Anlässlich des Erscheinens des Bandes Ludwig XIV. von Professorin Dr. Anuschka Tischer führten wir mit der Autorin das folgende schriftliche Interview:
Warum wollten wir uns heute noch mit Ludwig XIV. beschäftigen, mehr als 300 Jahre nach seinem Tod?
Es ist vielleicht weniger die Frage, ob wir uns mit ihm beschäftigen sollten, als vielmehr die Tatsache, dass Ludwig XIV. viele Menschen nach wie vor fasziniert. Wenn man einen bestimmten Typus von Politiker charakterisieren will, spricht man von einem „Sonnenkönig“: selbstherrlich und zugleich durchsetzungsfähig, verschwenderisch und zugleich charismatisch, eine Persönlichkeit, die heraussticht und polarisiert. Für diesen Herrschertyp steht Ludwig XIV. bis heute Modell, jeder versteht seine Symbolik, die Symbolik des „Sonnenkönigs“, die eine Erfindung der Propaganda Ludwigs XIV. war. Seine Gegner haben sie aufgegriffen und gegen ihn verwendet, denn bereits Ludwig XIV. faszinierte und polarisierte. Er stand für einen neuen Stil der Politik und der politischen Selbstdarstellung. Er wird – ob zu Recht oder nicht – als Urtyp des modernen Politikers und politischen Marketings betrachtet. Zugleich verbindet man mit ihm die radikale Umgestaltung Frankreichs. Aus dem von Unruhen geschüttelten Land wurde das Modell des modernen Staates. Diese Entwicklung wird mit Ludwig XIV. personifiziert. „Der Staat bin ich“ – ausgerechnet dieses Zitat kommt den meisten als erstes in den Sinn, obwohl es historisch gar nicht belegt ist. Aber mit Ludwig XIV. verbinden viele eine konkrete Idee vom modernen Staat. Wir beschäftigen uns also mit Ludwig XIV., weil er die Entwicklung der Moderne anschaulich macht, aber auch weil er ein Mythos ist, den man immer wieder hinterfragen muss.
Unser Bild von Ludwig XIV. schwankt zwischen seiner Darstellung als „Sonnenkönig“ und dem kranken, alten Mann in Versailles. Was fasziniert die Historikerin an seiner Person?
Ludwig XIV. war nicht immer der alte, kranke Mann, und er war auch nicht von Anfang an der „Sonnenkönig“. Er hat insgesamt 72 Jahre auf dem Thron gesessen und davon 54 Jahre selbst regiert. Das ist eine enorme Zeitspanne, insbesondere für einen Politiker, von dem so viel abhing und der keiner formellen Kontrolle unterworfen war und Kritik an sich abperlen lassen konnte. In unserer Zeit gibt es für so etwas kaum vergleichbare Beispiele. Dem kürzlich verstorbenen Fidel Castro konnte man über Jahrzehnte hinweg bei seiner Entwicklung vom jungen, dynamischen Revolutionär zum etablierten Regierungschef und Staatsoberhaupt und schließlich zum alten, kranken Mann im Jogginganzug zusehen. Man verbindet ihn heute mit Stagnation. Man wird eines bestimmten Politikers und seines Politikstils relativ schnell müde, man will neue Konzepte ausprobieren. In einer Demokratie werden die politischen Akteure immer wieder ausgetauscht. Für einen Monarchen wie Ludwig XIV. war das nicht vorgesehen. Er kam als Kind auf den Thron mit der Aussicht, noch auf dem Sterbebett König und politisch verantwortlich zu sein. Das gab ihm die Möglichkeit, ein ganzes Jahrhundert zu prägen. Man kann sicher an Ludwig XIV. viel kritisch sehen, aber er hat schlicht historische Fakten geschaffen, an denen man nicht vorbei kommt. Das war für einen Monarchen auch bei langer Lebensdauer nicht selbstverständlich. Ludwig XIV. hat für sich schon in früher Jugend die Aufgabe entworfen, Frankreich und die französische Krone stark zu machen und nach seinen Vorstellungen zu gestalten und sich selbst als König großartig zu inszenieren. Und das hat er getan und die Voraussetzungen, die er vorfand, genutzt. Je mehr man sich mit Ludwig XIV. beschäftigt, desto mehr bröckelt der Mythos, aber es wächst das Verständnis für seine Person und seine Leistungen. Was mich beeindruckt, ist die Disziplin, mit der Ludwig XIV. sein Leben als König inszeniert und diese Inszenierung von früher Jugend an bis zum Totenbett durchgehalten hat. Es ist ja eine Sache, ein spektakuläres Bild von sich zu entwerfen, aber eine ganz andere, diesem Bild auch mehr als ein halbes Jahrhundert gerecht zu werden. Die scheinbare Leichtigkeit des Hofes von Versailles war harte Arbeit, so wie jede Bühnenshow, jeder Vergnügungspark harte Arbeit ist, von der der Zuschauer nichts merkt. Neben dem Einsatz für das zur Schau gestellte Vergnügen hatte der König zugleich einen strengen Arbeitsplan für die politischen Geschäfte, die er selbst bei Krankheit und Schicksalsschlägen nicht schleifen ließ. Dabei war Ludwig XIV. ja keineswegs emotionslos, sondern ein durchaus gefühlvoller Mensch, der sich nicht schämte zu weinen und der sich liebevoll um seine Familie kümmerte. Aber er war auch dominant und unfähig Kritik anzunehmen. Ludwig XIV. hat im Guten wie im Schlechten die Geschichte so geprägt, dass man ihn nicht ignorieren kann.
Beginnt in Frankreich unter Ludwig XIV. die Moderne oder bleibt er doch eher konservativ?
Ludwig XIV. hat sich wie alle seine Zeitgenossen nicht als Revolutionär oder Innovator verstanden. Nach seinem Selbstverständnis verschaffte er Frankreich und sich selbst die Rolle in der Welt, die ihnen zustand und die Gott ihnen zugedacht hatte. Das kann man konservativ nennen, aber die dazu getroffenen Maßnahmen wie der Ausbau der Bürokratie, Zentralisierung oder die Schaffung klar definierter und abgesicherter Grenzen waren Bausteine des modernen Staates. Trotzdem war Ludwig XIV. kein Revolutionär oder Innovator. Er hat vieles fortgesetzt, was andere vor ihm bereits aufgebaut und vorangetrieben hatten. Die Moderne begann nicht unter Ludwig XIV., aber er hat energisch dafür gesorgt, dass der Modernisierungsprozess weiterging, ohne sich selbst als Modernisierer zu verstehen.
Ist Frankreich als „kultureller Hegemon“ vielleicht am Ende sogar bestimmender als durch seine zahlreichen militärischen Kriege, hat Ludwig also quasi Europa durch höfische Kultur und Luxuswaren erobert?
Die kulturelle Vorreiterrolle Frankreichs hat die kurze Zeit der politisch-militärischen Dominanz zweifellos überdauert. Frankreich gibt ja bis heute in allen Belangen der Mode und des guten Geschmacks den Ton an, und die Bewahrung des kulturellen Erbes hat dort einen hohen Stellenwert. Die Frage ist, ob Frankreich seine Rolle als kulturelles Vorbild tatsächlich Ludwig XIV. verdankt. Die Académie Française, die bis heute die französische Sprache überwacht, wurde bereits von Kardinal Richelieu 1635 gegründet. Andere Akademiegründungen gehen auf Jean-Baptiste Colbert zurück, den vielleicht bekanntesten Minister Ludwigs XIV., der auch weitaus mehr als der König ein Verständnis für ökonomische Fragen hatte. Seidenstoffe, Spitzen und andere Luxusgüter für den heimischen Markt im eigenen Land zu produzieren und auch zu exportieren trug zum finanziellen Wohlstand bei. In der Geschichtswissenschaft wird zudem diskutiert, ob nicht die aus Frankreich geflüchteten Hugenotten zur Verbreitung und Akzeptanz der französischen Sprache und Kultur eher beigetragen haben als Ludwig XIV. Es ist ja bemerkenswert, dass selbst in einer Zeit, in der der König ein europäisches Feindbild war, man trotzdem französische Mode trug, französische Tänze tanzte und Französisch sprach. Allerdings personifizierte Ludwig XIV. in einer Weise die französische Kultur, die bis heute nachwirkt. Er hat eine Symbiose aus Kultur und Politik geschaffen. Malerei, Architektur, Oper, all das diente dem gleichen Ziel wie Krieg und Diplomatie: Frankreich und seinen König groß zu machen. Das konnte nur gelingen, weil der König sich in allen Bereichen selbst engagierte und ein Gespür für Kunst, Musik und Mode hatte. Wenn er Ballett tanzte, attackierte er den habsburgischen Kaiser in Wien ebenso wie auf dem Schlachtfeld, wenn auch mit anderen Mitteln.
Welche Eigenschaft Ludwigs XIV. hat Sie besonders beeindruckt und welche eher nicht?
Disziplin und Konsequenz können ja ins Positive wie ins Negative ausschlagen. Die Disziplin und Konsequenz, mit der Ludwig XIV. seine einmal für sich definierten Aufgaben als König ohne persönliche Rücksichtnahmen und bis zum letzten Atemzug erfüllte, ist beeindruckend. Allerdings sind es die gleichen Eigenschaften, die sein Handeln auch starrsinnig und brutal wirken lassen, insbesondere wenn man an seine Kriegspolitik denkt. Was ihn aber vielleicht menschlich besonders unsympathisch erscheinen lässt, ist sein Anspruch, auch in seinem persönlichen Bereich alles zu kontrollieren und zu bestimmen. Selbst gegenüber Familienmitgliedern wie seiner Mutter oder seinem Bruder und anderen Menschen, die er liebte und die ihn liebten, war er dominant und setzte sich über ihre Gefühle oder auch Leistungen hinweg. Ludwig XIV. war und blieb in jeder Lebenssituation König. Das widersprach im Übrigen auch der zeitgenössischen Idee der Herrscherdynastie. Doch neben Ludwig XIV. konnte selbst sein potentieller Nachfolger, sein dann vor ihm verstorbener Sohn Ludwig, keine eigenständige Rolle spielen. Ludwig XIV. hat die starke französische Monarchie, die er schaffen wollte, völlig mit seiner eigenen Person identifiziert. Das wurde auch eine schwere Hypothek für alle künftigen Könige von Frankreich.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.