Schluckdiagnostik

Ein praxisorientiertes Fallbuch mit besonderer Berücksichtigung der FEES

 

Im Interview berichtet Dr. Jochen Keller über die Besonderheiten des neuen Werkes zur „Schluckdiagnostik“, stellt typische Befunde vor und geht auf verschiedene Methoden der Schluckdiagnostik ein.

Portrait von Dr. Jochen Keller
Dr. Jochen Keller

Wer Fachliteratur zur Dysphagie sucht, findet diese in unterschiedlichen Ausrichtungen, Formaten und Umfängen: Was macht Ihr Buch so besonders, welchen Fokus legt ihr Buch, wie würden Sie es im größeren Kontext einordnen?

Unser Buch ist das Produkt einer mehr als 20-jährigen klinischen Erfahrung in der Diagnostik und Therapie von Dysphagien. Als Dozent für diesen Fachbereich weiß ich, dass erfolgreiches Lernen vor allem durch eine Kombination aus Theorie und Praxis erreicht werden kann. Daher haben wir das Buch didaktisch so strukturiert, dass auf die theoretischen Grundlagen immer eine entsprechende Kasuistik folgt, an der die Schluckdiagnostik exemplarisch dargestellt wird. Dieser konkrete und stringente Praxisbezug, der mit anschaulichem Videomaterial unterlegt ist, unterscheidet dieses Buch von anderer Literatur zu diesem Thema. Auch werden nicht nur häufige mit Dysphagien assoziierte Grunderkrankungen, also typische Befunde dargestellt, sondern auch seltenere Erkrankungen und somit auch differentialdiagnostische Fragestellungen berücksichtigt.

Ihr praxisorientiertes Fallbuch führt die aktuell verfügbaren Methoden der Schluckdiagnostik auf und stellt typische Befunde anhand von Kasuistiken dar. Können Sie diese Methoden mit wenigen Worten erläutern? Welche Befunde sind typisch?

Nun, typische Befunde sind sicher von der entsprechenden Grunderkrankung abhängig.
So kommt es bei akuten Schlaganfällen meist zu einer verzögerten Schluckreflextriggerung, wohingegen eine Myositis eher zu einer Störung des pharyngealen Bolustransports führt. Aber wenn man es auf den Punkt bringen möchte, so sind es im Wesentlichen drei Störungen, die entweder isoliert oder auch gemeinsam auftreten können.
Dies ist zum einen die gestörte Boluskontrolle, die sich auf die willkürliche Phase bezieht, dann ist es der fehlgeleitete Bolus, der sich dann z. B. in einer Aspiration äußert und es ist die Störung des Bolustransfers, die entsprechende Residuen von Bolusmaterial in der Schluckpassage nach sich zieht.
Als Experte für Schluckstörungen ist es mir in diesem Zusammenhang wichtig zu betonen, dass das Schlucken nicht am oberen Ösophagussphinkter endet, sondern der Bolus nach Passieren des Speiseröhreneingangs noch ein Stück Weg zurücklegen muss, um dann entsprechend auch im Magen zu verbleiben und nicht zurückzufließen. In der klinischen Dysphagiologie hat man sich eine lange Zeit vor allem auf die oropharyngealen Dysphagien fokussiert und Störungen der ösophagealen Passage meiner Meinung nach etwas vernachlässigt. Obwohl wir wissen, dass Erkrankungen der Speiseröhre oder des Magens zu sog. „extraösophagealen Symptomen“, wie z. B. einem Fremdkörper- oder Bolusgefühl in der Kehle führen können und so vermeintlich an eine primär oropharyngeale Störung denken lassen.
Ein ganz wesentlicher Punkt ist aber, dass sich das Schlucken in einem geschlossenen System vollzieht und man die Symptome, von denen ich eben sprach, nur erkennen kann, wenn man sie mit verschiedenen Methoden sichtbar macht. Hierzu gehören im Wesentlichen die endoskopische Schluckdiagnostik (FEES), die radiologische Schluckdiagnostik, wie die Videofluoroskopie und der Bariumbreischluck sowie die pharyngeale und ösophageale Manometrie. Alle Verfahren haben ihren spezifischen Stellenwert im Hinblick auf die zu untersuchenden Aspekte des Schluckaktes.

Welchen Stellenwert erhält die fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) in der Schluckdiagnostik im Vergleich zu früheren Zeiten? Wo liegen ihre besonderen Chancen aber auch Grenzen?

Bevor die FEES erstmalig von der amerikanischen Sprachtherapeutin Susan Langmore im Jahre 1988 beschrieben und vorgestellt wurde, nutzte man zur Diagnostik oropharyngealer Dysphagien vor allem die Videofluoroskopie. Dieses radiografische Verfahren, was in Deutschland noch bis vor einiger Zeit nur in spezialisierten Zentren verfügbar war, erfordert, dass die betreffenden Patienten in die Radiologie transferiert werden, was z. B. bei immobilen, schwer betroffenen Schlaganfallpatienten kaum zu bewerkstelligen ist. Die fiberendoskopische Schluckdiagnostik hingegen kann auch bettseitig durchgeführt werden und erlaubt es somit, Patienten direkt auf der Stroke Unit, der ICU oder auch schwer betroffene und immobile geriatrische Patienten zu untersuchen. Dies und die Tatsache, dass es zu keiner Strahlenbelastung kommt, ist ein großer Vorteil gegenüber der radiologischen Diagnostik. So ist die FEES inzwischen zu einem obligaten Bestandteil der Basisdiagnostik oropharyngealer Dysphagien geworden und fast überall verfügbar. Wie alle diagnostischen Verfahren, hat sie jedoch auch Grenzen. So lassen sich ösophageale Störungen nicht direkt erfassen, da das Endoskop nur bis in den Pharynx vorgeschoben wird und der ösophageale Bolustransfer daher nicht direkt beobachtet werden kann. Auch gibt es einen Moment in der endoskopischen Schluckuntersuchung, in der das Bild durch die Hebung des Kehlkopfes und die Konstriktion des Pharynx kurzzeitig verschwindet. Wir nennen das „White out“. Dies ist die Phase, in der der Bolus durch die Kehle transportiert wird. Diese pharyngeale Boluspassage ist somit endoskopisch ebenfalls nicht direkt beobachtbar. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch zu betonen, dass sich alle verfügbaren Methoden der Schluckdiagnostik in der klinischen Praxis im Hinblick auf wichtige differentialdiagnostische Fragestellungen hervorragend ergänzen.

Ihr Buch wird durch Originalvideos zu den Kasuistiken ergänzt. Welche Vorteile bieten diese für den interessierten Leser?

Gerade in Bezug auf die FEES zeigt sich, dass der Fortbildungsbedarf noch recht groß ist. Im Rahmen von dreitägigen Basisseminaren kann man zum Erwerb des FEES-Zertifikats die Grundlagen dieser Untersuchungsmethode kennenlernen. Dabei zeigt sich, dass das Handling des Endoskops, d. h. die reine Untersuchungstechnik mit etwas Übung recht schnell erlernbar ist. Unabdingbar ist allerdings dann die anschließende professionelle Auswertung der Untersuchung und das Einordnen der Befunde. D. h., der Untersucher muss erkennen, welche Symptome auftreten und im zweiten Schritt ableiten können, wodurch sie hervorgerufen werden. Dies ist die Voraussetzung für eine effektive Therapieplanung. Mit den in meinem Buch präsentierten Kasuistiken und den dazugehörigen Originalvideos möchte ich die Fortbildungsinitiativen unterstützen und den Lernerfolg für interessierte Kollegen in diesem Bereich erhöhen.

Bei dem Titel handelt es sich um Ihr erstes Werk. Was waren die größten Hürden, die Sie dabei überwinden mussten? Was hat Sie beim Schreiben die meisten Nerven gekostet?

Es mag etwas unglaubwürdig klingen, aber ich habe gar keine Hürden überwinden müssen und dieses Buch zu schreiben, hat mich auch keinerlei Nerven gekostet. Zum einen, weil ich durch die Kollegen im Kohlhammer Verlag sehr gut betreut und unterstützt wurde, zum anderen weil ich die Zeit für mich als sehr erfüllend erlebt habe. Das Thema interessiert und begeistert mich so sehr, dass ich nichts in diesem Bereich als anstrengend empfinde. Das Schreiben selbst ging mir leicht von der Hand, da ich blind im Zehnfingersystem schreiben und so meinen Gedankenfluss direkt und schnell auf den Monitor bringen kann. Auch empfand ich die didaktische Aufbereitung der Videos und Kasuistiken sowie die Konzeption der einzelnen Kapitel als durchgehend spannend und herausfordernd. – Also insgesamt eine sehr positive Erfahrung, die zur Wiederholung einlädt.

Welche Zielgruppe wird von Ihrem Werk ganz besonders profitieren?

Ich hoffe, dass alle, die sich für das Thema Dysphagie interessieren von unserem Buch angesprochen werden. Im Wesentlichen sind es aber vor allem Logopäden/Sprachtherapeuten und Ärzte verschiedenster Fachrichtungen, wie HNO, Neurologie, Gastroenterologie und Geriatrie.

Noch eine letzte Frage: Was möchten Sie dem Leser mitgeben, bevor er Ihr Buch aufschlägt und liest?

Sich ein bequemes Plätzchen suchen, Handy ausschalten, einen Kaffee oder Tee kochen und anfangen zu lesen. Gerne auch mit einem kritischen Blick, denn bei aller Sorgfalt und Erfahrung bin ich für jede Rückmeldung dankbar, da es natürlich nicht bei der ersten Auflage bleiben soll.

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Dr. Jochen Keller über Schluckstörungen im Alter beim Youtube-Kanal DERNBACHER GRUPPE KATHARINA KASPER (23. Februar 2022)

Neu!

Jochen Keller/Herbert F. Durwen
Schluckdiagnostik
Ein praxisorientiertes Fallbuch mit besonderer Berücksichtigung der FEES

2022. 166 Seiten mit 65 Abb. Fester Einband
€ 69,–
ISBN 978-3-17-039758-3

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