Anlässlich des Erscheinens seiner Biographie über den Hitler-Attentäter Georg Elser führten wir mit Autor Ulrich Renz das folgende schriftliche Interview.
Georg Elser dient häufig als Pendant zum Verschwörer des 20. Juli Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Sind diese beiden Männer, die ja beide aus dem Südwesten stammen, vergleichbar oder völlig unterschiedlich?
Einerseits lagen Welten zwischen dem protestantischen Handwerker Georg Elser und dem katholischen Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Anderseits gab es doch einige Gemeinsamkeiten: Sie wurden an nicht weit voneinander entfernten Orten in schwäbischen Landen geboren, der eine in Hermaringen auf der Schwäbischen Alb in Württemberg, der andere – der dann einen Teil seiner Kindheit ebenfalls auf der Alb verbrachte – gleich jenseits der Grenze im bayerisch-schwäbischen Jettingen. Sie gehörten der gleichen Generation an, Elser wurde 1903, Stauffenberg 1907 geboren.
Vor allem aber einte sie die Entschlossenheit zur Tat. Wer Stauffenbergs Leben in den Jahren vor dem Attentat betrachtet und sich in Elser vor seinem Anschlag versetzt, der erkennt, dass für beide ein Zeitpunkt kam, an dem sie beschlossen: Es ist genug gegrübelt und überlegt worden – nun muss gehandelt werden. Ich kann es nicht besser formulieren, als es im Januar 2003 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ geschah: „Beide waren sie keine Revolutionäre, beide konnten sie nicht auf den großen Aufstand hoffen, beide wollten nur eines: verhindern. „Den Krieg verhindern“, das wollte Georg Elser. Und Deutschlands Höllensturz aufhalten, das wollte Stauffenberg.“
Zwar war Georg Elser ein Gegner der Nationalsozialisten von der ersten Stunde an. Doch die Wandlung Stauffenbergs vom Sympathisanten zum entschiedenen Widersacher Hitlers verdient ebenso Respekt. In einem Vortrag habe ich einmal zu fantasieren gewagt: Wenn Stauffenberg – was so abwegig nicht ist – am 20. Juli nicht gleich erschossen, sondern wie Elser in ein Konzentrationslager gesperrt worden wäre und sich die beiden dort zufällig begegnet wären: Ich bin sicher, sie hätten sich verstanden.
Hatte des Attentats auf den Münchener Bürgerbräukeller Chancen auf Erfolg oder war es eine Art Himmelfahrtskommando? Was weiß man über die Motive Elsers, den Anschlag zu verüben.
Elser hatte den perfekten Plan und setzte ihn minutiös um. Während Verschwörer aus dem militärischen Widerstand in Berlin noch hin und her überlegten, wie sie den Diktator ausschalten könnten, fand er mit fast schon schlafwandlerischen Sicherheit den idealen Ort für seinen Anschlag: Den nur mäßig bewachten Bürgerbräukeller in München. Und auch den richtigen Anlass, nämlich die Rede Hitlers vor „alten Kämpfern“, zu der sich fast die gesamte Führung von Partei und Staat versammelte. Nur Hermann Göring fehlte. Dass die Tat dennoch fehlschlug, ist purer Zufall, mit dem Elser nicht rechnen konnte. Er hatte die Zündung so eingestellt, dass die Bombe ungefähr in der Mitte der üblichen Redezeit Hitlers explodierte. Ausgerechnet an diesem Abend ging Hitler 13 Minuten früher, völlig überraschend, wenn auch aus guten Gründen, wie sich nachher herausstellte.
Elser wurde von einem sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn angetrieben. Er konnte genau vorrechnen und darlegen – und tat dies im Verhör der Gestapo dann auch nachdrücklich –, wie sehr sich die Lage der Arbeiter unter dem NS-Regime verschlechtert hatte – materiell und rechtlich. Und mehr noch fürchtete er den heraufziehenden Krieg mit Leid, Elend und Tod für Millionen Menschen. Er handelte aus einem Motiv, das Juristen Nothilfe nennen – gewissermaßen die Schwester der Notwehr. Wenn man nämlich einen Dritten, in diesem Fall gleich ein ganzes Volk, vor einem Verbrecher retten will. Wie später auch Stauffenberg prägte ihn der einfache Gedanke: Einer muss es tun. Jeder durfte sich zu dieser Tat berufen fühlen, auch wenn es nur wenige wagten. Oder wie es der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer ausdrückte: „Jeder, ob groß oder klein, ist berechtigt, einen Mörder an der Fortsetzung seiner Verbrechen zu hindern.“
Beim Lesen Ihres Buches hat man fast den Eindruck, dass sich Elser fassen lassen wollte? Was meinen Sie, war Elser einfach nur nachlässig oder von „Heldenmut“ getrieben?
Das Verhalten Georg Elsers vor seiner Festnahme an der Grenze in Konstanz gehört zu den großen Rätseln im Leben dieses Mannes. Und vermutlich werden wir die Lösung nie erfahren. Ich denke mir, eine mögliche Erklärung geht so: Er hatte über 30 Tage und Nächte während der „Arbeit“ im Bürgerbräukeller – so nannte er diese Zeit selbst – unter einer ungeheuren Anspannung gestanden. Nachdem sie abgefallen war, weil die „Arbeit“ erledigt war, wurde er nachlässig und leichtsinnig, was nun kam, war nicht mehr so wichtig. Wie gesagt, das ist eine Erklärung, sie scheint mir plausibel zu sein. Ich möchte da nicht mehr hineingeheimnissen.
Elser wird heute gerne als Prototyp des schwäbischen Tüftlers gedeutet, schweigsam aber genial? Entspricht sein Leben diesem Idealbild bzw. waren diese Zuschreibungen schon immer so positiv?
Das Bild Georg Elsers hat sich im Laufe der Jahre, der Jahrzehnte, verändert. Auch ich musste mich nach und nach korrigieren. Früher neigte ich mehr zur Annahme, es handele sich um einen Sonderling, einen Einzelgänger. Heute gefällt mir der Begriff „geselliger Einzelgänger“, den jemand sehr gekonnt geprägt hat, viel besser. Elser war sicherlich ein Mensch mit Vorzügen und Dellen im Charakter, er war hart zu sich selbst und zu anderen, mit genialen Zügen und scharfem Blick auf seine Umwelt. Wer weiß, was aus ihm geworden wäre, hätte er bessere Startbedingungen gehabt.
Was können die Nachgeborenen von Elsers Leben lernen, das man in Größe scheitern kann und dennoch zumindest moralisch Sieger bleibt? Dient Elser als Vorbild für heute, wo wir in einer funktionsfähigen Demokratie sozialisiert sind und leben dürfen?
Die Tat Elsers ist in Motivation und Effizienz ein Lehrstück für den Kampf gegen einen Tyrannen voller krimineller Energie. Es gehört in jedes Schulbuch, mit einem gerade an junge Menschen gerichteten besonderen Kapitel über die Bedeutung selbständigen Denkens, wie er es exemplarisch vorlebte. Elser ist ein Vorbild und ein Held, wenn die Definition bei Wikipedia zutrifft: „Helden sind Menschen, die für andere oder im Namen einer Idee große Taten vollbringen und dabei ihr Leben wagen.“
Georg Elser handelte in einem entscheidenden Moment, obwohl er selbst nichts zu gewinnen hatte, sondern allenfalls darauf vertrauen konnte, dass ihm die Geschichte Recht geben würde.
In unseren Breiten muss heutzutage niemand mehr sein Leben wagen. Aber selbstlose Zivilcourage, wie er sie bewies, sollte wohl immer noch gefragt sein.
Wir danken Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.