Anlässlich einiger Neuerscheinungen in der Reihe „Lehren und Lernen“ haben wir mit Prof. Dr. Gold, einem der Reihenherausgeber, ein kurzes Interview geführt.
Welche Auswirkungen haben die internationalen Vergleichsstudien zu Schul-/Schülerleistungen vom Beginn des Jahrhunderts auf die Bildungslandschaft in Deutschland?
Studien wie TIMSS oder PISA hatten bildungspolitische Auswirkungen und Auswirkungen auf die Bildungsforschung. Zu den bildungspolitischen Folgen gehört etwa die Einführung von Bildungsstandards und von Vergleichsarbeiten. Auch dass man die Frühe Bildung, also die vorschulische Lernförderung stärker in den Blick genommen hat, ist eine bildungspolitische Folge. Die empirische Bildungsforschung hat durch TIMSS und PISA ebenfalls Auftrieb erhalten. Es wurde seither viel mehr über Sprach- und Leseförderung, über Unterrichtsqualität, über den Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen sowie über soziale und andere Disparitäten in Bildungsbeteiligung und -erfolg geforscht. Auch die Etablierung einer regelmäßigen Bildungsberichterstattung ist eine PISA-Folge.
Inwiefern hat sich dadurch die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern an den Universitäten verändert?
Die Lehrenden in den Bereichen Pädagogik und Psychologie und in den Fachdidaktiken haben die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die bildungspolitischen Veränderungen aufgegriffen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Deshalb ist auch eine kontinuierliche Weiterbildung der bereits tätigen Lehrerinnen und Lehrer so wichtig. Viel rascher als früher werden nun aber Erkenntnisse der empirischen Bildungsforschung – man denke nur an die Arbeiten zur Unterrichtsqualität von Andreas Helmke, Eckhard Klieme, Mareike Kunter und anderen – direkt für die Lehramtsausbildung an den Universitäten nutzbar gemacht.
Als Reaktion haben Sie die Reihe „Lehren und Lernen“ ins Leben gerufen. Könnten Sie bitte das Konzept der Reihe kurz erläutern?
Wir haben die Reihe 2008 konzipiert. Das erste Buch ist 2010 erschienen. Mittlerweile sind es acht Bände, einige davon bereits in der zweiten Auflage. Die Grundidee ist, Lehren und Lernen aus den Perspektiven der Psychologie, der Pädagogik und der Fachdidaktiken zugleich zu betrachten. Und dass dies auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse geschieht.
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Aus welchen Gründen haben Sie sich für ein interdisziplinäres Herausgeberteam entschieden?
Pädagogische und psychologische Theorien über Schule und Unterricht lassen sich ohne Bezug zu einem fachlichen Inhaltsbereich oder Curriculum nicht sinnvoll behandeln. Deswegen sind zwei Fachdidaktikerinnen (für Mathematik und Deutsch), eine Grundschulpädagogin und ein Psychologe die Herausgeber der Reihe.
Was ist das Besondere an der Reihe „Lehren und Lernen“ im Vergleich zu anderen Werken in diesem Bereich? Wodurch zeichnet sich die Reihe aus?
Die empirische Ausrichtung, der Anwendungsbezug im Hinblick auf Schule und Unterricht und die Interdisziplinarität. Außerdem haben sich die Autoren um eine verständliche und kompakte Darstellungsweise und um Gestaltungsmerkmale bemüht, die eine rasche Orientierung ermöglichen sollen. Mittlerweile sind beispielsweise Bände zum Kooperativen Lernen, zur Lesekompetenz, zu ADHS in Schule und Unterricht und zu Deutsch als Zweitsprache erschienen.
Auch die „Frühe Bildung“ – Ihr eigener Beitrag in dieser Reihe – hat durch die erste PISA-Studie einen deutlich Anstieg in der öffentlichen und bildungspolitischen Aufmerksamkeit erfahren. Könnten Sie die Folgen und ggf. damit verbundenen Probleme kurz erläutern? Wie wurden diese gelöst?
Den Band habe ich gemeinsam mit Frau Dr. Minja Dubowy geschrieben. Auf den ersten Blick mutet es merkwürdig an, dass man die mittelmäßigen Lesekompetenzen der 15-Jährigen in PISA zum Anlass genommen hat, die frühkindliche Bildung, also das Kindergartenalter in den Fokus zu rücken. Es ist aber in der Tat so, dass sich die wichtigen individuellen Lernvoraussetzungen im Kindergartenalter entwickeln. Und dass wir bei den Drei- bis Sechsjährigen ansetzen müssen, um Entwicklungsauffälligkeiten möglichst frühzeitig mit einer systematischen individuellen Förderung zu begegnen. In den meisten elementarpädagogischen Einrichtungen wird bereits gute Arbeit geleistet, aber die dort tätigen Erzieherinnen müssen auf die weiter steigenden Anforderungen noch besser vorbereitet werden. Dem quantitativen Ausbau der Kindertageseinrichtungen muss deshalb unbedingt eine Qualitätsoffensive zur Seite gestellt werden.
Wie sieht frühe Bildung in Deutschland aus und wie wird sie konkret umgesetzt?
Das lässt sich in der Kürze schwer beantworten, denn aufgrund der Trägerautonomie und der Wahlfreiheit der Eltern herrscht im deutschen Elementarbereich eine große Heterogenität der Organisationsformen und pädagogischen Konzepte. Außerdem gibt es große Unterschiede in Bezug auf die beiden Altersgruppen der unter- und der über-Dreijährigen. Grundsätzlich können wir vier große inhaltliche Förderbereiche der frühen Bildung unterscheiden. Sie finden sich in den Bildungsplänen der Bundesländer wieder: Sprachliche, naturwissenschaftlich-mathematische, kognitive und sozial-emotionale Förderung. Der Bereich der Sprachförderung spielt aufgrund seiner herausragenden Bedeutung für den späteren Schulerfolg eine besonders wichtige Rolle. Auch die Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs gehört im weiteren Sinne zur Sprachförderung. Für alle Förderbereiche kann man sagen, dass es kein einheitliches und für alle Einrichtung empfehlenswertes Vorgehen gibt, um die frühen Bildungsziele zu erreichen. Grundsätzlich kann je nach Bedarf und je nach Ausgangsbedingungen einer Einrichtung sowohl eine ganzheitliche Förderung als auch ein zusätzlicher Einsatz spezifischer Förderprogramme notwendig und effektiv sein kann.
Welche Auswirkungen hat die vorschulische Betreuung auf die Kinder?
Unstrittig ist, dass sich frühe Bildungsanstrengungen günstig auf die sprachliche und kognitive Entwicklung von Kindern auswirken. In praktisch allen Studien zeigen sich kurzfristige positive Effekte, in einigen sogar längerfristige Auswirkungen bis ins Schulalter hinein. Dabei erweist sich die Qualität der Betreuung als Schlüsselmerkmal für ihre Effektivität. Besonders ausgeprägt sind die positiven Effekte für Kinder aus benachteiligten Familien. Kontrovers debattiert werden in Deutschland die Auswirkungen früher außerfamiliärer Betreuung auf die emotionale Entwicklung von Kleinkindern. Hier kann man zusammenfassend festhalten, dass neuere Studien ein sozial-emotionales Entwicklungsrisiko durch eine frühe nicht-mütterliche Betreuung nicht belegen. Unter bestimmten Bedingungen kann allerdings eine frühe außerfamiliale Betreuung in Kombination mit bestimmten Risikofaktoren zu einer erhöhten Stressbelastung der Kinder führen. Hier kommt jedoch der Betreuungsqualität und -intensität eine moderierende Funktion zu.
Wir danken Ihnen ganz herzlich für das Interview.
Das Interview führte Celestina Filbrandt.
Die Reihe „Lehren und Lernen“ wird herausgegeben
von Prof. Dr. Andreas Gold, Professor für Pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt/M.,
Prof. Dr. Cornelia Rosebrock, Professorin für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft mit den Schwerpunkten Literaturdidaktik, literarisches Lernen und Lesesozialisation am Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt/M.,
Prof. Dr. Renate Valtin, emeritierte Professorin für Grundschulpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin, und
Prof. Dr. Rose Vogel, Professorin für Didaktik der Mathematik im Primarstufenbereich an der Goethe-Universität Frankfurt/M.
Folgende Bände sind bisher in der Reihe „Lehren und Lernen“ erschienen: