Einigkeit und Recht und Freiheit – Die Geschichte der deutschen Nationalhymne

Nächstes Jahr wird die deutsche Nationalhymne 100 Jahre alt – in ihrer offiziellen Funktion als Hymne versteht sich, zu der Friedrich Ebert sie 1922 proklamierte. Das Lied selbst ist weitaus älter und musste sich zunächst gegen konkurrierende Anwärter durchsetzen. Rechtzeitig zum Jubiläum bietet Jörg Koch einen informativen, reich bebilderten Überblick zur Geschichte des „Deutschlandlieds“. Vor welchem Hintergrund ist das Lied entstanden, wie wurde es zur Nationalhymne und welches wechselvolle Schicksal war ihm seitdem beschieden? Der Leser erfährt zudem Wissenswertes über das Leben des Verfassers, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, über den Komponisten der Melodie, Joseph Haydn, und die Nationalhymne der DDR, die ebenso ein Teil der wechselvollen Geschichte deutscher Nationalhymnen ist.

Lesen Sie erste Eindrücke in unserem Interview mit dem Autor.

Jörg Koch
Einigkeit und Recht und Freiheit
Die Geschichte der deutschen Nationalhymne

2021. 218 Seiten. Kart. € 25,–
ISBN 978-3-17-040184-6

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Herr Dr. Koch, 100 Jahre Nationalhymne – ist das ein Grund zum Feiern? Welche Rolle spielt eine Hymne heute für unsere Identität und unser politisches Gemeinwesen?

Auf jeden Fall sollte das Jubiläum gewürdigt werden. Hymnen erklingen zu besonderen und wenigen Anlässen, sie sind damit nicht alltäglich. Sie stellen ein Ritual dar und sind Ausdruck nationaler Identität, die Gemeinschaft vermittelt. Der Dreiklang unserer Nationalhymne – „Einigkeit und Recht und Freiheit“ – kann als Motto unserer Republik gesehen werden. Das sind die Fundamente, die sich das deutsche Volk selbst gelegt hat, als es sich 1949 das Grundgesetz als Verfassung gab.

Sonderbriefmarke 50 Jahre Parlamentarischer Rat, herausgegeben von der Deutsche Bundespost 1998
Sonderbriefmarke 50 Jahre Parlamentarischer Rat, herausgegeben von der Deutsche Bundespost 1998

Die ersten beiden Strophen des Deutschlandlieds gelten heute als belastet – besonders die erste („Deutschland, Deutschland über alles“) stand aber über lange Jahre der Geschichte im Vordergrund der Rezeption des Liedes. Was war der Hintergrund, vor dem diese Zeilen entstanden sind? Welchen Umgang mit dem Lied würden Sie uns heute empfehlen?

Das „Lied der Deutschen“ entstand 1841, zur Zeit des Deutschen Bundes, der aus rund 40 souveränen Staaten und Freien Städten bestand. Die beiden ersten Zeilen des „Deutschlandliedes“ gehören zu den bekanntesten Versen überhaupt. Oft zitiert, gesungen, gegrölt, inhaltlich missbraucht und missverstanden, sind sie nicht im Sinne eines chauvinistischen Herrschaftsanspruchs anderen Staaten gegenüber zu verstehen. Auch sie spiegeln den Geist der Zeit, insbesondere die Gesinnung ihres Verfassers wider. August Heinrich Hoffmann von Fallersleben fordert als verbindende Klammer ein Deutschland über die vielen deutschen Länder hinweg, also die Einheit und das Ende der Partikularstaaten. Er nennt in seiner ersten Strophe vier Flüsse, die die Grenzen dieses neuen Deutschlands markieren. Alle vier Gewässer liegen außerhalb der deutschen Grenzen (auch von 1937), doch 1841 entsprachen sie im Wesentlichen den allseits akzeptierten Grenzen des Deutschen Bundes.

Die erste Strophe und die zweite (die man als „Sittengemälde“ der Zeit bezeichnen könnte) sind heute irrelevant, doch der geschichtliche Hintergrund sollte bekannt sein. Grundsätzlich lehren uns Kunstwerke, was dem Künstler zu seiner Zeit wichtig war. So wichtig, dass er die Mühe auf sich nahm, diesen Gedanken eine künstlerische Form zu geben – quasi künstlerische Geschichtsstunden.

Sie erwähnen den Dichter Hoffmann von Fallersleben – könnten Sie uns in groben Zügen schildern, was das für ein Mensch war? Für was setzte er sich ein? Was für ein Leben hat er geführt?

August Heinrich Hoffmann, 1798 in Fallersleben bei Wolfsburg geboren (daher der Zusatz „von Fallersleben“), war Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Breslau.

In seinen „Unpolitischen Liedern“ (1840/41) kritisierte er die Pressezensur, die Kleinstaaterei, den Obrigkeitsstaat, die Fürstenwillkür. Damit machte er sich bei der Obrigkeit unbeliebt, er wurde schließlich entlassen und führte ein unruhiges Wanderleben. Er war zu seiner Zeit mehr geächtet als geachtet. Ruhe vor Verfolgung fand er erst am Ende seines Lebens als Bibliothekar in Corvey, dort verstarb er 1874.

Denkmal auf dem Friedhof von Corvey mit den Grabsteinen des Ehepaars Hoffmann, Postkarte von 1925.
Denkmal auf dem Friedhof von Corvey mit den Grabsteinen des Ehepaars Hoffmann, Postkarte von 1925.

Auch ohne das „Deutschlandlied“ wäre er uns heute noch bekannt, immerhin stammen von ihm so bekannte Lieder wie „Alle Vögel sind schon da“, „Ein Männlein steht im Walde“, „Kuckuck, Kuckuck“, „Summ, summ, summ“, „Winter ade“ oder „Morgen kommt der Weihnachtsmann“.

Friedrich Ebert proklamierte das Deutschlandlied 1922 zur Nationalhymne – was gab es denn zuvor für Konkurrenz um diese Funktion? Gegen welche Lieder hat sich das Deutschlandlied durchgesetzt?

Als Nationalhymne im Kaiserreich (1871–1918) galt „Heil Dir im Siegerkranz“ (im Königreich Preußen schon seit 1795 bekannt) – eine Verherrlichung der preußischen Könige bzw. Deutschen Kaiser. Gespielt, gesungen wurde dieses Lied bei offiziellen Anlässen, zudem am „Reichsgründungstag“ (18. Jan.), am „Sedantag“ (2. Sept.) und an „Kaisers Geburtstag“.

Als politische, identitätsstiftende Lieder waren auch „Was ist des Deutschen Vaterland“ (1813) von Ernst Moritz Arndt, „Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand“ (1820) von Hans Ferdinand Maßmann und vor allem die „Wacht am Rhein“ (1840) von Max Schneckenburger bekannt und beliebt, vor allem in Süddeutschland.

 „Die Wacht am Rhein“, Relief am Niederwald-Denkmal (Germania), Postkarte um 1900.
„Die Wacht am Rhein“, Relief am Niederwald-Denkmal (Germania), Postkarte um 1900.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch allerlei Streit um den Status als Nationalhymne. Wie sieht die Sache denn rechtlich aus? Soweit ich weiß, steht im Grundgesetz nichts über eine Hymne. – Und wie ist es mit dem Umfang? Viele denken bei der Nationalhymne nur noch an die dritte Strophe des Deutschlandlieds („Einigkeit und Recht und Freiheit“).

Nach dem verlorenen Krieg waren zunächst einmal alle Staatssymbole verpönt. Zwar ist in Artikel 22 des Grundgesetzes (1949) die schwarz-rot-goldene Bundesflagge festgeschrieben (in Anlehnung an die 1848er Revolution und die Weimarer Republik), doch eine Aussage zur Nationalhymne sucht man vergebens. 1952 einigten sich Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss auf das allseits bekannte „Deutschlandlied“ als Nationalhymne. Das ganze Lied, allerdings schon damals mit der Einschränkung, dass bei offiziellen Anlässen nur die dritte Strophe gesungen werden sollte. Eine von Heuss initiierte neue Nationalhymne, die „Hymne an Deutschland“ (1950) von Rudolf Alexander Schröder, fand parteiübergreifend und in der Bevölkerung keine Zustimmung.

Nach der Wiedervereinigung gab es verschiedene Überlegungen zur Nationalhymne, als neue Hymne wurde u. a. Bert Brechts 1950 verfasste „Kinderhymne“ („Anmut sparet nicht noch Mühe“) vorgeschlagen. Doch auch diesmal siegte eine gewisse Kontinuität und Tradition: 1991 verständigten sich Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Richard von Weizsäcker auf die dritte Strophe als Nationalhymne.

Zwar äußern sich auch heute immer mal wieder Politiker mit mehr oder weniger kuriosen Ideen zur Nationalhymne, doch ernsthafte Überlegungen, eine neue Nationalhymne zu proklamieren, gibt es nicht mehr.

100 Jahre „Einigkeit und Recht und Freiheit“ – dies ist ein Grund zum Feiern, umso bedauerlicher, dass die Deutsche Post meine Anregung, aus diesem Anlass eine Sonderbriefmarke herauszubringen, nicht aufgegriffen hat …

Abbildung der 100-Pfennig-Sonderbriefmarke
100-Pfennig-Sonderbriefmarke mit dem Portrait Hoffmanns und dem Text der dritten Strophe des Deutschlandliedes anlässlich „150 Jahre Deutschlandlied“, herausgegeben von der Deutschen Bundespost 1991.

Das Interview mit dem Autor Dr. Jörg Koch führte Dr. Julius Alves aus dem Lek­torat des Bereichs Geschichte/ Politik/ Gesell­schaft.

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