Oben scheint das Licht

Ein Weg aus dem Trauma

 

Wolfgang Klietz ist Redakteur beim Hamburger Abendblatt.
In seinem Buch „Oben scheint das Licht“ beschreibt er die Symptome seiner Posttraumatischen Belastungsstörung und seinen Weg, mit den Traumata umgehen zu lernen.
Ãœber seine Motive, dieses Buch zu verfassen und welche Therapieform ihm am meisten bei der Ãœberwindung seiner Traumata geholfen hat, gibt er in unserem kurzen Interview Auskunft.

Was hat Sie dazu veranlasst, Ihre sehr persönliche Geschichte der Traumatisierung und deren Behandlung in Buchform zu fassen?

Am Anfang stand der Wunsch, die Krankheit, die komplexen Prozesse der vergangenen Jahrzehnte und die aufreibende Therapie überhaupt in Worte zu fassen. Damit möchte ich vielen Betroffenen zeigen: Ihr seid nicht allein, Hilfe ist möglich – auch wenn es anstrengend ist. Man muss nur genau hinsehen, welche Therapie passt.
In meinem Fall war es die Narrative Expositionstherapie (NET), der ich enorme Fortschritte verdanke, auch wenn ich inzwischen davon überzeugt bin, dass Traumata niemals verschwinden. Aber der Leidensdruck kann erheblich abnehmen.
Zum Thema Trauma liegt kaum autobiografische Literatur vor, zu anderen psychischen Krankheiten dagegen reichlich. Wenn ich mit dem Buch eine Lücke schließen kann und andere Betroffene animiere, nicht zu resignieren, sondern Mut zu fassen, dann hat sich das Schreiben gelohnt.
Außerdem war es für mich persönlich hilfreich, die sehr lange Geschichte meiner Krankheit und die unzähligen Einflüsse zu sortieren und die Wechselwirkungen zu verstehen, zum Beispiel bei der epigenetischen Weitergabe von Traumata vorangegangener Generationen, die für meine persönliche Disposition prägend waren.
Doch sollte niemand glauben, dass ich in dem Buch mein ganzes Seelenleben preisgebe. Ich lege Wert auf Privatsphäre und will mein Umfeld schützen – besonders natürlich meine Familie. Doch zum Verständnis der Krankheit und der Therapie war es unerlässlich, den Leser tief in meine Psyche blicken zu lassen.

In Ihrem Buch geben Sie den Lesern Einblick in die Hintergründe verschiedener traumatischer Ereignisse, die nicht nur Sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten Ihres Lebens, sondern auch bereits Ihre Eltern erlebt haben: Worin besteht zwischen diesen Traumata möglicherweise Verbindendes?

Als junger Mensch habe ich nie verstanden, warum mich manche Erzählungen meiner Eltern beunruhigt haben. Sie sprachen vom Zweiten Weltkrieg und den Bombenangriffen, die sie selbst erlebt haben. Außerdem berichtete meine Mutter von ihrem Vater, der die Hölle des Ersten Weltkriegs in den Schützengräben erleiden musste.
Inzwischen gibt es wissenschaftlich keine Zweifel mehr, dass solche Erlebnisse in der Familie die Nachkommen prägen. Vererbt wird die Disposition: Bin ich für bestimmte Gefahren besonders sensibel? Oder schaffen die epigenetischen Einflüsse eine Widerstandskraft? Beides ist möglich.
In meinem Fall hat sich das ererbte Bewusstsein für eine Gefahr bestätigt – ein fatales Zusammentreffen: Meine 1935 geborene Mutter wäre als Kind beinahe ertränkt worden und leidet darunter bis heute. Ich wäre als Kind beinahe gestorben, als ich in ein Schwimmbecken stürzte.
Es gibt noch mehr Beispiele: Meine Eltern haben große Ängste während der Bombenangriffe ausgestanden. Ich wuchs als Kind im Kalten Krieg auf und lebte seit meinem 13. oder 14. Lebensjahr mit der ausgeprägten Angst, dass zwischen Ost und West ein verheerender Krieg ausbrechen könnte. Möglicherweise hätte ich weniger Furcht vor dem nuklearen Overkill gehabt, wenn meine Eltern nicht die Angst vor Bomben, Zerstörung und Tod erlebt hätten.

Worin liegt im Rückblick für Sie das Besondere der Narrativen Expositionstherapie (NET), die für Sie nach vielen vergeblichen Anläufen die Überwindung Ihrer Traumata gebracht hat?

Die NET ist eine von vielen Therapieformen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich untersucht und belegt ist.
Ich halte den Therapieansatz für sehr gut: Die NET setzt auf Konfrontation mit dem traumatischen Erleben. Ziel ist es, den Horror in die Biografie zu integrieren – nach dem Motto: Das war furchtbar, aber jetzt weiß ich, dass es vorbei ist.
Traumata können meines Erachtens nur behandelt werden, wenn die Erlebnisse ausgesprochen und – auch wenn es hart ist – emotional noch einmal durchlebt werden. Damit ist es mir gelungen, diffuse Angst- und Panikgefühle einem lange zurückliegenden Ereignis zuordnen zu können.
Es mag sonderbar klingen: Dass ich als kleiner Junge beinahe ertrunken wäre, war bis vor einigen Jahren für mich ein Vorgang, den ich nicht als traumatisch identifiziert hatte. Gleichzeitig kämpfte ich mit Panikattacken und Intrusionen. Die Todesangst war stets – ohne Anlass – präsent. Das permanente Gefühl, das Leben könnte in der nächsten Sekunde vorbei sein, ebenfalls.
Dass diese Angst ihre Ursache in einem Trauma hatte, habe ich bis zum Beginn der Therapie allenfalls intellektuell verstanden, aber nicht emotional.

Gibt es vor dem Hintergrund Ihrer Geschichte einen Rat, den Sie von einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffene Menschen geben möchten?

Jeder Traumatisierte hat seine eigene Geschichte und muss für sich genau hinschauen, für welche Therapie er sich entscheidet. Dabei gilt in der Medizin der lange gültige Satz „Fass das Trauma nicht an“ nicht mehr. Das Signal, das Therapeuten mit dieser Auffassung aussenden, ist fatal: Wie schlimm muss es um mich stehen, wenn nicht einmal mein Therapeut sich mit dem Trauma befassen will?
Traumatherapie bedeutet: Aussprechen und Konfrontieren. Meines Erachtens gelingt nur so, das Trauma in die Biografie zu integrieren – mit allen Emotionen. Dafür braucht es Mut, einfühlsame Therapeuten und ein sicheres Umfeld, zum Beispiel in einer Klinik.
Auch sollte der Patient prüfen, ob für ihn in einem Krankenhaus die oft verordnete Stabilisierungsphase hilfreich ist. „Der Herr Klietz muss erst einmal zur Ruhe kommen“, habe ich in manchen Kliniken gehört. Doch der Herr Klietz ist nicht zur Ruhe kommen. Auch von anderen Patienten weiß ich, dass gerade der Beginn eines Aufenthalts in einer Fachklinik gleichsam die Seele öffnet.
Das heißt: In diesem geschützten Umfeld tritt das Trauma zu Tage. Die gut gemeinte Idee, durch Stabilisierung Kraft für die Konfrontation zu schaffen, funktionierte in meinem und anderen Fällen nicht, weil die Ruhe nicht eintrat – im Gegenteil.

Was verbindet Sie mit der Organisation „vivo international e.V.“, die Sie mit dem Verkauf Ihres Buches unterstützen?

Ich bin der Traumaexpertin Dr. Maggie Schauer von der Universität Konstanz dankbar, dass sie als Begründerin der NET das Vorwort zu meinem Buch geschrieben hat. In den vielen Gesprächen berichtete sie mir von ihrer Arbeit bei vivo international, einem Netzwerk von Spezialisten, die traumatisierte Menschen in Krisengebieten, insbesondere in der sogenannten Dritten Welt, behandeln. Dazu zählen zum Beispiel Kindersoldaten, Überlebende des Völkermords in Ruanda oder Menschen in Elendsvierteln, in denen Gewalt herrscht.
Vivo international ist in manchen Regionen der Welt die einzige Organisation, die Traumatisierte behandelt und dabei mit großem Erfolg die NET nutzt. Dieses ehrenamtliche Engagement ist es meines Erachtens wert, unterstützt zu werden. Darum freue ich mich sehr, dass der Kohlhammer-Verlag meiner Anregung zugestimmt hat, einen Euro von jedem verkauften Buch vivo international zu spenden.

Wolfgang Klietz
Oben scheint das Licht
Ein Weg aus dem Trauma

2022. 120 Seiten mit 7 Abb. Kart.
€ 29,–
ISBN 978-3-17-042744-0

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