Napoleon III. lebte von 1808 bis 1873 und bestimmte als letzter französischer König fundamental die politischen Wege Frankreichs und Gesamteuropas. Klaus Deinet, der wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen war, widmet sich dieser umstrittenen, aber zugleich faszinierenden Persönlichkeit in einer neuen, kompakten und gut lesbaren Monographie „Napoleon III. Frankreichs Weg in die Moderne“.
Napoleon III. steht in seiner Bedeutung und in seinem Bekanntheitsgrad hinter Napoleon I. zurück. Wie würden Sie Napoleon III. kurz beschreiben?
Sie haben Recht. Mancher einer weiß gar nicht, dass es in Frankreich noch einen zweiten Napoleon gab (der aber den Namen „der Dritte“ trägt, weil überzeugte Bonapartisten den Napoleon-Sohn als „Napoleon II.“ mitzählten). Dabei regierte dieser Neffe Napoleons I. länger als sein Vorgänger, von 1852 bis 1870, nicht gerechnet die vier Jahre seiner Präsidentschaft von 1848 bis 1851, und unter ihm hat sich Frankreich nachhaltiger verändert als unter dem anderen, auch wenn sich Napoleon I. aufgrund seiner spektakulären Kriege und als angeblicher Retter der Revolution stärker ins kollektive Gedächtnis der Franzosen eingegraben hat.
Wenn ich seine Persönlichkeit beschreiben soll? Napoleon III. war ein im Grunde weicher Charakter, der aber von einem brennenden Ehrgeiz getrieben wurde. Er hatte eine Mission, glaubte daran, dass er ausersehen war, diese zu verwirklichen, und war bereit, sein Leben dafür einzusetzen. Das schloss aber nicht aus, dass er zugleich ein auf Genuss angelegter, liebenswürdiger und skrupulöser Mensch war, dem Entscheidungen nicht leicht fielen. Seine glänzende Laufbahn war einem sentimentalen Gemüt abgetrotzt. Das sieht man auch am Ende seines Lebens, als er sich auf eine gefährliche Blasenoperation einließ, um wieder auf einem Pferd sitzen zu können; er wollte ja als Kaiser nach Frankreich zurückkehren.
Lassen sich Parallelen zwischen Onkel und Neffen ziehen?
Nur bedingt. Beide, Onkel und Neffe, waren überzeugt davon, eine Aufgabe in der Geschichte zu erfüllen, die nur durch sie gelöst werden konnte. Aber während Napoleon I. noch ganz ein Mensch des 18. Jahrhunderts war – man hat ihn den letzten aufgeklärten Absolutisten genannt – der zupackend und skrupellos an seine Vorhaben heranging, war Napoleon III. ein typischer Vertreter der nachgeborenen Generation der „enfants du siècle“, also des 19. Jahrhunderts, der gebannt auf die Vätergeneration und ihr vermeintlich unerreichbares Vorbild blickte. Von diesem Bann konnte er sich nur schwer lösen. Er sah sich bis zum Schluss als Testamentsvollstrecker seines Onkels, obwohl er in seinen sozialen Vorstellungen, seiner Handelspolitik und auch in der viel vorsichtigeren Außenpolitik, zum Beispiel gegenüber England, weit über dessen angebliche Vorgaben hinausging. Er war ein modernerer Mensch als Napoleon I. Wo der Onkel spätestens nach seiner Kaiserkrönung streng auf das Zeremoniell achtete, spielte der Neffe die Hofetikette nur mit, während er sich in seinem Privatleben ständig darüber hinwegsetzte. Die Eheleute duzten einander, was sogar im Bürgertum nicht die Regel war; er tanzte gern mit Frauen aus dem Volk und schlug gelegentlich über die Stränge.
Mit Napoleon III. endete die Monarchie in Frankreich. Welche historische Bedeutung kam seiner Absetzung für die weitere nationale Entwicklung Frankreichs zu?
Durch das Ende des Zweiten Kaiserreichs und die Gründung der Dritten Republik verlagerte sich die politische Achse wieder mehr nach links. Allerdings nicht automatisch, denn die Dritte Republik brauchte zehn Jahre, um eine Mehrheit bei Wahlen zu finden. Nur die gegenseitige Verfeindung der beiden monarchistischen Richtungen und der Umstand, dass Napoleon keinen charismatischen Nachfolger fand, ließ das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen. Die eine Hälfte Frankreichs blieb konservativ-katholisch und stand dem republikanisch-laizistischen Staat innerlich fern. Das übersieht man in Deutschland gern, weil man Frankreich mit Republik bzw. Revolution identifiziert. Im Grunde ist aber erst durch den Ersten Weltkrieg die „deux-France“-Spaltung allmählich überwunden worden. De Gaulles Eltern gedachten noch an jedem 21. Januar im Jahr der Hinrichtung des „Märtyrerkönigs“ Ludwig XVI. Eigentlich hat erst De Gaulle das konservative Frankreich mit der Republik versöhnt… Der Bonapartismus als politische Richtung ist dagegen mit Napoleon III. untergegangen, er lebt höchstens noch in bonapartistischen Anwandlungen fort, wie man sie gerne den heutigen Präsidenten, Sarkozy oder jetzt Macron, unterstellt. Dabei wird aber außer Acht gelassen, dass diese modernen Quasi-Monarchen die Tradition einer Republik verkörpern, die ja gerade aus der Französischen Revolution und ihren Nachfolgerevolutionen im 19. Jahrhundert hervorgegangen ist.
Die zeitgenössischen Beurteilungen über Napoleon III. weichen stark von aktuellen Einschätzungen ab. Er wird als Putschist, als erfolgreicher Feldherr und Modernisierer, aber zugleich als absoluter und autoritärer Herrscher, als gescheiterter Außenpolitiker und selbstverliebter Populist beurteilt. Wie sind diese unterschiedlichen Beurteilungen zu erklären?
Also, ein geborener Militärführer wie sein Onkel war Napoleon III. nie, auch wenn er im Italienkrieg und 1870 formal das Oberkommando innehatte. An dem Vorwurf des Populismus ist etwas dran. Allerdings wirkt er gegenüber heutigen Populisten eher bescheiden. Sein Nationalismus war frei von aggressiven Untertönen; er war ein polyglotter Kosmopolit, der fließend Englisch und Deutsch sprach…
Wie kam das?
…Er war ja als Elfjähriger für zwei Jahre auf ein Augsburger Gymnasium gegangen und hat später jahrelang in England gelebt. Das Urteil über seine Außenpolitik wird durch das fatale Ende von 1870 getrübt; er hat aber während seiner 18 Regierungsjahre immer die Idee verfolgt, dass Konflikte nach Möglichkeit auf friedlichem Wege, durch europäische Kongresse, gelöst werden sollten. Wenn er davon abwich, geschah das unter dem Einfluss risikobereiterer Politiker wie Palmerston, Cavour und am Ende Bismarck. Nur dass er diesem auch noch den Gefallen tat, den Krieg als erster zu erklären. Das war sein größter Fehler.
In Frankreich ist sein Image nach wie vor schlecht?
Das hat sich durch die zu seinem 200. Geburtstag erschienenen Biographien von Eric Anceau und Pierre Milza etwas geändert. Was sein Bild in Frankreich außerhalb der professionellen Geschichtsschreibung bis heute prägt, lässt sich in zwei Begriffe fassen: Sedan und der 2. Dezember. Die Niederlage im deutsch-französischen Krieg hat das nationale Selbstbewusstsein jahrzehntelang belastet, der Erste Weltkrieg wurde als „Rache für Sedan“ empfunden. Dagegen haben Republikaner und Sozialisten ihm nie die hohen Opfer verziehen, die sein Staatsstreich vom Dezember 1851 gekostet hat. Dabei war es noch erträglicher, wenn sie ihn wie Marx als Büttel der Bourgeoisie abstempelten, als wenn sie ihn wie Victor Hugo als Vergewaltiger von „La France“ geißelten. Die hohe Zahl der Opfer unmittelbar nach dem Putsch, die bei Aufständen im Südosten Frankreichs umkamen, in der Haft in Cayenne starben oder von einer betrunkenen Soldateska in den Straßen von Paris massakriert wurden, hat Napoleon III. sein Leben lang belastet; er bezeichnete diese Schuld als sein „Nessus-Hemd“, hielt aber bis zu seinem Tod daran fest, dass er Frankreich nur so vor dem Weg in das „rote Chaos“ bewahrt hätte.
Was unterscheidet Ihre Monographie von bereits erschienenen Werken über Napoleon III.?
Ich wollte Napoleon III. von dem Odium des Kriegstreibers und Republikverderbers befreien, das ihm bis heute anhängt; das erste vor allem in Deutschland, das zweite in Frankreich. Anders als sein Onkel lief er nicht notwendig ins eigene Verderben, auch wenn das von den Biographen gerne so inszeniert wird. Napoleon hat das Kaiserreich am Ende in eine konstitutionelle Monarchie nach dem Muster liberaler Systeme umgewandelt, und er hat damit immer noch hohe Popularitätswerte eingefahren, wie das letzte Plebiszit im Mai 1870 bewies. Den Krieg mit Preußen hat er völlig unnötigerweise vom Zaun gebrochen, und er hat sich dabei auch noch von Bismarck in eine taktisch ungünstige und militärisch verhängnisvolle Position treiben lassen. Darüber sind die großen Verdienste, die er sich um Frankreich und besonders um Paris erworben hat, fast in Vergessenheit geraten oder werden meist getrennt von seiner Person gesehen. Dabei ist er es gewesen, der Haussmann zwanzig Jahre lang gegen alle Anfeindungen sein Werk der verkehrsgerechten Umgestaltung und dringend nötigen Ent-Slumung der französischen Hauptstadt hat machen lassen.
Was waren die wichtigsten Errungenschaften der Regierung Napoleons III.?
Napoleon III. hat durch seine Beteiligung am Krimkrieg und am italienischen Einigungskrieg Frankreich das militärische Prestige zurückgewonnen, das seit Waterloo verloren gegangen war. Der italienische Krieg brachte immerhin die Eingliederung von Savoyen und Nizza. Beide Kriege waren blutig und wenig populär; sie standen allerdings in keinem Verhältnis zu dem, was Napoleon I. dem Land aufbürdete. Die größeren Verdienste Napoleons liegen in seiner Innenpolitik: die Erneuerung von Paris, der energische Ausbau des Eisenbahnwesens, die beiden Weltausstellungen und der Freihandelsvertrag mit Großbritannien machten Frankreich vorübergehend zur zweiten Industriemacht der Welt. Die Kolonialpolitik war weniger aggressiv als die der späteren Dritten Republik; sein größter Erfolg war die Fertigstellung des Suezkanals, dessen Bau sich im Wesentlichen seiner Initiative verdankte.
Was faszinierte Sie am meisten an Napoleon III.?
An Napoleon III. haben mich seine menschlichen Züge beeindruckt. Die offiziellen Gemälde, auf denen er im Stil Ludwigs XIV. und Napoleons I. posierte, sind meilenweit von den privaten Fotos entfernt. Die zeigen ihn als liebenden, wenn auch schon angejahrten Vater oder als etwas linkisch wirkenden Ehemann. Er war ein Bonvivant, der seine Hobbies pflegte und sich am Schluss als englischer Landlord seinem Alterssitz widmete. Napoleon I. war dagegen viel steifer, auch in seinen Familienporträts.
Die letzten Regierungsjahre Napoleons waren stark von Auseinandersetzungen mit Bismarck geprägt. Waren diese Konflikte, die im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 gipfelten, in den beiden Persönlichkeiten grundgelegt? Wie war das persönliche Verhältnis zwischen den beiden?
Die beiden Männer waren sich nicht unbedingt unsympathisch. Bismarck hat sich zwar über das Polizeiregime des Empire autoritaire, wie er es in den 1850er Jahren kennenlernte, mokiert; aber er war auch fasziniert von der Verschmelzung von Elementen der Volkssouveränität mit der anti-parlamentarischen Regierungsweise Napoleons III. in seinen ersten Jahren. So etwas schwebte ihm für Preußen vor! Und dann war er auch nicht unempfindlich gegenüber dem Luxus, den das Zweite Kaiserreich entfaltete. Er besuchte gerne mondäne Seebäder wie Biarritz und wäre einmal sogar fast in der Brandung ertrunken. Aber er war der gewieftere Taktiker. 1866 hat er durch sein rasches Zugehen auf Österreich Napoleon das Spiel mit der französischen Interventionsdrohung verdorben; und in der Julikrise von 1870 hat er die Beinahe-Niederlage der preußischen Diplomatie in der Frage der spanischen Thronfolge mit Hilfe der Emser Depesche und deren wohlkalkulierter Wirkung – das Reizen des „gallischen Stiers“! – aufgefangen und durch den Appell an die vaterländischen Gefühle der ehemaligen Gegner im Deutschen Bund wie Sachsen und Bayern die Franzosen von Anfang an in die Position militärischer Unterlegenheit gedrückt. Allerdings war die Niederlage Frankreichs danach noch nicht zwangsläufig; bei geschickterer Führung auf Seite der französischen Generäle hätte manches anders kommen können.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Zeit.
Das Interview führte Dr. Peter Kritzinger.