Interview mit Marion Rehm und Wolfgang Schwibbe

Marion Rehm und Wolfgang Schwibbe

Marion Rehm ist ausgebildete Krankenschwester und Dipl.-Gesund­heits­wissen­schaft­lerin. Sie leitet die Albertinen-Akademie der Albertinen Diakoniewerk gGmbH (Immanuel Albertinen gGmbH) in Hamburg.

Wolfgang Schwibbe ist Pädagoge und Andragoge. Er leitete die Albertinen-Akademie von 2000 bis 2016 und ist dort weiterhin als Senior-Berater tätig.

Beide sind Herausgeber des Buches „Praxiswissen Geriatrie“ welches einen Einblick in das gesammelte Wissen der Albertinen-Akademie zum Themens­pektrum Pflege und Betreuung in der Geriatrie liefert.

Frau Rehm, Herr Schwibbe, Sie beide haben bzw. hatten die Leitung der Albertinen Akademie in Hamburg inne. Was zeichnet diese Position aus, mit welchen Fragen sind Sie im Arbeitsalltag konfrontiert?

Zunächst natürlich mit allen Fragen der Fort- und Weiter­bildung in der Geriatrie, besonders für die Berufsgruppen Pflege, Therapie und Betreuung, gelegentlich auch Medizin. Spezieller mit jenen Fragen, die Inhalte, Curricula, (formale) Abschlüsse und Strukturen der Fort- und Weiterbildung betreffen.

Ein Beispiel aus der Praxis: es wurde sehr lange darum gerungen, mit welchen Inhalten, in welchem Umfang und mit welcher Ziel­setzung die Weiter­bildungen für geria­trische Pflege und Therapie erfolgen sollen, die der Bundes­verband Geriatrie unter dem Titel „ZERCUR GERIATRIE® – Fach­weiter­bildung …“ anbietet und die von den Akademien und anderen Bildungs­ein­rich­tun­gen durchgeführt werden. Die Albertinen-Akademie hat sich sehr früh und intensiv in diese Diskussion eingebracht.

Zum ersten Teil Ihrer Frage sei gesagt: Die damalige Entscheidung der Albertinen-Akademie, die Fachweiterbildung als Ganzes anzubieten und nicht nur einzelne Module, haben wir dann selbständig gefällt. Das war ein Risiko, denn niemand konnte zu Beginn sagen, ob wir genügend Teilnehmer für die vielen Module haben würden. Zum Glück hat es funktioniert, und das hat uns dann wieder einige weitere Lernprozesse beschert.

Was würden Sie sagen, sind derzeit die größten Heraus­forde­rungen vor denen die Weiter­bildungs­ein­rich­tun­gen in der Pflege/in der Gesund­heits­branche stehen?

Umschlag von "Praxiswissen Geriatrie"Die größte Herausforderung ist sicher, über­haupt genügend Beschäf­tigte in der Gesund­heits­branche, besonders in Pflege und Therapie, zu gewinnen und zu halten. Daher haben wir diesem Thema in unserem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet. Fort- und Weiter­bildung ist dabei natürlich nur ein Aspekt. Aber immerhin: mit guten und gezielten Angeboten kann man durchaus Menschen für diese Berufe gewinnen. Und man kann Menschen besser im Beruf halten, wenn es genügend Ent­wick­lungs­per­spektiven gibt, auch durch gezielte Weiterbildung.

Das gilt natürlich auch für die Ausbildung. Das ist die zweite große Heraus­forderung, Mit der nun endlich in Teilen umgesetzten genera­lisierten Pflege­ausbildung und dem geplanten Wegfall der Schul­gebühren in einigen Therapie­ausbildungen werden Perspek­tiven geschaffen, die es zumindest leichter machen, junge Menschen zu erreichen. Und natürlich haben die neuen Aus­bildungs­curricula große Aus­wir­kungen auf die Fort- und Weiter­bildung: Es wird viel wichtiger werden, thema­tische Vertie­fungen anzubieten, weil die genera­lisierte Aus­bildung zwar sehr umfassend, aber eben nicht so tief­gehend ist. Darauf werden sich unsere Ein­rich­tungen ein­stellen müssen.

Schließlich drittens: wenn die Aka­demi­sierung der Aus­bil­dungen voran­schreitet, wird die Konkurrenz der Anbieter zunehmen. Pflege­schulen geraten in die Krise, weil die (Fach-)Hochschulen diese Art der Ausbildung für sich reklamieren. Folge: die Schulen werden auszuweichen versuchen auf andere Bildungswege, auch auf Fort- und Weiterbildung. Das kann nun wieder die angestammten Akteure auf diesem Gebiet in Schwierigkeiten bringen. Hier wird man sehr genau sehen müssen, welche Strukturen angemessen sind und wo die Feldkompetenz wirklich vorhanden ist, und diese Debatte wird sicher nicht einfach.

Hinter einem Buchprojekt, insbesondere bei einem Herausgeberband, bei dem viele unterschiedliche Autoren zu verschiedenen Fachgebieten mitwirken, steckt viel Arbeit. Dennoch haben Sie sich an das Projekt herangewagt, was hat Sie motiviert?

Wir bieten seit vielen Jahren Fort- und Weiter­bildun­gen im geria­tri­schen Feld an, Ende September dieses Jahres begehen wir den 25. Jahrestag unserer Gründung. Viele der Buch­themen haben wir z.T. seit Jahren als Angebote in unserem Kurs­programm. Wir waren die Akademie, die vom damaligen Bundes­ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales beauftragt wurde, „Weiter- und Fort­bildung von Fach­kräften der Geriatrie und Geronto­logie im ganzen nord­deutschen Raum“ anzubieten. Prof. Meier- Baumgartner, unser damaliger Chefarzt und maßgebliche Initiator der Akademie, war der Gründungs­vorsitzende des Bundes­verbandes Geriatrie (der damals noch anders hieß) und sicherlich einer der maßgeblichen Köpfe der Geria­trie in Deutschland.

Aber natürlich nützen Verdienste der Vergangenheit nichts, wenn man nicht am Ball bleibt. Wir haben einen großen, meist sehr langjährigen und häufig auch freundschaftlichen Kontakt zu renommierten Referenten – aus unserem eigenen Unternehmen, aber mehr noch aus der gesamten Republik und dem Ausland. Zudem sind wir recht gut vernetzt und konnten darauf hoffen, dass wir mit unseren Referentenanfragen auf offene Ohren stoßen werden. Das alles hat uns die Suche nach Referenten sehr erleichtert.

Nicht verschwiegen sei, dass wir den Markt sondiert haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, dass ein Buch mit dieser Themenbreite für die Hauptzielgruppen Pflege und Therapie noch nicht existiert. Meist gibt es thematische Monografien, oder nur einzelne Berufsgruppen werden angesprochen. Und wenn umfangreiche Titel zur Geriatrie erscheinen, sind sie von Medizinern für Mediziner herausgegeben und in der Regel auch geschrieben.

Last not least haben wir den Umstand genutzt, dass der ehemalige Akademieleiter noch nah genug am Thema ist, über Erfahrung im Buchgeschäft und ein größeres Zeitbudget verfügt, während die aktuelle Akademieleiterin sehr enge Kontakte zu Referentinnen und Referenten hat, selbst aus der Pflege kommt und die aktuellen Entwicklungen in Fort- und Weiterbildung sehr genau verfolgt. Das ist schon eine spezielle Situation und eine große Chance.

Die einzelnen Buchbeiträge sind angelehnt an das Weiterbildungskonzept ZERCUR GERIATRIE®, was steckt hinter dieser Art der Weiterbildung?

Wir sprachen ja am Anfang schon kurz über ZERCUR GERIATRIE®. Bei der damaligen Diskussion über die Fachweiterbildung Pflege gab es folgende Ergebnisse:

  • 520 Unterrichts-Stunden für die Pflege bzw. 400 Unterrichtsstunden für Therapeuten, deren Inhalte sich aus den praktischen Anforderungen in der Geriatrie ergeben
  • Modularer Aufbau, zeitlich und örtlich sehr flexibel, wirklich am Lernverhalten erwachsener Berufstätiger orientiert
  • Module, die gemeinsam für Pflegekräfte und Therapeuten angeboten werden
  • Dezentrale Schulungsorte, in ganz Deutschland verteilt, aber zentrale Prüfung beim Bundesverband Geriatrie
  • Eigener, zertifizierter Abschluss: Zercur Pflegefachkraft Geriatrie bzw. Zercur Fachtherapeut Geriatrie

Sie sehen, wie intensiv und jenseits traditioneller Pfade da diskutiert wurde. Das ist im Gesundheitsbereich schon ziemlich einmalig, dass ein Verband eine so breite Debatte mit den Experten führt und am Ende folgerichtig eine so breit akzeptierte Weiterbildung steht. Und die Modularisierung gestattete es eben auch, Jahre später die Fachweiterbildungen für Therapie und neuerdings auch für Pflegehelfer zu starten.

Es war Ihnen wichtig, ein Buch nicht nur für die Pflege zu schreiben, sondern das multiprofessionelle Team in den Vordergrund zu stellen. Was macht dieses ihrer Meinung nach aus? Wie sieht das ideale multi­pro­fessio­nelle Team aus und kann man diese Art der Zusammenarbeit in Weiter­bildungen vermitteln?

Teamarbeit ist ja eine sehr häufig bemühte Formulierung, die nicht immer von der Realität gedeckt wird. Aber in der Geriatrie ist völlig klar: ohne Team geht es nicht, diese Erfahrung machen alle Berufsgruppen. Der Mediziner kann nicht ohne die Pflege, denn nur diese Berufs­gruppe ist 24 Stunden beim Patienten. Die Pflege wird ohne die Therapie keine angemessenen Fortschritte beim Patienten erzielen (oder zumindest Abbauprozesse vermindern können). Was diese drei Berufs­gruppen wissen, wissen sie häufig von den Psychologen, die verschiedene Tests durchgeführt haben. Wird der Patient entlassen, ist ohne passgenauen Anschluss nichts gewonnen – das Feld der Sozialpädagogen. Leid ist in der Geriatrie immer auch dabei – das Feld der Seelsorger.

Wir verweisen dazu auf Prof. Werner Vogel, der in Ihrem Verlag dazu ein eigenes Buch veröffentlicht hat: „Das Geriatrische Team“. Auch ihn konnten wir als Autor gewinnen, sein Kapitel steht am Anfang unseres Buches unter dem Titel: „Haltung, Handwerk und Holistik – Geriatrie und die Grundfragen des Lebens“. Darum geht es: um die Grundfragen des Lebens, um die ganzheitliche Betrachtung des Patienten oder Bewohners, und das ist nicht anders zu machen als multi­professio­nell im Team. Diese Art der Zusammenarbeit in Weiterbildungen zu vermitteln gelingt nur, wenn die Professionen auch zusammen geschult werden – womit wir wieder am Anfang sind: Der erste Kurs von ZERCUR GERIATRIE® war der Basiskurs mit 72 Unterrichtsstunden. Zu diesem Kurs heißt es in unserem Akademieprogramm: „Teilnehmende: Pflegepersonal, Therapeut/innen, Sozial­arbeiter/innen, Psycholog/innen, Ärztinnen und Ärzte.“

That´s it!

Wir danken Frau Rehm und Herrn Schwibbe vielmals für dieses interessante Interview.

Fachbereich(e): Pflege. Schlagwort(e) . Diese Seite als Lesezeichen hinzufügen.