Soziologie verstehen – Christina Laut und Thomas Kron im Interview

Die Soziologie ist ein äußerst kompliziertes Fach, das besonders in den ersten Semestern des Studiums sehr herausfordernd ist. Wie kann Studierenden der Zugang zu ihrem Fach erleichtert werden? Das erklären Christina Laut und Thomas Kron, Autoren der Einführung „Soziologie verstehen“, im Interview.

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Thomas Kron/Christina Laut
Soziologie verstehen
Eine problemorientierte Einführung

237 Seiten, 14 Abb. Kart. € 34,–
ISBN 978-3-17-036861-3

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Frau Laut, Herr Professor Kron, was macht die Soziologie zu einem so komplexen Fach?

Christina Laut
Christina Laut

Christina Laut: Die Soziologie ist gar nicht so komplex, sondern vielmehr multiparadigmatisch. Das heißt, dass es zu jedem Problem mehr als nur eine Lösung gibt. Es scheint daher manchmal so, als würde jede Denktradition ‚ihr eigenes Süppchen kochen‘.

Thomas Kron: Ich sehe mehrere Gründe. Erstens gibt es in der Soziologie nicht solche Grundlagen wie etwa die Grundrechenarten in der Mathematik. In der Soziologie führen viele Wege nach Rom (also zur soziologischen Beobachtung). Zweitens haben wir es mit handlungsfähigen Einheiten (Menschen) zu tun, die durch soziale Strukturen geprägt werden, die sie selbst erzeugen. Dieses Henne-Ei-Problem macht es schwierig. Und drittens sind Soziolog:innen selbst Teil dessen, was sie erforschen – und verändern dies zugleich mit dieser Forschung.

Was also macht es gerade Studierenden der ersten Semester so schwer, einen Weg in die Soziologie zu finden?

Thomas Kron
Thomas Kron

Th. K.: Das Hauptproblem ist meines Erachtens, dass am Anfang ein ‚roter Faden‘ fehlt. Man hört von klassischen Autoren, unterschiedlichen Theorien, Methoden, verschiedenen Sachthemen usw. Und man weiß gar nicht, wie das alles miteinander zusammenhängt, dafür bräuchte man weiteres Wissen, das man erst später erwirbt. Das ist oft ziemlich frustrierend. Außerdem meint man ja, man kennt die Gesellschaft, weil man ‚in ihr‘ lebt. Vieles, was die Soziologie berichtet, ist da erst mal irritierend.

Ch. L.: Ja, es ist verwirrend, zunächst Max Webers paragraphierte Definitionen zum Begriff der sozialen Handlung zu lesen und direkt darauf zu hören, dass Niklas Luhmann den handelnden Akteur in seiner Theorie ausschließt. Zu allem Überfluss vermittelt der Abstraktionsgrad jener Theorien zuweilen den Eindruck, aus einem Elfenbeinturm heraus die Welt zu betrachten. Aktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse, wie beispielsweise der gesellschaftliche Umgang mit der Covid-19-Pandemie, scheinen zunächst gar keinen Platz darin zu finden.

Wie trägt Ihr Lehrbuch „Soziologie verstehen“ zu einem erfolgreichen Start im Studium bei?

Ch. L.: Mit unserem Lehrbuch haben wir versucht, die Soziologie aus ihrem Elfenbeinturm zu holen. Dafür haben wir uns an anderen Fachbereichen orientiert. In den MINT-Fächern ist es häufig viel wichtiger, zunächst Lösungsansätze für konkrete Probleme vorzulegen, als sich in den Details von Großtheorien zu ergehen. Und auch für Studienanfänger:innen ist ein Einstieg einfacher, wenn erst die Grundprobleme der Fachdisziplin skizziert werden. Entlang dieser grundlegenden Skizze lässt sich dann zeigen, wie unterschiedliche Theoretiker:innen versucht haben, jene Probleme mit ihren Antworten zu lösen – sodass am Ende ein vollständiges Bild entsteht.

Th. K.: Unser Motto beim Schreiben war immer: Weniger Frust, mehr Spaß. Denn die Probleme, mit denen sich die Soziologie beschäftigt, sind super spannend – das sind Rätsel, die Spaß machen.

Was möchten Sie Studierenden mit auf den Weg geben für die ersten Semester, aber auch für den weiteren Studienverlauf?

Th. K.: Das Wichtigste ist: Viel Lesen! Soziologie ist ein Lesestudium. Am Anfang kann man sich z.B. intensiv mit den verschiedenen Einführungsbüchern beschäftigen. Später würde ich anraten, sich intensiv mit einer Sache zu beschäftigen, die einem Spaß macht, z.B. mit einer Theorie gründlich auseinandersetzen. So dass man einen sicheren Standpunkt entwickelt, mit dem man die anderen Dinge, die man noch lernt, besser abgleichen kann. Wer irgendwann Soziolog:in ist, der oder die kann den soziologischen Blick sowieso nicht mehr ausschalten. Hier müsste die Apotheker-Warnung hin: Es kann Risiken und Nebenwirkungen haben, die eigene Welt soziologisch zu beobachten. Es bleibt also auch nach dem Studium spannend.

Ch. L. :Soziologie braucht wie jede andere Wissenschaft vor allem eines: Neugier. Und wer neugierig darauf bleibt Mechanismen hinter sozialen Phänomenen zu ergründen, darf sich von der Soziologie immer neue spannende Ansätze erwarten.


Prof. Dr. Thomas Kron hat den Lehrstuhl für Soziologie an der RWTH Aachen inne. Christina Laut ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.

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