Zwischen Sparzwang und Wachstumszielen

Finanzpolitik ist ein zentraler Bestandteil der Wirtschafts­politik eines Staates. Sie umfasst die Gestaltung von Einnahmen und Ausgaben des Staates, insbesondere durch Steuern, Staats­verschuldung und öffentliche Konsum- und Investitions­ausgaben. Ziel der Finanzpolitik ist es, das Wirtschafts­wachstum zu fördern, die soziale Gerechtig­keit zu sichern und die Stabilität des Finanz­systems zu gewährleisten. Dabei müssen Regierungen komplexe Frage­stellungen beantworten, die richtigen Prioritäten setzen und auf aktuelle wirtschaftliche Heraus­forderungen reagieren. Hermann Adam beschreibt in seinem neuen Buch verständlich und unaufgeregt die zentralen Aspekte deutscher Finanzpolitik. Wir konnten ihn für ein Interview gewinnen.

Lieber Herr Adam, beginnen wir mit einem Thema, das uns aus der Presse bestens bekannt ist: die Staats­verschuldung. Welche Möglich­keiten haben denn Regierungen, die Staats­verschuldung in einer Zeit hoher Inflation und Wirtschafts­krisen nachhaltig zu reduzieren?

Das sehen Regierungen je nach ihrer politischen Ausrichtung unterschiedlich. Konservativ-liberale Regierungen reduzieren die Staats­ausgaben meist im Sozialhaushalt, linke Regierungen erhöhen die Steuern für die oberen Einkommens­gruppen. Koalitions­regierungen aus Parteien, die unter­schiedlichen politischen Lagern angehören, können sich meist nur schwer auf geeignete Maßnahmen verständigen. Der beste Weg, Staats­verschuldung wieder abzubauen, ist höheres Wirtschafts­wachstum. Aber wie sich das am besten erreichen lässt, ist wiederum politisch kontrovers.

Welche Auswirkungen hat die Digitalisie­rung auf die Steuerpolitik und die Bekämpfung von Steuer­hinterziehung?

In den letzten Jahren haben die meisten „einfachen Steuer­zahler“ bereits mit der Digitalisie­rung in diesem Bereich Bekannt­schaft gemacht, indem sie ihre Steuer­erklärung digital abgegeben haben. Teilweise hat das die Abgabe der Erklärung vereinfacht, weil viele Belege nur noch nach Aufforderung des Finanzamts eingereicht werden müssen. Für die „großen Steuerzahler“, die alljährlich riesige Geld­beträge bewegen, dürfte Steuer­hinterziehung künftig schwieriger werden. Denn durch Einsatz neuer Technologien können die Finanz­behörden riesige Daten­mengen wie Bank­transaktionen, Immobilien­käufe und grenz­überschreitende Geldflüsse analysieren und ungewöhnlich hohe Transaktionen identifizieren, die nicht zu den üblichen Einnahmen und Ausgaben einer Person oder eines Unternehmens gehören und betrügerisches Verhalten vermuten lassen. Auch der Austausch von Steuer­daten über Länder­grenzen hinweg und damit die weltweite Zusammen­arbeit der Steuerbehörden wird damit leichter möglich. Voraus­setzung ist allerdings, dass die einzelnen Regierungen dies auch politisch wollen und die Steuer­behörden zum Daten­austausch verpflichten.

Waage mit Euromünze und Menschen

Anderes Thema: Welche Rolle spielt die Finanzpolitik bei der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit in Zeiten wirtschaft­licher Unsicherheit?

Zu jeder Zeit wird die Finanzpolitik eingesetzt, um die Ungleich­heit der Einkommen zu verringern. Hauptinstrument dabei ist ein progressiver Einkommen­steuertarif. Wie hoch die obersten Einkommen besteuert werden sollen, ist sehr umstritten. Derzeit beträgt der Spitzen­steuersatz 45 Prozent, dazu kommt noch der Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent auf die 45 Prozent, macht 47,745 Prozent. Früher war er deutlich höher. In den 1970er und 1980er Jahren beispielsweise galt ein Einkommen­steuerspitzensatz von 56 Prozent. Darüber hinaus unterstützt der Staat Menschen am unteren Rand der Einkommens­skala, wenn sie aus eigener Kraft nicht in der Lage sind, ihren Lebens­unterhalt zu verdienen, durch ein Bürgergeld. Es soll ihnen neben dem physischen Existenz­minimum auch ein Mindest­maß an sozialer Teilhabe ermöglichen.

Stichwort Unterstützung: Inwieweit müssen staatliche Subven­tionen angepasst werden, um die Energie­wende und den Klimaschutz zu fördern?

Das Umwelt­bundesamt hat zuletzt für das Jahr 2018 die umwelt­schädlichen Investitionen auf 65 Mrd. Euro beziffert. Richtete die Politik ihre Maßnahmen allein an Klimazielen aus, müsste sie all diese Subven­tionen sofort entweder ganz streichen oder zumindest so modifizieren, dass sie nicht mehr klimaschädlich wirken. Problem dabei ist allerdings: Subventionen wurden stets aus wirtschaft­lichen oder sozialen Gründen eingeführt. Beispiels­weise wurden energie­intensive Unternehmen bei den Stromnetz­entgelten begünstigt, um ihre Wettbewerbs­fähigkeit gegen­über auslän­dischen Unternehmen, die niedrigere Strom­preise haben, nicht zu gefährden. Die Entfernungs­pauschale soll Arbeit­nehmer bei ihren Fahrt­kosten entlasten, die einen weiten Weg zu ihrer Arbeits­stelle haben und dafür ein Auto benutzen müssen. Wahrschein­lich wird die Politik die meisten dieser Subventionen so lange nicht streichen, bis es für Unter­nehmen und Arbeit­nehmer tatsächlich möglich ist, sich ohne wirtschaft­liche Nachteile klima­schonend zu verhalten – wenn beispiels­weise auch alle Arbeit­nehmer auf dem Land kosten­günstiger und mit gleichem Zeitaufwand mit öffentlichen Verkehrs­mitteln zu ihrem Arbeits­platz gelangen können.

Sie sagen, dass Subventionen aus wirtschaft­lichen oder sozialen Gründen eingeführt werden … Wie kann die Finanzpolitik dazu beitragen, die wirtschaftlichen Folgen von globalen Krisen und geopolitischen Spannungen abzumildern?

In der Corona-Pandemie hat der Staat Unternehmen massiv unterstützt. Kleine und mittlere Unter­nehmen sowie (Solo-)Selbständige erhielten Sofort­hilfen, Überbrückungs­hilfen und Neustart­hilfen in Höhe von über 71 Mrd. Euro. Arbeit­nehmer in Unter­nehmen, die Kurzarbeit angeordnet hatten, bekamen Kurzarbeiter­geld, das ihre Einkommens­einbußen zumindest teilweise ausglich. Als während des Ukraine-Krieges das Gas knapp wurde und die Energie­preise stiegen, bekamen alle Einkommen­steuer­pflichtigen und Rentner zum Ausgleich eine einmalige Energiepreis­pauschale von 300 Euro, Studierende von 200 Euro. Wohngeld- und BAföG-Empfänger erhielten darüber hinaus Heizkosten­zuschüsse. Das sind nur Beispiele, wie die Finanz­politik die wirtschaftlichen Folgen sowohl der Corona-Pandemie als auch des Überfalls Russlands auf die Ukraine spürbar abgemildert hat.

Stichwort: Spannungen … Wirtschaftskriege sind alltägliche Realität geworden. Welche Rolle nimmt dabei die Finanzpolitik ein?

Bei Wirtschaftskriegen erheben die Staaten Zölle auf Waren, die aus bestimmten Ländern eingeführt werden. Diese Zölle wirken wie eine Umsatz­steuer. Sie verteuern die betreffenden Waren. Damit möchte der Staat erreichen, dass weniger von diesen Waren importiert und dafür im Inland erzeugte Waren gekauft werden. Umgekehrt kann der Staat inländische Unter­nehmen subventionieren, damit sie ihre Waren preisgünstiger im Ausland anbieten können. Hier wird die Finanzpolitik zu einem Instrument der Außen­wirtschafts­politik. Heimische Wirtschafts­zweige sollen geschützt und der Export gefördert werden. Derartige Maßnahmensind jedoch sehr problematisch, weil andere Länder zu Gegen­maßnahmen greifen. So hat letztlich keine Seite einen wirtschaftlichen Vorteil.

Lieber Herr Adam: Vielen Dank für Ihre Zeit!

Das Interview mit Dr. Hermann Adam führte Dr. Peter Kritzinger aus dem Lektorat Geschichte/Politik/Gesellschaft.

Hermann Adam
Finanzpolitik
Eine Einführung

2024. 213 Seiten mit 33 Abb. und 26 Tab. Kart.
€ 24,–
ISBN 978-3-17-043438-7

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