Der Klimawandel und seine Folgen für das Gesundheitswesen

Als die größte Gesundheitsbedrohung der Menschheit beschreibt die WHO den Klimawandel. Und er ist nicht zu leugnen: Wir schreiben ein Jahrzehnt der Wetterextreme und die Temperaturen steigen. Im Sommer werden auch in unseren Breitengraden lange Hitzeperioden erreicht. Dies ist insbesondere für vulnerable Personengruppen problematisch. Chronisch und akut Kranke, ältere Menschen, Schwangere und Neugeborene sind bei hohen Temperaturen besonders zu schützen.

Prof. Dr. med. Henny Annette Grewe, Professorin für Medizinische Grundlagen an der Hochschule Fulda. Gründete 2008 die Forschungsgruppe Klimawandel und Gesundheit an der Hochschule Fulda und arbeitet seitdem zu Fragen der Anpassung von Kommunen, Ländern und Gesundheitseinrichtungen an die Folgen des Klimawandels, insbesondere an die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze. Zusammen mit Prof. Dr. Beate Blättner (verst. 2021) gibt sie das Werk „Vor Hitze schützen“ heraus. Zum Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheitswesen haben wir mit Frau Grewe das folgende Interview geführt.

Umschlagabbildung des Buches

Henny Annette Grewe/Beate Blättner (Hrsg.)
Vor Hitze schützen
Ein Handbuch für Pflege- und Gesundheitseinrichtungen

Ca. 200 Seiten, ca. 30 Abb., ca. 30 Tab. Kartoniert. Ca. â‚¬ 39,–
ISBN 978-3-17-040844-9

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Wir schreiben ein Jahrzehnt der Wetterextreme. Der Klimawandel ist nicht zu leugnen. Der jüngste Weltklimabericht des Weltklimarates bestätigt dies. Nun kommt Ihr Werk „Vor Hitze schützen“ zur rechten Zeit, sollte man meinen. Warum befassen Sie sich schon seit längerem mit den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels?

Prof. Dr. med. Henny Annette Grewe
Prof. Dr. med. Henny Annette Grewe (© Daniel Butowski)

Wir hätten bereits vor etwa 30 Jahren durch die Berichte des Internationalen Klimarates IPCC wissen können, dass der Klimawandel nicht kommt, sondern schon da ist, und welche Folgen er auch in Europa für die menschliche Gesundheit hat. Seit 2003 – dem sogenannten „Hitzesommer“ – wissen wir genau, was Hitze mit Menschen macht, die ihr hilflos ausgeliefert sind: In West- und Mitteleuropa forderte der Sommer 2003 etwa 70.000 zusätzliche Todesfälle, davon gut 9.000 in Deutschland. Dazu muss man sagen, dass in Deutschland nur der Südwesten von der Hitzewelle betroffen war, nicht das ganze Land. In vielen europäischen Ländern wurden in Folge dieses Hitzesommers Maßnahmen zur Prävention der Bevölkerung und zu ihrem Schutz während Hitzeperioden entwickelt – in vielen dieser Länder ist Hitzeschutz seit Jahren auch eine verpflichtende Aufgabe für die Gesundheitsversorgung.

Wir begleiten seit mehr als 15 Jahren Initiativen zum Hitzeschutz in Deutschland, und zwar sowohl auf Ebene der Kommunen und der Bundesländer als auch innerhalb der Gesundheitsversorgung und Pflege.

Hitze birgt insbesondere für vulnerable Gruppen ein hohes Gefahrenpotenzial. Was können Pflegende und Angehörige weiterer Gesundheitsberufe tun, um die Gefahr für z. B. Ältere, Erkrankte oder Schwangere einzudämmen?

Eine ganze Menge. Das Beste wäre natürlich, es wäre überhaupt nicht heiß, dann würde es vieler Maßnahmen gar nicht erst bedürfen. Das bedeutet z. B. für einen Wohnbereich: Wenn es dort kühl genug wäre, bräuchte man sich nicht oder zumindest deutlich weniger um eine Medikamentenanpassung, um Trinkprotokolle, um die Überwachung der Körpertemperatur, um eine Umstellung des Essens und andere Dinge mehr zu kümmern. Die wichtigste zu lösende Frage in heißen Sommern ist also: Wie halte ich eine kühle Raumtemperatur im Wohnbereich oder wie bekomme ich den Wohnbereich wieder kühl? Da gibt es dann eine Vielzahl von potenziellen Möglichkeiten, und zwar sowohl in der Akutsituation einer Hitzewelle als auch in der langfristigen Anpassung. In der häuslichen Wohnung von Menschen, die betreut werden, ist die Frage nach kühlen Räumen dieselbe, aber die Lösungsansätze sehen ein bisschen anders aus: Hier sind die Möglichkeiten der betreuenden Ärztinnen und Ärzte, der aufsuchenden Hebamme und der Pflegekräfte begrenzt und Beratung nimmt einen hohen Stellenwert ein.

Für alle Einrichtungen und Wohnumgebungen stellt sich natürlich auch die Frage, was zu tun ist, wenn es nicht gelingt, die Räume kühl zu halten. Auch hier steht wieder ein Portfolio an Maßnahmen zur Verfügung, die aufgrund thermophysiologischer Überlegungen plausibel sind oder für die sogar Wirksamkeit nachgewiesen wurde.

Hitze ist auch ein Thema, das die Organisation und das Management von Einrichtungen des Gesundheitswesens fordert. Was versteht man unter einem Hitzemaßnahmenplan und warum ist es wichtig, einen solchen in einer Einrichtung des Gesundheitswesens zu etablieren?

Ein Hitzeschutzplan oder Hitzemaßnahmenplan/Hitzeaktionsplan ist nichts anderes als das Ergebnis eines einrichtungsinternen Entwicklungsprozesses, der sich mit Hitze, ihren Folgen für die Gesundheit von Betreuten und Beschäftigten, den besonderen räumlichen, strukturellen und personellen Rahmenbedingungen der Einrichtung, dem Bedarf an Hitzeschutz und den für eben diese Einrichtung am besten geeigneten präventiven und schützenden Maßnahmen auseinandergesetzt hat. Bei Interventionen zum Hitzeschutz handelt es sich um komplexe Interventionen, um das Miteinander und das Ineinandergreifen von Maßnahmen, die zum Teil zu nicht vorhersagbaren Zeitpunkten und über einen nicht vorhersagbaren Zeitraum ausgeführt werden müssen. Es ist gut, wenn jede und jeder weiß, was wann, bei wem, wie und wie lange durch wen zu tun ist. Da ist es hilfreich, das verabredete Vorgehen festzuhalten und am Ende des Sommers zu schauen, was gut gelaufen ist und wo es Verbesserungsbedarf gibt.

Was meinen Sie, welche Möglichkeiten und Chancen hat das Gesundheitswesen, den Folgen des Klimawandels zu begegnen? Wird es nur noch darum gehen, die Folgen wie z. B. große Hitze bestmöglich managen zu können?

Das darf auf keinen Fall so sein. Das Gesundheitswesen ist mit etwa 5 % des CO2-Ausstoßes ein wesentlicher Mitverursacher des Klimawandels, insofern müssen – neben der Anpassung an das, was nicht mehr zu verhindern ist, wie z. B. Hitzewellen – sehr viele Anstrengungen im Klimaschutz unternommen werden. Dies ist zwar nicht Thema dieses Buches – hier geht es um Anpassung an Hitze –, aber es gibt Schnittmengen mit den Herausforderungen des Klimaschutzes, z. B. beim Stichwort Gebäudeanpassung und Klimatisierung. Zum Schutz von Menschenleben könnte Gebäudekühlung u. a. für Bettenstationen, Wohnbereiche und Werkstätten für Menschen mit speziellen Bedürfnissen zukünftig notwendig sein. Bei derartigen Vorhaben muss unbedingt auf den maximal möglichen Klimaschutz geachtet werden. Der technologische Fortschritt wird uns hoffentlich Jahr für Jahr bessere Lösungen für Dämmungen, Verschattungen und Klimatisierung bieten können.

Welches Rüstzeug bekommt der Leser Ihres Buches an die Hand, um mit dem Thema Hitze im Gesundheitswesen umzugehen?

Nun, weniger ein „Rezeptbuch“, das gute Tipps gibt, was man alles so machen könnte, wenn es heiß ist. Unser Anspruch ist es, Hitze und die Dimensionen der Auswirkung von Hitze auf uns Menschen, auf unsere Versorgungsstrukturen, auf das häusliche und berufliche Umfeld betreuter Personen und auf die Beschäftigten im Gesundheitswesen verständlich zu machen, den Leserinnen und Lesern Konzepte zur Prävention und zum Gesundheitsschutz in den unterschiedlichen Settings der Gesundheits- und Pflegeversorgung vorzustellen sowie Empfehlungen zum strategischen Vorgehen bei der Erstellung von Hitzeschutzplänen in unterschiedlichen Einrichtungstypen zu geben. Selbstverständlich sind auch alle Schutzmaßnahmen aufgeführt, und zwar hinterlegt mit dem aktuellen Stand der Forschung zu ihrer jeweiligen Wirksamkeit.

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