Macht ist eine Konstante der MenschheitsÂgeschichte. Doch was ist das eigentlich – die Macht? Wie wird sie geschichtÂlich oder poliÂtisch und wie gehen wir mit ihr um? Auf solchen Ebenen nähert sich Karl MitterÂmaier, seines Zeichens PhiloÂsoph und Autor, dem kompleÂxen Thema. Er konsultiert namhafte Denker und Mythen, berührt philoÂsophiÂsche und anthroÂpoloÂgische Aspekte und stellt StaatsÂformen einander gegenüber, um den zahlÂreichen Facetten der Macht nachzuÂspüren. Bei aller UnausweichÂlichÂkeit der Macht im menschÂlichen ZusammenÂleben zeigt sein Buch drei MöglichÂkeiten auf, ihren Stachel zu entÂschärfen: die ErkenntÂnis der SinnÂlosigÂkeit des Lebens, die Apathie und der religiöse Glaube.
Lesen Sie erste Eindrücke in unserem Interview.
Karl Mittermaier
Im Geflecht der Macht
Geschichte einer Menschheitskonstante
2022. 232 Seiten, 20 Abb. Kartoniert. € 29,–
ISBN 978-3-17-042021-2
Herr Dr. Dr. Mittermaier, Macht ist offenbar ein Phänomen, das Sie schon länger beschäftigt. Wie kam es dazu, was reizt Sie an dem Thema?
Seit ich in den Neunzigerjahren am Institut für PhiloÂsophie an der Uni InnsÂbruck eine LehrÂveranÂstalÂtung zum Thema „PhiloÂsophie der Macht“ gehalten habe, hat mich dieses Thema nicht mehr losgeÂlassen. Der Reiz der Macht liegt darin, dass sie unerÂschöpfÂlich und immer wieder in ihrer KompleÂxiÂtät undurchÂsichÂtig ist; wir können uns ihr zwar nähern, völlig durchÂschauen werden wir sie nie.
„Was ist das eigentlich, die Macht?“, ist ja eine sehr breite, geradezu sokraÂtische Frage. Lässt sich darauf überÂhaupt eine eindeuÂtige Antwort geben? In welchen DimenÂsionen denken Sie über das Thema nach?
Wie gesagt, wir werden Macht in all ihren Facetten zwar nie ganz begreifen, indem wir uns aber intensiv mit ihr ausÂeinanÂderÂsetzen, können wir uns ihr aber nähern. Ich befasse mich nun ein gutes ViertelÂjahrÂhundert mit ihr, kann aber auf die Frage, was Macht tatÂsächÂlich ist, keine exakte Antwort geben. Ich kann sie beschreiÂben, umschreiÂben, defiÂnieren, analyÂsieren, vergleiÂchen, was sie aber tatÂsächÂlich ist, kann ich nicht sagen. Das liegt gewiss auch in ihrem unerÂschöpfÂlichen dynaÂmiÂschen ErscheiÂnen. Die Frage: „Was ist es“ zählt ohnehin zu den tiefsten Fragen der PhiloÂsophie. Im innersÂten Kern spricht sie die Wahrheit an. Und Wahrheit ist immer wieder umstritÂten, sie ist die Seele jeglicher Ganzheit. Insofern ist die Macht stets in ultimo in der Ganzheit zu sehen. Hier sie irgendwo und irgendwie auszuÂmachen war das erste und wichÂtigsÂte Ziel meiner Macht-BeschäfÂtiÂgung.
Ihr Buch behandelt ja auch Strategien, der Macht ihren „Stachel“, wie Sie das nennen, zu ziehen. Ist Macht also vor allem etwas NegaÂtives, das es auszuÂmerzen gilt?
Macht ist negativ und positiv, will man diese Adjektive überÂhaupt verwenden. Bekanntlich gibt es keine absolut negaÂtive oder posiÂtive AusÂsage. Um es banal zu sagen, kann dies und jenes für den einen positiv, für den anderen negativ sein. Es hängt wie so oft von der AufÂfasÂsung und dem StandÂpunkt des BetrachÂters ab. Ich denke, dass von „negativer“ Macht gesproÂchen werden soll, sobald durch sie andere Menschen, aber auch die Umwelt insgeÂsamt, Schaden nehmen. Um trotzdem eine kurze Aussage zu treffen, möchte ich festÂhalten, dass vor allem die „negative“ Macht auffällt und die Umwelt beschäfÂtigt. Die „positive“ Macht wird zuweilen als selbstÂverständÂlich empfunden.
Die Rückkehr des Krieges nach Europa, einÂschneiÂdende PandeÂmieÂmaßÂnahmen und neue poliÂtische GrasÂwurzelÂbeweÂgungen wie Fridays for Future – was kann uns eine BeschäfÂtigung mit der Macht in unseren Zeiten lehren?
Je näher wir der Macht kommen, also je effekÂtiver wir sie durchÂschauen, desto besser können wir mit ihr umgehen. Das heißt, dass wir uns zum Beispiel besser gegen die „negative Macht“ wappnen oder die „positive“ Macht umfasÂsender gebrauÂchen und fördern können. Weil der Mensch gerne und oft zu ÃœberÂtreiÂbung neigt, können freiÂlich beide „Mächte“ ausarten und aus der „posiÂtiven“ Macht eine „negative“ werden. Die Rückkehr des Krieges zeigt einmal mehr, dass Macht eine MenschÂheitsÂkonstante ist. Der Mensch ändert sich im Grunde seines Wesens nicht. Wenngleich es Wege gibt, diese WesensÂzüge abzuÂschwächen – elimiÂnieren können wir sie nicht. Außerdem beweist der Krieg erneut, dass es Leuten immer wieder gelingt, zu derarÂtiger Macht zu gelangen, um über andere zu herrschen. Doch es sind stets auch diese anderen, die den MachtÂaufÂstieg ermögÂlichten und nicht verhinÂderten. Jeder Mensch hat Macht, in irgendÂeiner Form jedenfalls. Sie ist aber stets ungleich verteilt. Außerdem sind Täuschung und Lüge die ausÂgereifÂtesten FähigÂkeiten der Macht, wie die Geschichte bis heute beweist. Schließlich zeigen solche MachtÂpotenÂtaten am deutÂlichsÂten die RelatiÂvität der kriegeÂrischen Macht zur offenÂbaren Schwäche der friedÂlichen Macht, die in diesem Fall machtlos ist.
Graswurzelbewegungen als Ausdruck des Protests und des poliÂtiÂschen EngageÂments erwachen aus der UnzuÂfriedenÂheit des Status quo. Die Basis begehrt gegen das System, die poliÂtische Führung, auf. Die eine Macht begehrt gegen die andere auf, wobei sich zeigt, welche der beiden stärker ist. Dass es dazu kommen kann, zeigt eine Schwäche der dominieÂrenden Macht oder weist die PoliÂtik als demokraÂtisch gereift aus.
Das Gespräch mit Herr Dr. Dr. Mittermaier führte Dr. Julius Alves aus dem Lektorat Geschichte/ Politik.
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