Nach Jahrzehnten der Zurückhaltung präsenÂtiert sich die VolksÂrepublik China als selbstÂbewusste Weltmacht auf dem interÂnatioÂnalen Parkett. Dieser historisch beispielÂlose (Wieder-)Aufstieg wäre ohne die rasante gesellÂschaftÂliche und wirtÂschaftÂliche EntÂwickÂlung kaum denkbar. Dabei gibt der ordnungsÂpoliÂtische Rahmen bis heute Rätsel auf. In der Verfassung ist eine „soziaÂlisÂtische MarktÂwirtÂschaft“ festÂgeÂschrieben. Hierbei handelt es sich nicht um eine libeÂrale, sondern um eine büroÂkratisch adminisÂtrierte, autoriÂtäre Ordnung, in der der Staat und damit die KommuÂnisÂtische Partei die Regeln vorgeben. Die Staats- und ParteiÂführung kontrasÂtiert in letzter Zeit verÂstärkt die natioÂnale SonderÂstellung Chinas als GegenÂmodell zu den marktÂlibeÂralen GesellÂschafÂten des Westens und lockt potenÂzielle Partner in Afrika und SüdostÂasien mit finanÂziellen Mitteln für gewaltige EntÂwicklungsÂprojekte („neue SeidenÂstraße“). Ziele sind Dominanz und der Aufbau eines „neuen Reiches der Mitte“.
In seinem aktuellen Buch „Ziele und Werte ‚soziaÂlistiÂscher MarktÂwirtÂschaft‘“ legt Prof. Nass aufbauend auf einer Analyse der aktuellen chineÂsischen WirtÂschafts- und GesellÂschaftsÂordnung das WerteÂfundaÂment der aktuellen chineÂsiÂschen Politik offen. Damit soll das kritische NachÂdenken über die OrdnungsÂethik westÂlicher ÖkoÂnomie einerÂseits, ein verantÂwortÂbares VerÂhalten des Westens gegenÂüber China andererÂseits herausÂgefordert werden.
Elmar Nass
Ziele und Werte „sozialisÂtischer MarktÂwirtschaft“
Chinas Wirtschaft aus ordnungsÂethischer Sicht
2023. 154 Seiten, 11 Abb., 5 Tab. Kartoniert. € 25,–
ISBN 978-3-17-043746-3
Aus der Reihe: Wirtschaft kontrovers
„Das Spiel im Käfig muss dann wirtÂschaftÂlichen Erfolg und umerzogene Menschen hervorÂbringen, die dem Kollektiv dienen und sich für die Partei aufopfern.“ |
Der ökonomische PragmaÂtismus der Chinesen ist legendär, da stellt sich gleich zu Beginn die Frage, ob die WirtÂschaftsÂordnung dort überÂhaupt eine Rolle spielt?
Dieser Pragmatismus folgt einem obersten Ziel. Für die Wirtschaft Chinas besteht das höchste gesellÂschaftÂliche Ziel darin, die Macht der KommuÂnistiÂschen Partei Chinas (KPCh) zu sichern. Das ist nach dem Bild eines früÂheren Beraters von Deng Xiaoping der Käfig, in dem sich alles weitere abspielen muss. Dies ist die oberste Werte-Ebene. Das Spiel im Käfig muss dann wirtÂschaftÂlichen Erfolg und umerÂzogene Menschen herÂvorÂbringen, die dem Kollektiv dienen und sich für die Partei aufopfern. Das ist die abgeleitete, zweite Werteebene. Die WirtÂschaftsÂordnung schließÂlich soll diesen sekunÂdären Zielen von WohlÂstand und UmerÂziehung dienen. Das ist die dritte Werte-Ebene. Momentan ist eine StaatsÂwirtÂschaft mit marktÂwirtÂschaftÂlichen EleÂmenten dazu das ausgeÂwählte Instrument. In zehn Jahren wird es womögÂlich eine andere Ordnung sein.
Die chinesische Regierung fährt im Moment einen sehr vorÂsichÂtigen Kurs in Sachen WirtÂschaft – wie steht es um die „soziaÂlistiÂsche MarktÂwirtÂschaft“ im Moment?
Staatliche ReglemenÂtierunÂgen haben unter Xi Jinping wieder zugenommen. Marktwirtschaftliche InstruÂmente wie PrivatÂeigenÂtum und UnterÂnehmerÂtum werden durch die Partei verÂstärkt kontrolliert. Auch nimmt die chineÂsische Führung wahr, dass mit der MarktÂöffnung so genannte kapiÂtalisÂtische UntugenÂden wie Geiz, Korruption und Gier das konfuÂziaÂnisch geprägte Ziel der Harmonie gefährden. Die KPCh sucht deshalb nach der AlterÂnative einer passenden SozialÂkultur im Käfig. Dies führt zu einer ZurückÂdränÂgung des Marktes und zu einem Erstarken kollekÂtivistiÂscher Staatswirtschaft.
Die KPCh will möglichst bald die Regeln der Weltordnung nach ihren Zielen bestimmen. |
Ist das deutsche bzw. westliche Konzept des Wandels durch wirtÂschaftÂliche AnnäheÂrung im Umgang mit China eigentlich gescheitert?
Ja. In China zielt die Mischung aus Kommunismus, KonÂfuziaÂnismus und PatrioÂtismus auf einen globalen hegeÂmonialen Anspruch: wirtÂschaftÂlich, poliÂtisch und auch militäÂrisch. Patriotische AuslandsÂchinesen imporÂtieren kaum FreiheitsÂwerte, sondern vor allem nützÂliches Know-How und Devisen. Die KPCh will möglichst bald die Regeln der WeltÂordnung nach ihren Zielen bestimmen. Das hat Xi Jinping immer wieder in seinen Reden ausÂdrückÂlich gefordert. Ein Wandel zu einer freiÂheitÂlichen Ordnung ist nicht in Sicht. Repression gegenÂüber AndersÂdenkenden und SozialÂkontrollen im Land werden verschärft und perfekÂtioniert. Und sie werden von einer MehrÂheit toleÂriert, die schon zu neuen soziaÂlistiÂschen Menschen umerzogen wurden. Die können mit freiÂheitÂlichen Werten in unserem Sinne nichts anfangen.
Was würden Sie vor diesem HinterÂgrund für die künfÂtige GestalÂtung der wirtÂschaftÂlichen BeziehÂungen raten?
Ziel muss es sein, dass chineÂsische und westÂliche UnterÂnehmen und RegieÂrunÂgen auf AugenÂhöhe ehrlich miteinÂander verhanÂdeln und handeln. Davon sind wir derÂzeit weit entfernt, sind wir doch in hohem Maße abhängig von China (Rohstoffe, LieferÂketten, ArbeitsÂplätze, AbsatzÂmärkte u.a.). Solange uns das daran hindert, offen etwa unlauÂtere Verträge (etwa der so genannÂten SeidenÂstraße) oder MenschenÂrechtsÂverletÂzungen zu benennen, besteht aus ethiÂscher Sicht eine Schieflage. Deshalb müssen die AbÂhängigÂkeiten Schritt für Schritt abgeÂbaut und neue HandelsÂpartÂnerÂschaften etwa mit Indien, Japan, Taiwan u.a. umgehend weiter ausgebaut werden.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. theol. Dr. soc. Elmar Nass ist Inhaber des LehrÂstuhls für ChristÂliche SozialÂwissenÂschaften und gesellÂschaftÂlichen Dialog an der der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und dort zudem Prorektor.