Bernd Braun hat im Kohlhammer Verlag sein neues Buch „Die Reichskanzler der Weimarer Republik“ veröffentlicht. Mit dem Autor führten wir ein kurzes Gespräch.
Welchen Reichskanzler haben Sie im Laufe des Schreibens besonders schätzen gelernt und welchen können Sie am wenigsten leiden?
Also eigentlich müsste ich diese Frage entrüstet zurückweisen, da ein Historiker keine Gefühle haben darf oder sich zumindest nicht zu ihnen bekennen darf. Aber da wir unter uns sind: Ich schätze die drei badischen Reichskanzler Constantin Fehrenbach, Joseph Wirth und Hermann Müller außerordentlich. Und wenn Sie ein Gegensatzpaar haben möchten: Ich schätze Hermann Müller in dem gleichen Maße, wie ich Franz von Papen für seine verhängnisvolle Politik verachte.
Die Weimarer Republik wird gerne entweder mit Revolution, Chaos und beginnender Diktatur oder mit den Goldenen Zwanzigern assoziiert. Findet sich ein solches Schema auch schon bei den Reichskanzlern?
In dieser Pauschalität nicht. Man unterteilt die Weimarer Republik eher in die Revolutionsphase bis 1923, die ruhige Mittelphase bis 1929/30 und die Untergangsphase ab 1930. Eine wirkliche Zäsur stellte der März 1930 mit der Übernahme der Reichskanzlerschaft durch Heinrich Brüning dar. Hier vollzog sich mit dem Übergang zu den Präsidialkabinetten ein schleichender Systemwechsel, der schließlich in den Untergang der Weimarer Republik führte. Dass die erste deutsche Demokratie trotz der riesigen Probleme und wenn Sie so wollen trotz des Chaos so lange überleben konnte, spricht nicht gegen, sondern für sie; und es spricht für die Qualität der meisten Weimarer Reichskanzler als Krisenmanager.
Unterscheiden sich die Biographien der Reichskanzler deutlich voneinander oder stammten sie – mehr oder weniger – alle aus einer ähnlichen sozialen Schicht?
Obwohl die Weimarer Republik nur knapp 14 Jahre dauerte, gehören die zwölf Reichskanzler weder einer gemeinsamen Generation noch einer sozialen Schicht an. Den ältesten trennen vom jüngsten Weimarer Reichskanzler 33 Jahre und die soziale Spannbreite reicht von Philipp Scheidemann, dem Sohn einer verarmten Handwerkerwitwe, bis zum dem wohlhabenden Großbürgersohn Hans Luther oder dem vermögenden Adelsspross Franz von Papen.
Man sieht langjährigen Politikern ihre Verantwortung ja auch im Gesicht an. Veränderte die Reichskanzlerschaft den einzelnen oder behauptete sich die Privatperson gegenüber dem Amt?
Zunächst einmal gab es unter diesen zwölf Reichskanzlern keinen einzigen langjährigen Regierungschef, dafür waren ihre Amtszeiten einfach zu kurz. Es waren nicht einmal alle langjährige Politiker, sondern es gab mehrere Seiteneinsteiger. Auf der anderen Seite hatten die Reichskanzler der damaligen Zeit nicht den heutigen Stab, über den ein Bundeskanzler verfügt. Sie mussten sehr viel mehr selber entscheiden, auch selber machen, bis hin zum Redenschreiben. Außerdem waren die Probleme viel größer als nach 1949. Von Putschversuchen, separatistischen Unruhen, Terrorwahlkämpfen, Hyperinflation mit anschließender Währungsreform sowie Börsenzusammenbrüchen (1929) oder dem Einmarsch fremder Truppen und Besetzung wichtiger Landesteile (wie beim Ruhreinmarsch 1923) ist die Bundesrepublik Deutschland bisher verschont geblieben. Den Berufspolitikern unter den Reichskanzlern sah man ihre Belastung natürlich an; Gustav Stresemann und Hermann Müller ruinierten ihre Gesundheit und starben als vergleichsweise junge Männer mit 51 bzw. 54 Jahren.
Was ist so spannend daran, die Biographien der Reichskanzler zu lesen. Das kann man ja auch in Wikipedia nachlesen?
Natürlich findet man zu allem und jedem Einträge bei Wikipedia, aber sie sind wie alle Lexikoneinträge knapp und lückenhaft und zum Teil voller Fehler. Mein Ansatz ist es ja gerade nicht, zwölf einzelne Biographien aneinanderzureihen, sondern diese zwölf Reichskanzler als kollektivbiographische Gruppe zu begreifen, das heißt, anhand einzelner Kriterien die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser zwölf Biographien herauszuarbeiten. Das finde zumindest ich mega-spannend!
Noch eine letzte Frage, was möchten Sie dem Leser mitgeben, bevor er Ihr Buch aufschlägt und liest?
Vielleicht den Rat, dass man dieses Buch wunderbar verschenken kann? Nein, aber im Ernst: Weimar erscheint uns sehr weit weg, aber es ist doch von immerwährender Aktualität. Nicht nur die Tatsache, dass noch Kinder von Weimarer Reichskanzlern auch heute noch unter uns leben, bezeugt diese Nähe, sondern auch die vielen Bezüge zum politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Wenn bei uns diskutiert wird, ob man nicht mehr direkte Demokratie wagen sollte, also etwa mehr Volksentscheide oder die Volkswahl des Bundespräsidenten einführen sollte, dann ist man nicht besonders innovativ, sondern geht zurück nach Weimar. Aufgrund der historischen Erfahrung würde ich vor solchen Experimenten warnen. Insofern erhält ein Leser des Buches auch viele Querverweise zur heutigen politischen Situation.
Für Ihre Zeit und Mühe bedanken wir uns sehr herzlich.
Dr. Bernd Braun ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Reichspräsident-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Weitere Infos über den Autor finden Sie hier.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.