Anlässlich des Erscheinens des Werkes „Fest des Glaubens oder Folklore?“ haben wir mit der Autorin Prof. Dr. Ilona Nord über die kirchliche Praxis der Trauung als auch ihre theologische Reflexion gesprochen.
Liebe Frau Prof. Nord, soeben erschien Ihr Buch „Fest des Glaubens oder Folklore – Praktisch-theologische Erkundungen zur kirchlichen Trauung“. Ausgehend von alltäglichen Fragestellungen aus der seelsorgerischen und theologischen Praxis, untersuchen Sie darin die Kasualie Trauung im Blick auf ihre konkrete Feiergestalt, ihrem theologischen Sinngehalt und den sie begleitenden religiösen und säkularen Ritualen. Als Pfarrerin und Professorin kennen Sie aus erster Hand sowohl die kirchliche Praxis der Trauung als auch ihre theologische Reflexion.
Was hat Sie bewogen, sich mit der Kasualie Trauung, diesem „Sorgenkind der Kasualtheorie“, auseinanderzusetzen?
Es gab große Diskussionen um den Wandel in den Geschlechterverhältnissen und Lebensformen in den letzten drei Jahrzehnten, innerhalb der Gesellschaft, aber eben auch innerhalb von Kirchen. Noch heute dauern diese an. In diesen Prozessen der Auseinandersetzung ist es wichtig, verschiedene Orientierungen klar auszuarbeiten. In der kirchlichen Praxis haben bereits viele Pfarrerinnen und Pfarrer eigene Versuche unternommen, der Ausdifferenzierung nachzukommen. Von diesen Erfahrungen und der religiösen Praxis aus wollte ich gern einen Beitrag dazu leisten, die Trauung aus der Stigmatisierung als Sorgenkind herauszuholen. Nicht die Trauung ist das Problem, sondern die verwaltungsbezogenen Bedingungen und auch die theologischen Prämissen, die gestellt werden, soll sie problemlos gefeiert werden.
Der Wert, der dem Ort der Trauung (der Location), der Musik, der Mitwirkungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten von Freunden und Familien, etc. beigemessen wird, scheint ständig zuzunehmen. Die Inszenierung (und ihre Dokumentation in Bild und Film) treten scheinbar an die Stelle theologischer Bedeutungsschwerpunkte der kirchlichen Feier, wie dem Trausegen. Sehen Sie darin besondere Herausforderungen für SeelsorgerInnen und TheologInnen?
Sicher ist es eine Herausforderung, wenn man sich im Alltag des Pfarrberufs bei jeder Trauung auf höchst spezielle Wünsche und Ideen an dieses Fest einstellen muss. Das heißt hoher organisatorischer Aufwand, zu dem man/frau eigentlich keine Zeit und auch kein Personal mehr in den Kirchengemeinden hat. Dazu kommt, dass sozusagen in jeder Familie Brüche und Konflikte zu erwarten sind, die im Rahmen des Gottesdienstes zum Thema werden können. Zuweilen lernen die Pfarrpersonen die Traupaare erst beim Vorgespräch kennen und sie wissen dann nichts über diese Hintergründe. Seelsorgerliches Fingerspitzengefühl ist hier in hohem Maße gefragt, um gute Kommunikationen zu ermöglichen. Theologisch tun sich völlig neue Felder auf, die im Studium zumeist nicht vorgearbeitet werden konnten, denke man etwa an die Entwicklung einer interreligiös gestalteten Trauung, die in globalisierten Welten immer häufiger mehrsprachig durchgeführt werden muss.
Bricolage-Spiritualität, interkonfessionelle oder interreligiöse Partnerschaften und ein tiefgreifender Bedeutungswandel traditioneller Lebensmuster prägen das religiöse Leben vieler Menschen – und vieler Christen. Gleichzeitig legen viele Paare Wert auf eine feierliche Trauung. Welche Bedeutung hat die kirchliche Trauung vor dem Hintergrund der spätmodernen Lebenswirklichkeit viele Paare?
Die Trauung ist häufig ein Vergewisserungsfest, an dem das Trauversprechen eine hohe Bedeutung erhält. Man verspricht sich einander. Da ist man dann immer auch über sich hinaus. Versprechen heißt stets mehr zu sagen als man derzeit verbürgen kann. Hier liegt sicher eine wichtige religiöse Funktion der Trauung in hochmodernen Zeiten.
Traufe (die gleichzeitige Feier der Trauung der Eltern und der Taufe eines oder mehrerer ihrer Kinder), Segnungsfeiern für unverheiratete Paare, die Feier der zweiten oder dritten Trauung, inklusive Trauung von Paaren, die mit Behinderungserfahrungen leben, oder die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften – die Kasualie Trauung stellt sich heute so vielgestaltig dar, wie nie zuvor. Wie sollten Ihrer Meinung nach die Kirchen auf die veränderten Anforderungen, die die plurale Lebenswirklichkeit der Menschen an die Feier der Trauung stellt, reagieren?
Aus der Perspektive der Pfarrerinnen und Pfarrer gesprochen: Sie sollten versuchen sich in das Netzwerk, das zu einer Trauung oder einer Traufe entsteht, hineinzubegeben und Kommunikation mit den Beteiligten aufzunehmen. Viele tun dies bereits. Dann wird es darum gehen, religiöse Kommunikationen aufzuspüren. Ich glaube, es wird ganz viel religiös kommuniziert rund um eine Trauung, da ist viel zu entdecken. Ich denke außerdem, dass Pastorinnen und Pastoren an Vieles hervorragend anknüpfen können. Jede Trauung ist nach meiner Erfahrung anders. Insofern geht es schließlich auch darum, jeden einzelnen Fall ernst zu nehmen und sich wieder auf ihn einzulassen, auch wenn manche Vorschläge, die kommen, verrückt klingen. Die Kirchen sollten beginnen, die Pluralität der Lebensformen zugewandt zu begrüßen: nicht nur jeder Mensch ist ein einzigartiges Geschöpf vor Gott, sondern auch jedes Paar ist ein einzigartiges Paar, so wie es bei der Trauung vor den Altar tritt. Aber hinzu kommt, dass die kirchliche Trauung Jahrhunderte lang bestimmte Gruppen von Menschen diskriminiert hat, indem sie ihnen die Trauung vorenthalten hat. Menschen, die mit physischen, psychischen oder geistigen Behinderungen leben, Menschen verschiedener Ethnien und kulturellen Prägungen, verschiedenen sozialen Status, nicht heterosexueller Orientierung und auch jene verschiedener Konfessionen oder Religionen konnten nicht heiraten und sich infolgedessen nicht trauen lassen. Die Trauung ist ein Ereignis, zu dem viele Menschen in unserem Land keinen Zugang erhalten haben und noch immer nicht erhalten. Hier müssen die Gemeinden Signale für eine Umkehr zu einer diversitäts- und inklusiv orientierten Kirche setzen.
Frau Prof. Nord, Sie stellen die provokante Frage, ob die Trauung ein „Fest des Glaubens“ ist, oder sich doch zur reinen „Folklore“ entwickelt. Stehen wir am Beginn einer neuen Kasualtheorie zur Trauung?
Meine Antwort lautet, dass die Trauung immer beides ist:
Fest des Glaubens und auch Folklore. Und letztere sollte man nicht unterschätzen. Viele Paare lassen sich trauen, weil sie zumindest in einer versteckten Ecke ihres Herzens doch einmal als das märchenhafte Paar gesehen werden wollen. Die Trauung ist das Fest, das zwei sich gefunden haben und das Gefundensein noch einmal zelebrieren. Natürlich auch immer in vielen Ambivalenzen. Mit der Traum- oder Märchenhochzeit hängen dann auch die Vorstellungen von der ewigen Liebe zusammen. Doch sie lastet dem Paar unendlich viel auf. Für die israelische Soziologin Eva Illouz ist diese Vorstellungswelt ein Grund dafür, warum sie sagt, dass Liebe weh tut. Das soll sie aber nicht. Deshalb stellt sich die Frage, wie Liebe noch verstanden werden kann. Die evangelische Theologie verfügt über einen reichhaltigen Fundus zu ihrer Deutung. Eine vieldimensionale Deutung der Liebe kann aus der Fixierung auf diese seit der Antike kursierenden Verschmelzungsvorstellung heraushelfen. Dies löst übrigens auch Probleme, die mit der sakramentalen Dimension zusammenhängen, die im Verständnis von der Ehe und der Trauung oft anzutreffen sind. Liebe und Intimität sind ein sehr hohes Gut im Leben vieler Menschen. Umso wichtiger ist es, sie von der Last überfordernder Bedeutungen zu befreien. Dann eröffnen sich neue Räume, freiwillig für Treue und den Schutz der eigenen Intimität einzutreten.
Wir danken Ihnen sehr für das Interview, Ihre Zeit und Mühe.
Das Interview führte Daniel Wünsch.