Man kann es immer wieder in den Medien lesen: Fachkräfte in helfenden Berufen sind großen Belastungen ausgesetzt und oft von Erschöpfungserkrankungen wie Burnout betroffen – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie. Wie sich Fachkräfte dagegen schützen können, erfahren Sie in unserem neuen Buch „Berufliche Belastungen bewältigen“ von Jörg Rövekamp-Wattendorf. Lesen Sie mehr dazu im Interview mit dem Autor.
Jörg Rövekamp-Wattendorf
Berufliche Belastungen bewältigen
2020. 217 Seiten, 13 Abb., 13 Tab. Kart. € 35,–
ISBN 978-3-17-032755-9
Aus der Reihe Basiswissen Helfende Berufe
Wie krank kann Helfen die Menschen machen?
Diese Frage ist nur schwer zu beantworten. Einen Hinweis darauf gibt die Erkenntnis, dass die Krankenstände im Gesundheitswesen um 20 % höher sind als bei anderen Berufsgruppen. Auf jeden Fall ist bei den ArbeitnehmerInnen das Bewusstsein für solche psychosozialen Belastungen im Job jedoch sensibilisiert. Aber auch das gesellschaftliche Interesse, etwa in den Medien, z. B. an berufsbedingten Anforderungen von Fachkräften in helfenden Berufen steigt. Termin- und Leistungsdruck, Arbeitsverdichtung oder emotionale Belastungen werden öffentlich gemacht. Damit geraten auch soziale und wirtschaftliche Aspekte von Gesundheit in den Blick der Menschen.
Was sind Hauptfaktoren für Belastungen in helfenden Berufen?
In helfenden Berufen gibt es besondere Faktoren, die über das hinausgehen, was auch viele Menschen in nicht helfenden Berufen kennen, etwa fehlende Entscheidungsfreiräume z. B. bei der Gestaltung der Hilfe, bei schweren zwischenmenschlichen Begegnungen oder bei den Anforderungen an gute Teamarbeit. Das sind insbesondere die Emotionsarbeit, also die Regulation eigener und fremder Gefühle, auch die Balance von Nähe und Distanz, der Umgang mit Ängsten und Trauergefühlen oder mit Ekel- und Schamgefühlen. Der Philosoph Ivan Illich prägte hierfür den Begriff der Schattenarbeit: Die HelferInnen leisten zum Wohlergehen ihrer Klientel immer eine vielen Menschen unsichtbar bleibende, aber immense Teilarbeit, die die „eigentliche“ Dienstleistung erst möglich macht. Nehmen Sie die Aktualisierung eigener Verlusterlebnisse. Persönliche Verlusterfahrungen wirken sich auf die Arbeit z. B. im Hospiz aus. Aber es ist wohl als Schwerstarbeit zu bezeichnen, die eigene Trauer in eine einfühlsame Begleitung Trauernder umzuwandeln.
Zu welchen Problemen können Belastungen bei der Arbeit führen?
Stress und Burnout bilden wohl die bekannteste destruktive Allianz. Neben den körperlichen Symptomen von Stress werden von Betroffenen psychische und soziale Schädigungen thematisiert. Zum Dauerzustand werden dann: nicht abschalten können, erhöhte Reizbarkeit, das permanente Gefühl der Überforderung. Ein Ergebnis kann die dauerhafte Erschöpfung sein. Weniger bekannt sind hingegen Coolout-Erlebnisse. Eine erfahrene Unvereinbarkeit zwischen den fachlich-ethischen Ansprüchen, etwa in der Arbeit mit alten Menschen, und den organisatorischen Bedingungen der Einrichtung verführt die HelferInnen zur Herabsetzung ihres professionellen Anspruchs. Hier liegt die Tücke des Konflikts: Natürlich fordern nicht nur die eigenen fachlichen oder ethischen Ansprüche, sondern auch die sozialen Vorstellungen z. B. guter Sozialarbeit zur Einhaltung auf, doch gleichzeitig erlebt eine Sozialarbeiterin genau diese als unerfüllbar durch die Rahmenbedingungen der Einrichtung, in der sie arbeitet. Im Bereich der Pflege forscht die Wissenschaftlerin Karin Kersting dazu. Sie weist Reaktionsformen wie z. B. eine ausgeprägte Opferhaltung, die Konfliktverdrängung oder die reflektierte Hinnahme als ein „Sich-Kaltmachen“ nach. Ergebnis: schädigende Wirkungen für die HelferInnen wie für unsere Klientel, aber auch eine Zunahme falscher Fachlichkeit.
Wie trägt Ihr Buch dazu bei, unter Belastungen leidenden Fachkräften in helfenden Berufen „zu helfen“?
Gesundheitsförderung basiert auf sehr ähnlichen Vorstellungen und Verständnissen wie der Empowermentansatz, es geht zunächst auf der persönlichen Ebene um Selbstbefähigung. Das schließt meines Erachtens ein, sich kritisch mit eigenen Macht- und Ohnmachtserfahrungen auseinanderzusetzen. Hilfe zur Selbsthilfe, dieses Motto wird umgesetzt, indem die Fachkräfte nicht auf ihre sogenannten Defizite hingewiesen werden – vielmehr können sie mit diesem Buch durch Fallanalysen und Fallverstehen zu kompetenten AkteurInnen ihrer Berufsgestaltung werden. Auf der sozialen Ebene geht es mir um Partizipation, damit LeserInnen erkennen, dass sie auch Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen nehmen und ExpertInnen in eigener Sache werden können und dass das aktive Gesundheitsförderung ist. Auf der dritten Ebene geht es darum, ebenso Leitungskräfte zu sensibilisieren: Es kommt auf den Ausbau von sozialen Strukturen in den Einrichtungen an, die gesundheitsfördernd wirken.
Was können Fachkräfte in helfenden Berufen selbst tun, um Belastungen ihrer Arbeit zu bewältigen?
Dazu habe ich den Begriff „professionelle Selbstfürsorge“ gewählt. Selbstfürsorge ist die aktive Auseinandersetzung mit der Frage: Was brauche ich, um gesund zu bleiben? Im Sinne des Salutogenesemodells von Aaron Antonovsky geht es darum, erstens einen Kohärenzsinn zu entwickeln: Erkenne ich die herausfordernde Situation, kann ich das Gefühl entwickeln, diese Situation zu bewältigen und meine Arbeitswelt sinnvoll zu gestalten? Zweitens Widerstandsquellen als unterstützende soziale Strukturen und persönliche Ressourcen zu aktivieren. Es kommt also darauf an, selbstregulative Fähigkeiten zu entwickeln, einen sich immer wieder aufs Neue anpassenden Zustand gegenüber Anforderungen anzustreben.
Das Interview führte Alexa Strittmatter aus dem LekÂtorat des Bereichs Pädagogik/ Soziale Arbeit.
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