn als einen Raum von Freiheit und Gleichheit. Die parlamentarische Demokratie britischer Prägung betont besonders den Freiheitsaspekt. Der Wohlfahrtsstaat skandinavischer Prägung nimmt ihn auf und paart ihn mit einer kräftigen Gleichheitskomponente. Zum anderen waren mit dieser Vorstellung aber auch hochgradig aggressionsbesetzte Überlegenheitsphantasien verbunden, die schließlich in der Rassenlehre vom ‚nordischen Menschen’ gipfelten. Derart widerstreitende Identitätsmuster prägten die Vorstellung vom Norden und wirken bis heute nach.
In den letzten Jahren wird der Austausch mit Skandinavien und den anderen nordeuropäischen Ländern wichtig, man spricht vom Nord-Euro oder einer natürlichen Allianz der protestantischen Länder (zu denen dann auch Norddeutschland) gezählt wird. Ist diese Entwicklung etwas neues oder wird etwas schon Dagewesenes wiederbelebt?
Der intensive Austausch zwischen Skandinavien, den Britischen Inseln und Kontinentaleuropa ist beileibe nicht neu. Denken Sie an die Züge der Wikinger, an den Handel der Friesen, an die Hanse – alle erfassten sie Ost- und Nordseeregion gleichermaßen. Im Zug der europäischen Integration besinnen sich Staaten, Regionen und Kommunen auf Früheres. Da gibt es neue Hansetage oder die ‚Schwedenstraße’, die als Touristenroute in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg an den Zug der schwedischen Truppen unter König Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg erinnert. Das sind zwar vor allem Marketingkonzepte. Aber sie zeigen auch, dass und wie die Vergangenheit in unserem Denken über Raumbeziehungen eine Rolle spielt. Das kann in positivem Sinn nützlich sein, indem es Verbindungen schafft, die zu Verständigung führen. Das kann aber auch zu anachronistischen, höchst problematischen Ab- und Ausgrenzungen führen, wenn man etwa das konfessionelle Argument überstrapaziert und mit Auf- und Abwertungen auflädt. Auch das ist im Raum der Geschwistermeere geschehen. Und zwar nicht nur zwischen Protestanten und Katholiken, sondern auch zwischen den orthodoxen Kirchen und denjenigen, die in der römischen Tradition stehen. Sich damit zu beschäftigen, die integrierenden und desintegrierenden Elemente in der Geschichte jenes Raumes zum Gegenstand zu machen, das habe ich persönlich – als Autor ist man schließlich auch voll egoistischer Neugier – als hoch spannend empfunden.
Die Geschichte eines Meeres ist strenggenommen die Geschichte der Küste und der Anrainer, was motivierte Sie dazu, eine „Meeresgeschichte“ zu schreiben?
Sie haben Recht, strenggenommen handelt es sich um eine Geschichte der Anrainer rund um Ostsee und Nordsee. Aber was bringt sie in Beziehung zueinander? Das war und ist der Weg über das Wasser vom einen zum jeweils anderen. Nicht nur das! Auf dem Wasser selbst und auch unter der Wasseroberfläche spielte und spielt sich ein guter Teil der Begegnung ab. Beide Meere sind gemeinsam oder in Konkurrenz genutzter Wirtschaftsraum. Ein dichtes Netz von Handelswegen, Fischerei, die Ausbeutung von Erdgasfeldern und jüngst der Ausbau von Offshore-Windparks stehen für beides. Auf ihnen wurden bis in die jüngere Geschichte Kriege ausgetragen. Bemühungen um den Schutz der sensiblen maritimen Ökosysteme sind von essentieller Bedeutung für das Leben an Land. Auf der relativ kleinen Fläche der beiden europäischen Randmeere des Atlantiks ballten und ballen sich solcherart Herausforderungen.
Was möchten Sie unseren Lesern vor dem ersten Aufschlagen des Bandes noch mit auf den Weg geben?
Lassen Sie sich Zeit beim Lesen. Haben Sie dabei am besten noch einen Atlas zur Hand. Es würde mich freuen, wenn Sie Vergnügen an der Lektüre hätten!
Wir danken Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.