Ökonomische Implikationen der Generationenforschung – ein Gespräch mit unserem Autor Rüdiger Maas

Die Generationenforschung ist aus den Bereichen Marketing und Vertrieb, Konsumentenforschung, Kommunikation und Public Relations sowie Personalwirtschaft und Führung nicht mehr wegzudenken. Die typologisierende Einteilung der Generationen in X (Geburtsjahrgänge 1965–1980), Y (1980–1995) und Z (1995–2010) liefert ein analytisches Erklärungs- und Differenzierungsinstrument, das in vielen einschlägigen Arbeiten wie ein klassisches BWL-Instrument verwendet wird. Trotzdem werden diese Begriffe häufig ohne Kenntnis ihrer methodischen Grundlagen, Voraussetzungen sowie ohne Wissen über Möglichkeiten und Grenzen ihrer Verwendbarkeit im ökonomischen Kontext gebraucht, wodurch sich Analyse- und Denkfehler ergeben können.
Das vor kurzem erschienene Einführungsbuch (Neueste Generationenforschung in ökonomischer Perspektive. Reichen Generation X, Y, Z zur Beschreibung der Wirklichkeit aus?) schlägt vor diesem Hintergrund eine Brücke zwischen den soziologisch-psychologischen Grundlagen und den ökonomischen Anwendungsbereichen der gängigen Generationeneinteilung und -forschung. Wir haben mit dem Autor Rüdiger Maas, Psychologe und Leiter des Instituts für Generationenforschung in Augsburg, gesprochen.

Rüdiger Maas
Neueste Generationenforschung in ökonomischer Perspektive
Reichen Generation X, Y, Z zur Beschreibung der Wirklichkeit aus?
2021. 108 Seiten. Kart. € 39,–
ISBN 978-3-17-041114-2
Wir beobachten die sozialen Folgen der Individualisierung, Digitalisierung, aber auch pluralere Lebenswirklichkeiten schon seit Jahren am lebenden Objekt – wird es für die Generationenforschung nicht immer schwieriger, ihr Forschungsobjekt – die jeweilige Alterskohorte bzw. Generation – analytisch und methodisch zu fassen?
Wie sich Gruppen von Menschen mittels welcher Begrifflichkeiten kategorisieren lassen, ist ein Jahrhunderte gar Jahrtausende altes Problem. Bereits 700 bis 800 v. Chr. gab es schon dokumentierte Erläuterungen bzw. Einteilungen von Generationen. Homer hatte damals zum Beispiel in seinem Werk „Ilias“ die Weisheit des Herrschers Nestor auf dessen Lebensdauer zurückgeführt. 400 Jahre danach sprach Herodot davon, dass drei Generationen ein Jahrhundert umfassen. Später erweiterte sich dieser Begriff, so sah Kant den Generationenbegriff vielmehr als die Aufgabe der Älteren, die Jüngeren zu erziehen.
Erste wissenschaftliche Versuche kamen sehr viel später. Als einer der Pioniere kann hier der Soziologe Karl Mannheim gesehen werden. In seinem Werk „Das Problem der Generationen“ aus dem Jahr 1928 hatte Mannheim den Nagel auf den Kopf getroffen: Es ist nicht einfach festzustellen, was eine Generation ausmacht. Denn das, was den Generationenbegriff kennzeichnet, ist abhängig von Raum und Zeit.
Für die Generationenforschung unserer Zeit kommt die Digitalisierung als zusätzliche Herausforderung hinzu, da dadurch eine neue Welt im Digitalen geschaffen wurde, die ihre eigenen Mechanismen hat. Diese wirken sich wiederum unterschiedlich auf Menschen verschiedenen Alters aus. Die Digitalisierung hat zudem noch ungeahnte Ausmaße, was die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen betrifft. Die Generationenforschung ist daher umso mehr aufgefordert, interdisziplinär zu arbeiten.
Was sind aus Ihrer Sicht typische Fehler bei der Verwendung der Generationenbegriffe im ökonomischen Kontext?
Häufig entbehren die im Rahmen der Populärwissenschaft verwendeten Generationenbegriffe und die darauf aufbauenden generationellen Zuschreibungen jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Oft sind diese Zuschreibungen inkonsistent bzw. widersprechen sich. Was den jeweiligen Generationenbegriff kennzeichnet, darüber wird oft gar nicht aufgeklärt. Stattdessen werden ohne eine existierende theoretische Grundlage häufig Vorurteile als generationelle Merkmale zugeschrieben: Babyboomer seien egoistisch, X´ler klammerten sich an Statussymbole, Y´ler sind unpolitisch und Z´ler haben keinen Respekt vor Autoritätspersonen. Zuschreibungen ohne Begründung sind schlicht unzulässig. Sie ordnen Menschen in Schubladen ein und tun ihnen damit unrecht. Ratgeber, die über solche Merkmale berichten, sind jedoch sehr populär, da Komplexes simplifiziert dargestellt wird. Das Gelesene wird unter Umständen auch angewendet und schlimmstenfalls trifft die selbsterfüllende Prophezeiung zu: Beispielsweise behandeln Arbeitgeber Neuankömmlinge schlechter, weil sie diesen unterstellen, sie seien respektlos.

Mitunter werden die Generationenbegriffe X, Y und Z, etwa in Marketing, PR und Personalführung, ganz selbstverständlich und mit großer Bestimmtheit verwendet. Sie als Generationenforscher sind damit vorsichtiger, warum?
Menschen werden in willkürliche Kategorien ohne wissenschaftliche Basis eingeordnet. Häufig sind die Zuschreibungen nicht mehr als ein Abbild eines populärwissenschaftlichen medialen Diskurses um Generationen. Das heißt, sie halten das fest, was das Gros der Medienwelt über bestimmte Generationen denkt und fühlt. Die Aussagekraft solcher Generationenbegriffe geht nicht über den Status einer temporären Zeitdiagnose hinaus, die wissenschaftlich betrachtet keine Handlungsanweisung bieten kann.
Hinzu kommt, dass häufig Konstrukte abgefragt werden, die in Abhängigkeit von der Zeit mit unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen sind. Jugendliche zu fragen, ob sie politisch sind, macht keinen Sinn, denn das, was „politisch sein“ auszeichnet, ist zeitabhängig und durch die Gesellschaft mitbestimmt. Für Alterskohorten, die vor 30 Jahren etwa 20 Lebensjahre alt waren, bedeutete politisch zu sein, einer Partei anzugehören. Für die heutigen Jugendlichen kann politisch sein mit veganer Ernährung oder der Teilnahme an der Fridays For Future-Bewegung verknüpft sein. Die beiden Konstrukte über das „politisch sein“, sind deshalb gar nicht vergleichbar. Wir sehen hier sogar eine Inkommensurabilität.
Man liest allenthalben von der Generation Alpha, die Angehörige der Geburtsjahrgänge 2010-2025 umfasst. Sie halten sich mit Einschätzungen aber zurück und haben sicher einen guten Grund dafür.
Die Generationeneinteilungen in den Populärwissenschaften wirken oft willkürlich. So rufen einige dieser Vertreter in Zeitabständen von 15-Jahresschritten einfach neue Generationen aus. So gibt es bereits Vermutungen über die Merkmale der Generation Beta, die Kinder, die erst ab 2025 geboren sein werden. Eine neue Generation kann aber nur entstehen, wenn bestimmte gemeinsame Merkmale bei Menschen ähnlichen Alters hervorgerufen wurden. Es kann also nicht vorhergesagt werden, dass immer innerhalb von 15 Jahren ein solches Ereignis stattfindet, dass imstande sein wird, gemeinsame Merkmale hervorzurufen.
Zumal die Merkmale zudem biografisch stabil sein sollten. Die Persönlichkeit eines Menschen befindet sich zum Zeitpunkt, zu welchem Merkmale über beispielsweise die Generation Alpha, also zwischen 2010 und 2025 Geborene, proklamiert werden, noch in ihrem Entwicklungsprozess. Man beurteilt quasi Kinder und orakelt wie diese als Erwachsene sein werden. Aus psychologischer Perspektive ist es fraglich, so weit im Voraus über eine Altersgruppe derartige Aussagen zu treffen, die das gesamte Leben lang gültig sein sollen. Entscheidend in der Generationenforschung ist zudem nicht nur, dass die Merkmale betreffender Personen lebenslang stabil bleiben, sondern auch, dass sie spezifisch sind. Spezifisch deshalb, um nicht in die Falle eines Alterseffektes zu tappen: Heutigen Jugendlichen wird beispielsweise oft nachgesagt, sie hätten keinen Respekt vor Autoritätspersonen. Ist das spezifisch für eine Generation oder einfach Ursache eines Alterseffekts, weil es schon immer ein Merkmal von Jugendlichen war, sich in der Pubertät gegen Autoritätspersonen aufzulehnen?
Wir danken Ihnen für das Gespräch!