Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568–1630)

Für viele Historiker ist Christian I. von Anhalt-Bernburg ein rotes Tuch: Er war einer jener Kleinfürsten, die mit dem drohenden Krieg ein loses Spiel trieben und die konfessionellen Spannungen anheizten, zudem galt er als Spieler und Hasardeur. Gleichzeitig wird er als weiser Staatsmann gepriesen, da er die drohenden Gefährdungen für Deutschland klar zu erkennen vermochte. Klaus Deinet gelingt es, vor dem historischen Hintergrund politischer und konfessioneller Machtkämpfe in anschaulicher Sprache die vielschichtige Persönlichkeit des Fürsten nachzuzeichnen. Gewinnen Sie erste Eindrücke davon in diesem Interview.

Klaus Deinet
Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568-1630)
Eine Biographie des Scheiterns

2020. 319 Seiten, 11 Abb, 2 Karten. Kart. € 39,–
ISBN 978-3-17-038316-6
Aus der Reihe „Geschichte in Wissenschaft und Forschung“

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Christian I. von Anhalt-Bernburg lebte zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und war einer der zentralen Protagonisten. Allerdings war Christian auch einer der großen Verlierer, was Sie ja im Untertitel ausdrücken und was ein Grund dafür sein dürfte, dass er bisher von den Historikern lediglich am Rand behandelt wurde. Wie kamen Sie auf die Idee gerade ihm eine Biographie zu widmen?

Der Autor
Klaus Deinet

Das Thema lag eigentlich außerhalb meines Schwerpunktes, der im 19. Jahrhundert liegt. Aber der Dreißigjährige Krieg hat mich schon immer fasziniert, vor allem die Frage, warum er so lange dauerte und wieso er am Ende zu einem finalen Zusammenbruch Habsburg-Spaniens führte. Eine intensive Beschäftigung mit der Zeit davor im Reich war wegen ihrer schwer durchschaubaren Einzelentwicklungen und Detailprobleme, vom Vierklösterstreit über die Donauwörth-Geschichte bis zu Union und Liga, eher abschreckend.

Was mich die komplizierten Abläufe mit Anschauung füllen ließ, war das Leben und Wirken Christians, der sein Leben damit zugebracht hat, den für unvermeidlich gehaltenen Endkampf zwischen den beiden Lagern so vorzubereiten, dass er die protestantische Seite nicht unvorbereitet traf. Das heißt nicht, dass er mit allen Kräften auf einen Krieg hingesteuert hat, wie es ihm immer wieder unterstellt wurde. Die beiden Jahrzehnte vor dem großen Krieg lassen sich mit der Zeit des Kalten Krieges im 20. Jahrhundert vergleichen, wo ein geringer Anlass einen großen Brand auslösen konnte. Christian war zwar zeitweise selbst ein „Zündler“, oft aber auch ein Schlichter. Aus der gegenseitigen Blockade der Reichsinstitutionen suchte er bis zuletzt nach einem Ausweg. Was ihm vorschwebte, war etwas Ähnliches, wie es der Westfälische Frieden für das Reich erbrachte: die Nicht-Majorisierbarkeit der Protestanten in Religionssachen. Christian war einer, der mit der Gegenseite im Gespräch blieb und der von ihr geschätzt wurde. Das hat sogar der Kaiserberater Kardinal Khlesl später seinem Sohn Christian II. versichert.

Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568-1630)
Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568-1630)

Wieso kam es dann aber doch zum Ausbruch des Krieges?

Christian wurde in gewisser Weise zum Opfer seiner lebenslangen Suche nach der „occasion“. Dieser Begriff war sozusagen das Leitmotiv seines Lebens. Es ging darum, keine Gelegenheit zu verpassen, die es ermöglichte, der spanisch-habsburgischen Allianz eine Niederlage zuzufügen. Dazu mussten sich die deutschen Protestanten untereinander einig sein und mit Hilfe von auswärts, von Frankreich, England oder den Niederlanden, rechnen können. 1610 war diese Konstellation endlich erreicht, der Zankapfel um Jülich-Kleve-Berg am Niederrhein schien den großen internationalen Konflikt auszulösen. Aber dann fiel Heinrich IV. einem Attentat zum Opfer und es reichte nur noch mit Mühe zur Eroberung der Festung Jülich. 1618 stand Frankreich wieder im katholischen Lager und England und die Niederlande erwiesen sich als wenig verlässliche Stützen. Doch die Aussicht auf die Wenzelskrone für den pfälzischen Kurfürsten und die damit verbundene protestantische Stimmenmehrheit bei einer künftigen Kaiserwahl vernebelte den Verantwortlichen in Heidelberg und Amberg offenbar den Kopf. Hinzu kam, dass es für den damals schon Fünfzigjährigen die letzte Chance war, seine großen Pläne in die Tat umzusetzen.

Die Kuppe des Weißen Berges, wo am 8. November 1620 die bayerischen und kaiserlichen Armeen dem protestantischen Ständeheer unter Christians Leitung eine vernichtende Niederlage beibrachten.
Die Kuppe des Weißen Berges, wo am 8. November 1620 die bayerischen und kaiserlichen Armeen dem protestantischen Ständeheer unter Christians Leitung eine vernichtende Niederlage beibrachten. Der Gedenkstein von 1920 erinnert an die für die tschechische Geschichte epochale Katastrophe. Dahinter das Dach des Jagdschlosses Stern, wo die letzten Kämpfe stattfanden.

Das hat ihm ja Golo Mann besonders übelgenommen und ihn als unverantwortlichen Luntenleger hinter der Maske des frommen „Beters“ charakterisiert.

Ja, dieses Verdikt hat jahrzehntelang auf Christians Person gelegen und man trifft es auch heute noch gelegentlich an. Ein Forscher sprach ironisch von „Christian dem Umtriebigen“ und hat damit sicher etwas Richtiges getroffen. Christian war ein ewiger Pläneschmied. Er betrieb manchmal drei Projekte gleichzeitig, stand mit Venedig, den Oraniern und dem calvinistischen österreichischen Adel in Verbindung und umgarnte andererseits konfliktscheue katholische Landesherren wie den Salzburger Erzbischof, den Erzherzog Maximilian „den Deutschmeister“ oder den Mainzer Metropoliten. Dieser schien ihn besonders gut leiden zu können, wohl auch, weil er sich durch sein mustergültiges Familienleben von den frommen Säufern unter den protestantischen Kurfürsten abhob.

Apropos Familienleben. Sie haben ja vor allem seine Briefe an die Gemahlin Anna von Bentheim-Tecklenburg ausgewertet …

Ja, diese mehrere hundert Briefe sind ein Schlüssel zu der Persönlichkeit Christians. Während die amtlichen Akten, von denen Ritter und seine Nachfolger etliche in die große Sammlung der „Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ aufgenommen haben, die politische Geschichte nachzeichnen, zeugen die oft ausschweifenden Episteln, die er Anna von seinen vielen Reisen schrieb, von dem durchaus sensiblen, emotionalen Charakter Christians. Neben hocherotischen Liebesgeständnissen finden sich hier theologisch fundierte Auslassungen über Zufall und Bestimmung, die den gläubigen Calvinisten erkennen lassen, aber auch rührende Zeugnisse seiner Sorge um die ständig wachsende Familie, die er zärtlich „unsere kleine Truppe“ nannte. Anna gebar ihm in den drei Jahrzehnten ihrer Ehe 16 Kinder, von denen nur die Hälfte das Erwachsenenalter erreichte, starb selbst aber schon 1624. Der alte Fürst hatte am Ende nur noch mehrere Töchter und den Sohn Christian II. um sich.

Christian war also ein kluger Kopf und aktiver Politiker. Wie kommt es, dass sich bisher niemand für Christian interessiert hat?

Niemand kann man nicht sagen. In der Zeit der großen Aktenpublikationen, also um 1900, sind mehrere Dissertationen zu Teilaspekten entstanden, die sich auf den gewaltigen Nachlass im Zerbster Archiv stützten. Nach 1945 lagerten die Bestände in Oranienbaum bei Dessau und waren für die Forschung nur mit Mühen erreichbar. Die Anhalter Lokal- und Regionalhistoriker hatten „ihren“ Christian natürlich immer auf dem Schirm, vielleicht mit etwas zu viel gutem Willen in der Beurteilung und Einordnung. Ich selbst stieß auf ihn im Zusammenhang mit meinem Essener Habilitationsvortrag von 1998. Seitdem absolvierte ich mehrere Besuche in Dessau, kann aber nicht behaupten, dass ich die umfangreichen Bestände flächendeckend ausgewertet habe. Das Gleiche gilt für archivalische Spuren, die er in London, Paris, Venedig und Den Haag hinterlassen hat, von den deutschen Höfen, mit denen er korrespondierte, ganz zu schweigen. Hier ist noch Stoff für so manche Monografie.

Bei meiner vorliegenden Biographie konnte ich mich auf die sehr gründliche Vorarbeit der Forscher der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in der Nachfolge Moriz Ritters verlassen und – wie gesagt – konnten mir die Briefe an Anna sowie die an seinen Bruder Ludwig von Köthen zusätzliches Licht verschaffen.

Vor diesem Hintergrund würde der Beginn des Dreißigjährigen Krieges ja doch in einem anderen Licht erscheinen! Muss die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges neu geschrieben werden?

Das vielleicht nicht. Aber man wird weiter von einer vereinfachenden Deutung wegkommen: der Art, dass der Weg in den Krieg unvermeidlich war und es früher oder später dazu kommen musste. Gerade die Vorgeschichte der Schlacht am Weißen Berg zeigt, wie viele kontingente Momente der Geschichtsverlauf enthält. Weder war Friedrich V. der Tollpatsch, der sich sehenden Auges in sein Winterkönig-Abenteuer stürzte, noch war Christian von Anhalt der mephistophelische Strippenzieher im Hintergrund, der seinen Herrn zu solch einer Tat aufreizte. Christian hat lange, vielleicht zu lange gezaudert, bevor er offen die Partei der Rebellion ergriff und den Schritt in die Unbotmäßigkeit gegenüber dem Kaiser vollzog. Das war auch schon vorher bei anderen Anlässen so gewesen. Wie gesagt: Er war ein großer Pläneschmied – aber kein bedenkenloser Mann der Tat. Und er wusste, dass diese Entscheidung das Schicksal seiner Familie und das seiner Brüder gefährdete. Nach Bílá Hora scheint es ihm schlagartig bewusst geworden zu sein, dass er mit seiner Existenz und der seiner Nächsten gespielt hatte, und er tat alles, um wenigstens seinem Sohn das Erbe und seinen Brüdern das Überleben zu sichern. Die Reichsacht hat Kaiser Ferdinand II., der den jungen Christian in der Gefangenschaft offenbar liebgewonnen hatte, nach einer Schamfrist von vier Jahren aufgehoben.

Karte der Schlacht am Weißen Berg
Karte der Schlacht am Weißen Berg

Ein neues Bild des Dreißigjährigen Krieges also? Sind die Parteien eher, wie es Lloyd George von 1914 sagte, „in den Krieg hineingestolpert“?

Diese Sehweise ist so neu nicht. Die großen Gesamtdarstellungen, die um 2018 herum erschienen sind, kommen – zumindest was den Ausbruch des Krieges angeht – zu einem ähnlichen Ergebnis. Anders verhält es sich mit der Frage, warum dieser Krieg so lange dauerte. Es brauchte ein ganzes Jahrzehnt, bis sich das protestantische Europa zu wirklich durchschlagendem Widerstand gegen die drohende habsburgische Hegemonie entschloss, und dann nochmals fünfzehn Jahre, um diese zu brechen. Christians Sohn wäre gerne im kaiserlichen Lager geblieben, wenn Ferdinand II. nicht so überzogen hätte und wenn Gustav Adolf ihm eine andere Wahl gelassen hätte, als sich bedingungslos der schwedisch-protestantischen Seite anzuschließen. Das Land Anhalt kam so buchstäblich unter die Räder, aber da war Christian I. schon tot.

Das Interview mit Herrn PD Dr. Klaus Deinet führte Dr. Peter Kritzinger aus dem Verlagsbereich Geschichte/ Politik/ Gesell­schaft.

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