Es ist noch nicht einmal ein Jahr vergangen seit Erscheinen der 1. Auflage Ihres Werks. Wie geht es Ihnen, wie haben Sie dieses ungewöhnliche Jahr erlebt? Haben Sie Rückmeldungen erhalten, die Sie ganz besonders dazu ermutigt haben, bereits nach so kurzer Zeit schon die 2. Auflage anzugehen?
Ohne Zweifel war das ein sehr aufregendes Jahr für mich. Persönlich musste auch ich, wie die meisten Menschen, auf viele geliebte Gewohnheiten verzichten und einiges zurückstellen. Andererseits habe ich das große Glück, nicht zu jenen Gruppen zu gehören, die ganz besonders unter der Pandemie leiden. Ich stehe beispielsweise finanziell auf sicheren Beinen, habe keine Vorerkrankungen, lebe nicht allein, musste nicht im Homeoffice arbeiten und so weiter. Menschen, denen es in beispielsweise diesen Aspekten anders geht, sind von der Pandemie besonders betroffen.
Zudem hat mir die Arbeit an dem Buch viel Freude gemacht und ich konnte dadurch viele neue Kontakte knüpfen oder Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen intensivieren. Ganz persönlich half mir die Arbeit am Manuskript natürlich auch immer wieder selbst dabei, zu Frustrationen der Pandemie Distanz zu bekommen und den Blick wieder auf die ganze Komplexität des Geschehens auszuweiten. Für mich speziell hatte die Pandemie daher neben den vielen negativen Seiten auch solche einzelnen positiven Effekte. Dass ich so schnell an einer 2. Auflage arbeiten würde, hätte ich nach dem großen Kraftakt der 1. Auflage niemals gedacht. Als die Anfrage des Verlags dann kam, zweifelte ich jedoch keine Sekunde. Zu wichtig sind die Inhalte, die wir im Buch zusammengefasst haben. Ich möchte zum Beispiel daran erinnern, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der 1. Auflage das Thema der psychologischen Auswirkungen der Pandemie erst aufkam und noch nicht so breit in der Gesellschaft diskutiert wurde wie heute. Ich denke, dass wir mit der 1. Auflage dazu beitragen konnten, dass differenziert und präzise über psychologische Effekte von pandemischen Entwicklungen berichtet werden kann, und hoffe, dass die 2. Auflage diesen Diskurs weiter vertieft.
Im letzten Jahr sind unzählige wissenschaftliche Studien erschienen, die die psychischen Auswirkungen der Pandemie untersuchten. Wie ist Ihr Eindruck zur aktuellen Studienlage?
Die Pandemie zeigt auf, wie breit und vielfältig die psychologischen Forschungsfelder aufgestellt sind. Sie hat m.E. viele Stärken, aber auch viele Schwächen der Forschungswelt aufgezeigt. Seit dem Beginn der Pandemie sind rund um den Globus zahlreiche Studien zu den psychologischen Auswirkungen der Pandemie erschienen, wobei den unterschiedlichsten Fragestellungen nachgegangen wurde. Unter dem großen Druck des Publizierens werden aber auch Schwächen des Systems sichtbar. So fehlt es an groß angelegten multizentrischen Studien, in denen sich internationale Institute vernetzen, um gemeinsam und gebündelt Fragestellungen nachzugehen. Zudem wurden seit Beginn der Pandemie viele Studien publiziert, die methodisch den State-of-the-art-Anforderungen nicht gerecht werden, sodass die Studienergebnisse hin und wieder auch missbraucht werden können. In dem Sammelwerk haben wir vor allem auf jene methodisch gut aufgestellten sowie international großen Studien zurückgegriffen, die allesamt versuchten, die ganze Breite und Vielfältigkeit der unterschiedlichen psychologischen Auswirkungen der Pandemie abzubilden.
Angesichts der aktuellen dritten Corona-Welle bleibt die ersehnte Rückkehr zur Normalität noch aus. Welche psychischen Auswirkungen der Pandemie lassen sich zum aktuellen Zeitpunkt der 2. Auflage besser beschreiben?
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der 1. Auflage mussten wir unsere Aussagen vordergründig auf Studien aus dem asiatischen Raum oder aus augenscheinlich vergleichbaren Situationen aus anderen Epidemien stützen. So kam eine Mehrzahl der COVID-19-Studien aus China oder wir mussten versuchen, Effekte und Auswirkungen aus Studien, die während der Ebola-, MERS- oder der SARS- Epidemie durchgeführt wurden, abzuleiten. In der Zwischenzeit wurden aber sehr viele, zum Teil methodisch und inhaltlich qualitativ hochwertige europäische Studien veröffentlicht, die es uns erlauben, sehr viel detailliertere und aussagekräftigere Aussagen zu treffen. Zudem existiert heute eine sehr viel höhere Anzahl an Studien, die auch sehr spezifischen Fragestellungen nachgegangen sind. So kann nach dem Stand heute sowohl globaler als auch differenzierter über die Auswirkungen der Pandemie einerseits für bestimmte Gesellschaftsgruppen und andererseits für einzelne Menschen berichtet werden. Zudem haben wir in der 2. Auflage neue Themen aufgegriffen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der 1. Auflage noch nicht so aktuell waren. Hier sind z.B. Themen wie Impfskepsis/Impfangst, Verschwörungstheorien oder psychologische Auswirkungen des Maskentragens zu nennen.
Das soziale Leben ist in Zeiten von Social Distancing und Kontaktbeschränkungen über lange Zeit stark eingeschränkt, private Treffen finden nur mit einer geringen Anzahl von Freunden und Familienangehörigen statt, und selbst dabei hält man Abstand und unterlässt eine freundliche Umarmung oder einen Handschlag zur Begrüßung. Welche psychischen Folgen hat das? Werden wir auch langfristig distanzierter miteinander umgehen?
Wir Menschen sind soziale Wesen, vielleicht die sozialsten, die auf dieser Welt leben. Uns mit anderen Menschen zu verbinden ist es, was uns als Spezies stark gemacht hat. In Krisen- und Ausnahmesituationen ist es zudem so, dass wir den inneren Drang und das intuitive Bedürfnis haben, zusammenzurücken und den sozialen Zusammenhalt und die soziale Unterstützung umso mehr zu intensivieren. Gerade deswegen also, weil wir in dieser spezifischen Ausnahmesituation unsere intuitive Bewältigungsstrategie zurückstellen müssen, ist diese Situation so belastend für uns. Kurzfristig kann das zu ausgeprägten psychischen Belastungssymptomen führen, die in ihrer Art und ihrer Intensität individuell sehr unterschiedlich sein können. Für die meisten Menschen sollte dies nach Ende der Pandemie auch wieder abklingen. Auch wenn die Belastungen für die meisten Menschen also wieder abnehmen dürften, werden die gegenwärtigen und anhaltenden Kontaktbeschränkungen unsere Interaktion und unser Sozialverhalten sicherlich auch längerfristig verändern. Bereits in vorherigen Epidemien konnte beispielsweise beobachtet werden, dass auch noch Jahre danach die Interaktion zwischen Menschen von stärkerer Angst und Zurückhaltung geprägt war.
Vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe!
Charles Benoy (Hrsg.)
COVID-19
Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche
Einschätzungen und Maßnahmen aus psychologischer Perspektive
2., erw. und überarb. Auflage 2021
178 Seiten. Kart.
€ 29,–
ISBN 978-3-17-040590-5
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