Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Bei der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung steht üblicherweise die medizinische Behandlung ganz im Vordergrund. Im Laufe meiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit schwerkranken und sterbenden Menschen ist mir immer wieder eine große Verunsicherung sowohl im ärztlichen also auch im pflegerischen Bereich begegnet. Eine emotionale Begleitung überfordert die Beteiligten häufig, spielt aber ebenso eine entscheidende Rolle beim Fortschreiten der Erkrankung oder bei einer plötzlichen bedrohlichen Diagnose. Ein Patient hat es einmal so ausgedrückt: „Gestern hatte ich Gastritis, heute habe ich ein Gallengangskarzinom mit Lebermetastasen.“ Eine solche Lebenskrise kann niemals emotionslos bewältigt werden.
Mein Buch beleuchtet deshalb die unterschiedlichen Verarbeitungsstrategien am Lebensende mit Einblicken aus der Bewältigungsforschung und der Persönlichkeitspsychologie. Anhand von Gesprächsaufzeichnungen mit sterbenden Menschen werden typische Kommunikationshürden identifiziert und Hinweise gegeben, wie eine hilfreiche und professionelle Begleitung ganzheitlich gelingen kann.
Was müsste sich nach Ihrer Ansicht in der Begleitung von Menschen, die aufgrund schwerer Krankheit an ihrem Lebensende stehen, am meisten verändern?
Der Umgang mit der Wahrheit ist immer wieder eine Herausforderung. Von Kollegen heißt es oft:
„Ich habe die Patienten aufgeklärt. Sie wissen Bescheid.“ Der Umgang mit der Wahrheit besteht aber nicht in einer einmaligen Mitteilung. Er ist ein prozesshaftes Geschehen. Das Maß an Offenheit, das zugelassen wird, kann sich bei Patienten von einem Tag auf den anderen ändern. Darüber hinaus muss es möglich sein, den eigenen Zustand begrenzt oder durchgängig zu verdrängen.
Kümmern Sie sich auch um die Angehörigen?
Das gehört zu einer ganzheitlichen Begleitung auf jeden Fall dazu. Denn auch sie müssen ja damit leben lernen, dass sich ein ihnen nahestehender Mensch aus dem Leben verabschiedet. Auch sie verlieren einen Partner oder Angehörigen, der ihnen emotional viel oder alles bedeutet hat. Deshalb brauchen auch sie unsere Aufmerksamkeit. Das gilt vor allem dann, wenn die Patienten innerlich viel weiter sind als ihre Angehörigen.
Kürzlich sagte mir eine Patientin: „Ich weiß genau, wie es um mich steht und dass es keinen Weg zurück gibt. Aber mein Mann hat mich bedrängt, auf jeden Fall noch eine Chemotherapie zu machen. Ich habe dem zugestimmt – nicht für mich, sondern ausschließlich für ihn.“
Ist Ihre Arbeit auf Dauer nicht zu belastend?
Ich erlebe die Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden als eine sehr intensive Aufgabe. Es geht nicht mehr um Smalltalk – ganz oft geht es um den Blick zurück, eine Art Lebensbilanz: Wer bin ich noch? Wer war ich? Was hat mein Leben ausgemacht? Was und wen muss ich hergeben und zurücklassen?
Natürlich ist das oft mit Schmerz und Traurigkeit verbunden, aber wenn ich Menschen helfen kann, ihr Leben positiv abzuschließen und versöhnt zu sterben, dann ist das eine zutiefst zufriedenstellende Aufgabe, zu der ich gerne auch anderen Mitarbeitenden verhelfen möchte.
Werner Schweidtmann
Sterben – das Schwierige im Leben
Hilfen und Hinweise für die Begleitung am Lebensende
2022. 188 Seiten. Kart.
€ 29,–
ISBN 978-3-17-041797-7
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