Das gesamte Spektrum der Altersmedizin für Klinik und Praxis

Im Interview geben die vier Herausgeber des umfassenden Praxishandbuchs „Geriatrie“ Einblicke in die Motivation und Ziele hinter dem ambitionierten Buchprojekt. Sie erläutern die Besonderheiten der Geriatrie im Vergleich zu anderen medizinischen Fachrichtungen und geben ihre Einschätzungen zu den Chancen und Herausforderungen des Fachgebiets in den kommenden Jahren. Zudem geben sie jungen Ärztinnen und Ärzten Ratschläge für den Einstieg in die Altersmedizin.

Umschlagabbildung des Buches

Bauer/Becker/Denkinger/Wirth (Hrsg.)
Geriatrie
Das gesamte Spektrum der Altersmedizin für Klinik und Praxis

2024. 942 Seiten mit 202 Abb. und 188 Tab. Fester Einband
€ 189,–
ISBN 978-3-17-041794-6

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Was hat Sie dazu bewegt, sich neben all Ihren klinischen Verpflichtungen einem solch großen Vorhaben wie dem Herausgeberwerk „Geriatrie“ zu widmen?

In der Vergangenheit lagen bereits mehrere Bücher zur Geriatrie vor. Diese waren jedoch entweder von nur einem Autor bzw. von nur einer kleinen Autorengruppe verfasst worden oder es fand sich in diesen Büchern auch ein großer Anteil von Texten zu gerontologischen Themen. Letztere, finden wir, sind für die Mehrzahl ärztlicher Leserinnen und Leser von nur begrenztem Interesse, so dass die Attraktivität dieser Werke für diesen Personenkreis, insbesondere für Ärztinnen und Ärzte außerhalb der Geriatrie, etwas leiden dürfte.

Herausgeber des Geriatrie Therapiebuchs
Die Herausgeber (v. l. n. r.):
Prof. Dr. med. Jürgen M. Bauer • Prof. Dr. med. Rainer Wirth
Prof. Dr. med. Michael Denkinger • Prof. Dr. med. Clemens Becker

Welches Ziel haben Sie mit diesem Werk in erster Linie verfolgt?

Wir wollten ein aktuelles Standardwerk vorlegen, in welches wir eine Vielzahl akademisch geschulter Autorinnen und Autoren eingebunden haben, um auf wissenschaftlicher Grundlage den bestmöglichen Kenntnisstand zu einem breiten Spektrum geriatrischer Themen zu vermitteln. Im Prinzip präsentieren wir ein Werk, welches mit den Standardwerken anderer Disziplinen, wie z. B. denen der Neurologie oder der Kardiologie, qualitativ und quantitativ vergleichbar ist. Damit möchten wir auch die Wahrnehmung unseres Faches und dessen Stellung im Fächerkanon verbessern.

Wodurch unterscheidet sich Ihr Werk von den bislang im deutschsprachigen Raum erschienenen Werke zur Geriatrie und Altersmedizin?

Wir realisierten eine starke medizinische Ausrichtung, d. h., dass die Gruppe der Ärztinnen und Ärzte unsere primäre Zielgruppe darstellt. Wir würden uns aber auch über Interesse aus anderen Disziplinen wie Pflege, Physiotherapie, Psychologie etc. sehr freuen. Ferner denken wir, dass die Ausführlichkeit der Darstellung vieler Themen sich von anderen Werken unterscheidet. Zudem konnten wir für alle Themen Expertinnen und Experten aus den jeweiligen Gebieten gewinnen. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass die Autorinnen und Autoren in der Regel bereits eine Vielzahl von Publikationen zu den jeweiligen Themen vorgelegt haben.

Hand aufs Herz: Was hat Ihnen als Herausgeber am meisten Freude bereitet? Worin bestanden aber auch die größten Schwierigkeiten in der Herausgabe eines solch umfangreichen Werkes mit über 200 Autorinnen und Autoren?

Die Freude war in unterschiedlichen Phasen durchaus verschieden ausgeprägt. Wir würden die mittlere Phase, in der wir die Texte „einsammelten“ und redigierten, als die anstrengendste bezeichnen. Die Startphase mit der Zusammenstellung der Inhalte und der Erstellung der Gliederung empfanden wir als kreativ und stimulierend. Gegen Ende war die sich abzeichnende Komplettierung des Werkes auch eine sehr angenehme Erfahrung. Aktuell freuen wir uns auch sehr über den Zuspruch, den das Buch bereits aus der Szene erfährt.

Worin bestehen Ihrer Meinung nach die Besonderheiten der Geriatrie im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen?

Geriaterinnen und Geriater sind ja doch eine ärztliche Gruppe mit einer sehr unterschiedlichen beruflichen Herkunft und unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Uns verbindet aber der starke Fokus auf den Erhalt der Funktionalität und die Lebensqualität der älteren Patienten. Zudem ist es die tägliche Teamarbeit mit Pflege, Therapie, Sozialarbeit und Psychologie, die uns von anderen medizinischen Fächern unterscheidet. Dies bedeutet, dass man in der Geriatrie in besonderem Maße holistisch denkt und unser Handeln im Sinne der Patienten teambasiert erfolgt.

Worin bestehen in naher und ferner Zukunft die größten Chancen, aber auch die größten Herausforderungen der Geriatrie?

Eine große Chance ist es, im Kontext der aktuellen demografischen Entwicklung das Konzept des Funktionserhalts bei älteren Patienten während und nach akuter Krankenhausbehandlung in kooperativen Strukturen auch außerhalb der Geriatrie sowie im ambulanten Bereich mitzugestalten. Es ist wünschenswert, dass politische Entscheidungsträger zukünftig noch mehr das Gespräch mit den Fachvertretern der Geriatrie suchen, damit die diesbezüglichen Voraussetzungen geschaffen werden. Der diesbezügliche Bedarf wird in beiden Sektoren in den nächsten Jahren steil ansteigen.
Die größte Herausforderung dürfte die Gewinnung der für die Verwirklichung moderner geriatrischer Konzepte erforderlichen Zahl von Geriaterinnen und Geriatern sowie von Pflegefachpersonen und Therapeutinnen und Therapeuten sein. Wir benötigen aber auch noch wesentlich mehr Geriaterinnen und Geriater, die eine akademische Karriere erstreben, da wir anderenfalls unser Fach nur unzureichend weiterentwickeln können.

Was macht Ihnen in Ihrem Alltag in der Klinik am meisten Spaß, was fordert Sie heraus, was bestärkt Sie in Ihrem Tun?

Es ist eine Freude, nach der mittlerweile doch sehr umfangreichen Schreibtisch- und Managementtätigkeit zurück auf die Stationen zu kommen, um sich dort im freundlichen interdisziplinären Miteinander unseren Patienten zuzuwenden. Deren Dankbarkeit ist beglückend. Der Umgang mit den Angehörigen stellt dabei eine immer größer werdende Herausforderung dar. Das medizinische System setzt mancher Erwartung deutliche Grenzen. Dieser Abgleich ist bisweilen anstrengend und erschöpfend.

Was möchten Sie jungen Geriaterinnen und Geriatern mit auf den Weg geben?

Geriatrie lohnt sich auf vielfältige Weise – für unsere Patienten, für die Gesellschaft und für uns selbst. Die wachsende Anerkennung für unser Fach ist ein klarer Beleg für diese Tatsache. Die Entscheidung für unser Fach war daher die richtige.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!


Prof. Dr. med. Jürgen M. Bauer ist Leiter des Geriatrischen Zentrums am Universitätsklinikum Heidelberg, Direktor des Netzwerks Alternsforschung der Universität Heidelberg sowie Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhauses Heidelberg.
Prof. Dr. med. Clemens Becker ist Leiter der Unit Digitale Geriatrie, Medizinische Klinik, Geriatrisches Zentrum am Universitätsklinikum Heidelberg.
Prof. Dr. med. Michael Denkinger ist Ärztlicher Direktor der Agaplesion Bethesda Klinik Ulm, Leiter des Geriatrischen Zentrums Ulm und Direktor des Instituts für Geriatrische Forschung, Universitätsklinikum Ulm.
Prof. Dr. med. Rainer Wirth ist Direktor der Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation des Marien Hospitals Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum.

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