Anlässlich des Erscheinens des Bandes Der Westen und die neue Weltordnung von Professor Dr. Heinz Theisen führten wir mit dem Autor das folgende schriftliche Interview:
Der Westen im 21. Jahrhundert scheint nur noch ein Schatten seiner selbst. Flüchtlingsstrom, Kriege und Wirtschaftskrise verschärfen die gesellschaftliche Diskussion. Wie lautet Ihre Bestandsaufnahme des Westens?
Die vom Westen ausgegangene Globalisierung ist diesem längst über den Kopf gewachsen. Die westlichen Versuche, nach dem Ende der Sowjetunion eine neue Weltordnung durch die Universalisierung seiner Werte und Strukturen aufzubauen, haben die Welt weiter destabilisiert. Eine neue Weltordnung kann auch nicht mit UN-Resolutionen, sondern nur noch in der Kooperation des Westens mit anderen Großmächten wie insbesondere Russland und China gelingen, also in einer multipolaren Weltordnung. Dafür muss der Universalismus in eine nüchterne Politik der politischen Koexistenz und Kooperation – trotz fortbestehender Wertedifferenzen und auch trotz ökonomischer Rivalitäten – umgeformt werden.
Sind internationale Konflikte wie der Syrienkrieg überhaupt zu lösen und falls ja, welche Möglichkeiten gäbe es?
Heute ist der Konflikt nur noch zusammen mit Russland zu lösen. Das wäre die erste Aufgabe einer multipolaren Ordnung. Damit einher gingen die gemeinsame Eindämmung des Islamismus und die Anerkennung des säkularen Regimes von Asad als dem kleineren Übel gegenüber dem Islamismus. Die endlosen Verstrickungen dieses Krieges enthalten die Lehre, dass sich der Westen nicht in die Konflikte innerhalb der islamischen Welt einmischen sollte.
Seine Interventionen haben weder der islamischen Welt noch dem Westen Glück gebracht. Die Waffenlieferungen an die „demokratischen“ Rebellen in Syrien via Saudi-Arabien und der Türkei haben den „Islamischen Staat“ ja erst möglich gemacht, gegen den wir uns nun wiederum verteidigen müssen. Nach der notwendigen Eindämmung des Islamismus wird es in Zukunft zwischen dem Westen und der islamischen Welt um Abstand, gegenseitigen Respekt und Koexistenz gehen müssen.
Demokratie war lange Zeit ein Exportschlager des Westens, nun haben autoritäre Regime wie in Ungarn oder der Türkei Konjunktur, selbst im Mutterland der westlichen Welt den USA hat ein Populist die Wahlen gewonnen und scheint wenig Interessen, an einer geordneten Politik zu haben. Hat die Demokratie ausgedient oder bietet sie weiterhin Raum für die Hoffnung von Millionen?
Die Demokratie ist das Dach, welches man bekanntlich erst am Schluss auf ein stabiles Gebäude aufsetzen sollte. Ein Nation Buildung, wie etwa in Afghanistan oder dem Irak mit Wahlen zu beginnen, war unhistorischer Unsinn. Mit den finanziellen und sicherheitspolitischen Folgen seiner Überdehnungen hat sich selbst die Demokratie im Westen geschwächt.
In diesen geht es längst nicht mehr um Kategorien wie Links oder Rechts, sondern vorrangig um den noch unverstandenen Konflikt zwischen Globalisten und Partikularisten. Zwischen ihnen müssen – wie in anderen Großkonflikten auch – dritte Wege und Synthesen gefunden werden. Statt neu zu differenzieren, diffamieren sich die Konfliktakteure aber gegenseitig mit den alten Begriffen, die nicht zu begreifen helfen. Wenn diese geistige Krise überwunden wird, hat die Demokratie wieder eine Zukunft.
Wie beurteilen Sie den Anfang des 21. Jahrhunderts. Vor welchen Herausforderungen wird der Westen stehen und wie kann er diesen begegnen?
Damit die derzeitige Weltunordnung nicht im Chaos endet, muss der Westen seine Strategien auf seine Einbettung in eine multipolare Weltordnung ausrichten. Er muss sich nach außen begrenzen und nach innen behaupten. Am islamistischen Terrorismus und an die Migrationsströme sehen wir, wie eng beide Strategien zusammenhängen.
In dieser Situation sind weder Interventionen noch offene Grenzen hilfreich, aber auch nicht Gegenextreme wie eine Abschottung. Wir brauchen mittlere Wege wie Hilfe zur Selbsthilfe in der Entwicklungspolitik, gesteuerte Einwanderung, Gegenseitigkeiten statt Gemeinsamkeiten in der Weltpolitik und kontrollierende Grenzen, die als Steuerungsinstrument jeglicher Staatskunst unverzichtbar sind. Ein Mittelweg zwischen Globalismus und Nationalismus wäre die Konzentration auf die jeweilige eigene Großregion und ihre Nachbarschaft. Die USA hätten sich statt auf den Mittleren Osten auf Mexiko konzentrieren sollen. Die Europäische Union muss sich auf solche Staaten begrenzen, die zu Problemlösungen beitragen. Sie muss ihre Grenzen nach außen schützen und nach innen subsidiäre Vielfalt pflegen.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Buch besonders?
Dass der Kohlkammer Verlag durch seine Vorgaben den Seitenumfang begrenzt hat. Dies zwang mich zur Kürze und darin liegt – hoffentlich – auch die Würze.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.