Ein Drittel aller Epilepsiepatienten wird durch die übliche medikamentöse Behandlung nicht anfallsfrei und gilt damit als pharmakoresistent. Welche anderen Therapieverfahren sind aktuell für Sie am vielversprechendsten?
Die Epilepsiechirurgie ist für einige dieser Patienten das Verfahren der Wahl. Voraussetzung ist, dass es sich um eine fokale Epilepsie handelt, dass man den Anfallsursprung eingrenzen kann und dass durch seine Entfernung keine inakzeptablen Nebenwirkungen eintreten. Diese Fragen beantworten die Neurologen und Neuropädiater im Rahmen der prächirurgischen Diagnostik. Den resultierenden Eingriff führt der Neurochirurg durch.
Mit unserer Reihe „Neurologische Fallbesprechungen“ verfolgen wir das Ziel, den Patienten in den Fokus zu setzen und typische wie auch besondere Patientenfälle zu beleuchten. Sehen Sie hier für die Erkrankung Epilepsie besonderen Bedarf?
Es gab über viele Jahre hinweg kein deutschsprachiges Buch zur Epileptologie, insbesondere nicht zur prächirurgischen Epilepsiediagnostik und Epilepsiechirurgie. Meine Überzeugung ist, dass dem klinisch tätigen Kollegen nicht primär an abstrakt einsetzender Wissensvermittlung liegt. Unser ärztliches Denken entzündet sich ja immer am Einzelfall. Daher war ich von der Idee des Kohlhammer Verlags begeistert, dass die Kapitel unserer Epilepsie-Praxisbücher in den „Neurologischen Fallbesprechungen“ in jedem Kapitel von realen Fällen unseres Epilepsiezentrums ausgehen sollten.
Die Autoren und Autorinnen Ihres Werkes sind im größten deutschen epilepsiechirurgischen Programm am Epilepsie-Zentrum Bethel tätig. Können Sie dieses Programm in Ihrem Haus kurz skizzieren?
Vor 30 Jahren, am 01.01.1991, wurde in Bethel im Krankenhaus Mara die prächirurgische Station eröffnet. Zusammen mit den Epilepsiezentren in Bonn und Erlangen gehörten wir damit zu den Pionieren in Deutschland. Neurologen, Kinderärzte, ein Neurochirurg, EEG-Assistentinnen und -Assistenten und Pflegekräfte waren an der Cleveland Clinic in den USA ausgebildet worden. Der dortige leitende Epileptologe, Prof. Hans Otto Lüders, begleitete das neue Programm noch über Jahre hinweg bei regelmäßigen Besuchen in Bielefeld. Die OP-Zahlen stiegen Jahr für Jahr an. Sie haben sich inzwischen bei etwa 100 resektiven Eingriffen pro Jahr eingependelt. Regelmäßig werden weiterhin Anfälle auch mit intrakraniellen Elektroden aufgezeichnet. Inzwischen verwenden wir dazu nicht mehr nur subdurale Elektroden, sondern immer häufiger Tiefenelektroden, die mithilfe eines Roboters millimetergenau eingebracht werden. Neben den Standardeingriffen am Temporallappen und den erweiterten Läsionektomien werden in Bethel Patienten im Hinblick auf die besonders anspruchsvollen großen Eingriffe untersucht, und diese werden regelmäßig angewandt: Hemisphärotomien, posteriore Diskonnektionen und Kallosotomien.
Nach dem Band „Allgemeine Epileptologie“ ist dies nun bereits ihr zweites Werk als Herausgeber in unserer Buchreihe. In welchem Verhältnis stehen diese beiden Titel zueinander?
Die „Allgemeine Epileptologie“ wendet sich an alle, die im Gesundheitswesen mit epilepsiekranken Menschen zu tun haben und sich über die medizinischen und sozialen Aspekte informieren wollen. Der Band über prächirurgische Diagnostik und Epilepsiechirurgie richtet sich an die, die diese Arbeit ebenso betreiben oder betreiben wollen, sowie alle, für deren Patienten die Epilepsiechirurgie eine Option darstellen könnte.
Welche Zielgruppe wird von Ihrem Werk ganz besonders profitieren?
Wir wenden uns an ärztliche, psychologische und therapeutische Kollegen in Epilepsiezentren sowie an alle, die schwerbehandelbare Epilepsiepatienten betreuen, für die Epilepsiechirurgie eine Option sein könnte und die von ihrem Behandlungsteam erste Informationen erwarten.
Noch eine letzte Frage: Was möchten Sie dem Leser mitgeben, bevor er Ihr Buch aufschlägt und liest?
Wenn Sie bereits ein vertrautes Vorgehen haben: Seien Sie gespannt auf unsere Erfahrungen und unsere Praxis – vielleicht ist auch für Sie die eine oder andere nützliche Anregung dabei. Wenn Sie die Prächirurgie und Epilepsiechirurgie (noch) nicht selbst betreiben, lassen Sie sich begeistern von dieser großartigen Form, Epilepsien zu verstehen und erfolgreich behandeln zu können.
Vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe!
Christian G. Bien (Hrsg.)
Prächirurgische Diagnostik und chirurgische Epilepsietherapie
Das Bethel-Praxisbuch
2021. 234 Seiten mit 43 Abb. und 13 Tab. Kart.
€ 55,–
ISBN 978-3-17-035078-6
Neurologische Fallbesprechungen
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