Werkzeuge der Historiker:innen

Im Jahr 1958 erschien erstmals das Buch „Werkzeug des Historikers“ aus der Feder Ahasver von Brandts. Seitdem hat es sich zum Standard­werk für Studie­rende und zum Ever­green für den Verlag ent­wickelt. Doch die „Hilfs­wissen­schaf­ten“ oder heute besser „Grund­wissen­schaf­ten“ haben sich seit­dem massiv weiter­ent­wickelt. Zudem war das Werk nicht auf eine sys­tema­tische Ein­füh­rung in die Grund­wissenschaften konzi­piert. Zugleich erleben die soge­nann­ten „Kleinen Fächer“ an den Uni­versi­täten extrem schwere Zeiten. Dies alles ließ den Gedan­ken reifen, eine zeit­gemäße Ein­füh­rung in die Grund­wissen­schaf­ten vorzu­legen und soeben ist der erste Band zur Antike er­schie­nen. Wir konnten hier­zu mit dem Heraus­geber des Bandes, JProf. Dr. Patrick Reinard, ein Gespräch führen.

Umschlagabbildung des Buches

Patrick Reinard (Hrsg.)
Werkzeuge der Historiker:innen
Antike

2023. 244 Seiten, 39 Abb. Kartoniert. € 25,–
ISBN 978-3-17-040102-0
Werkzeuge der Historiker:innen, Band 1

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Sehr geehrter Herr Reinard, Sie haben ein Buch mit dem Titel „Werk­zeuge der His­tori­ker:innen“ heraus­ge­geben. Was muss man sich als Laie unter „Werk­zeuge von His­tori­ker:innen“ vor­stellen?

Die „Werk­zeuge“ stehen für die wich­tigs­ten Grund­wissen­schaften, deren Beherr­schung für eine ge­schichts­wissen­schaft­liche Be­schäf­ti­gung mit der griechisch-römischen Ver­gangen­heit notwendig ist.

Der Begriff Grund­wissen­schaften bezeich­net also ver­schie­dene aka­demi­sche Dis­zipli­nen und Fächer, deren Spe­zial­wissen und Methoden auch für die Historiker:innen von zentraler Bedeutung sind?

Ja genau. Und daher ist das Ziel des Bandes u. a., den metho­di­schen Umgang mit ver­schie­denen Quellen­gruppen zu ver­mit­teln. Denn die verschiedenen Quellenarten wie bspw. Inschriften, Münzen, Papyri etc. erfor­dern ganz unter­schied­liche Kennt­nisse und bieten diverse Ein­blicke in die Ver­gangen­heit. Münzen können etwa helfen einen archäo­logi­schen Befund zu datie­ren, und durch In­schrif­ten lässt sich der Lebens­lauf ver­gange­ner Perso­nen re­kon­stru­ieren. Gegenstand der Grund­wissen­schaf­ten sind aber auch Themen wie die Ãœber­liefe­rungs­geschichte und die Edi­tions­technik. Des Weite­ren sind auch beson­dere Arbeits­gebiete wie die His­tori­sche Geo­gra­phie oder die Pro­sopo­graphie wich­tige Dis­zipli­nen alter­tums­wissen­schaft­licher und alt­his­tori­scher For­schung und kön­nen daher im wei­teren Sinn zu den Grund­wissen­schaf­ten ge­rech­net werden. Die Grund­wissen­schaften erfor­dern inso­fern beson­dere Kompe­ten­zen in Form von theo­reti­schem wie prak­ti­schem Wissen.

Welche Disziplinen werden im Fall der Antike kon­kret von den His­tori­ker:innen als Grund­wissen­schaften genutzt?

Dazu zählen zum einen die Dis­zipli­nen, die sich beson­deren Quellen­gruppen widmen. So befasst sich die Papy­rolo­gie mit den hand­schrift­lichen Texten, die auf Papy­ri, Ostraka etc. un­mittel­bar aus der Antike er­hal­ten sind. Die Epi­gra­phik wiede­rum be­schäf­tigt sich mit den in­schrift­li­chen Texten und die Numis­matik mit den Münz­zeug­nissen. Die lite­rari­schen Quellen, die größ­ten­teils nur durch Ab­schrif­ten mittel­bar er­hal­ten geblie­ben sind, werden von der Klassi­schen Philo­logie behan­delt, während die mate­riel­len Zeug­nisse jeder Art Unter­su­chungs­gegen­stand der Archäo­logie sind. Neben diesen spe­ziel­len Quellen­dis­zi­pli­nen gibt es dann auch For­schungs­be­reiche, die durch eine beson­dere Meth­odik sowie eine spe­zielle Frage­stel­lung cha­rakte­ri­siert sind, z. B. die Chrono­logie, die sich den Fragen der Zeit­messung und Datie­rung widmet, oder die Rechts­geschichte, die sich der Ãœber­liefe­rung und Aus­wer­tung von Rechts­quellen aus der griechisch-römischen Antike ver­schrie­ben hat.

Letztlich gibt es zwi­schen den verschie­denen Diszi­pli­nen und Meth­oden dieser Grund­wissen­schaf­ten viele Be­rüh­rungs­punkte und Über­schnei­dungen, sodass sie sich in viel­facher Hin­sicht gegen­seitig stützen.

P.Trier I 5 und P.Nepheros 1.
Abb. 1/2: P.Trier I 5 und P.Nepheros 1. Papy­rolo­gen lernen, solche Texte zu lesen, zu edie­ren und auch auszu­werten. Beim ersten Text han­delt es sich um eine Vor­ladung vor Ge­richt wegen Nicht­rück­zah­lung eines Dar­le­hens, während der zweite Text ein Privat­brief an Mönche (mit Posts­kript am linken Rand) ist.

Historiker:innen müssen also weit mehr als nur Daten und Fakten pauken?

Ja, Daten, Fakten und Perso­nen sind nicht alles! Man muss auch die Metho­dik und Theo­rie der ver­schie­de­nen Dis­zipli­nen er­ler­nen, um so die unter­schied­li­chen Quel­len aus­werten zu können. Dabei darf aber das Ziel nicht nur das edi­tori­sche Auf­berei­ten von Quellen­zeug­nissen sein, son­dern es muss auch darum gehen, ver­schie­dene Quellen­infor­ma­tio­nen mit Blick auf eine kon­krete Frage­stel­lung auszu­werten. Dafür muss man in der Lage sein, die Aus­sagen lite­rari­scher, archäo­logi­scher oder numis­mati­scher Befunde je­weils kri­tisch zu bewer­ten und in einem wei­teren Schritt mit Be­fun­den ande­rer Quellen zu kombinieren. Die Ent­fal­tung einer soli­den Quellen­kri­tik setzt aber einen „meis­ter­haften Umgang mit den „Werk­zeugen“ voraus.

Gibt es in den anderen Epochen auch andere Hilfs­wissenschaften?

Ja, andere Epochen haben andere Quellen­bestän­de, die für sich ent­spre­chen­de Grund­wissen­schaf­ten ent­wi­ckelt haben, z. B. die Wappen­kunde in der Medi­ävis­tik oder digi­tale Quellen in der Zeitgeschichte.

Denar des L. Calpurnius Piso und Q. Servilius Caepio, Rom um 100 v. Chr. 3,29 g, 19 mm.
Abb. 3: Denar des L. Calpurnius Piso und Q. Servilius Caepio, Rom um 100 v. Chr. 3,29 g, 19 mm. Avers: PISO CAEPIO Q(uestores), Kopf des Saturn mit Lor­beer­kranz nach rechts, dahin­ter ein Krum­mes­ser; Revers: AD FRV(mentum) EMV(ndum) EX S(enatus) C(onsulto), zwei Quaestoren sit­zend, links und rechts von Korn­ähren gerahmt. Angehende Numis­mati­ker ler­nen Münzen zu lesen, die Dar­stel­lun­gen zu deuten und die Münzen insge­samt zu kontextualisieren.

Sind die Grund­wissen­schaften auch für Laien von Interesse?

Von einer Beschäf­ti­gung mit den als Grund­wissen­schaf­ten be­zeich­neten Dis­zipli­nen profi­tiert jeder, der Inte­resse an der Geschichts- und Alter­tums­wissen­schaft hat und sich ein tie­fe­res Ver­ständ­nis der Ver­gan­gen­heiten er­ar­bei­ten möchte. Man kann Fakten „pauken“ und diese wieder­geben. Wenn man aber ver­stehen möchte, woher das Fak­tische kommt bzw. wie man „Gewiss­heit“ aus ver­schie­denen Quellen he­raus­filtern kann, dann ist eine Be­herr­schung der Grund­wissen­schaf­ten not­wendig. Zudem benö­tigen aber auch alle Sammler, etwa von Mün­zen, Spezialwissen.


Das Interview führte Dr. Peter Kritzinger.

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