Mit Professor Dr. Robert Jütte führten wir anlässlich des Erscheinens seines Buches zur „Krankheit und Gesundheit in der Frühen Neuzeit“ ein kurzes Gespräch.
Krank sein möchte niemand gerne, auch in Zeiten einer medizinischen Vollversorgung und einer Krankenversicherung für jeden? Unterscheidet sich diese Krankheitserfahrung von der des Menschen in der Zeit von1500 bis 1800?
Auch ohne gesetzliche Krankenversicherung haben sich Menschen in der Frühen Neuzeit an einen medizinischen Experten gewandt, selbst wenn sie arm waren. Doch hat man damals noch mehr als heute eine schwere Erkrankung als Schicksalsschlag gesehen, ohne dabei jedoch in einen Fatalismus zu verfallen. Man hat schon nach medizinischer Hilfe gesucht, aber seine Heilung auch in Gottes Hand gelegt, sicherlich mehr als heute.
Krank sein ist heute leicht zu definieren, krank ist, wer beim Arzt war und den „Gelben Schein“ erhalten hat. Wie war das damals?
Ärzte hatten damals noch keine „medizinische Deutungshoheit“ über den Kranken. Krank war man dann, wenn man sich ins Bett legen musste und seine sozialen Funktionen dauerhaft oder vorübergehend nicht mehr ausfüllen konnte.
Auch heute gibt es „gute“ und „schlechte“ Krankheiten, ein Herzinfarkt zeugt von hohem Einsatz, während Lungenkrebs durch gesundheitsschädigendes Verhalten verursacht wird, man ist also selbst schuld, obwohl dies nicht immer gesagt ist. Gibt es solche Denkvorstellungen auch in der Frühen Neuzeit?
Auch damals konnte man an einer Krankheit selbst schuld sein, wenn man sich nicht an die Vorschriften der antiken Diätetik gehalten hatte, die auf der Viersäfte-Lehre beruht. Es gab Krankheiten, wozu vor allem Geschlechtskrankheiten gehörten, die den Kranken eine moralische Mitschuld gaben. In diesem Zusammenhang ist die damals weitverbreitete Vorstellung zu nennen, dass Gott Menschen für diverse Sünden mit Krankheiten bestraft.
Ärzte erleben zur Zeit einen Niedergang ihres Ansehens, waren sie bis in die 1980er Jahre die sprichwörtlichen Halbgötter in Weiß, werden sie nun als raffgierige, nie zufriedene Menschen dargestellt. Welches „Image“ hatten Ärzte in der Frühen Neuzeit?
So lange man den Eindruck hatte, dass einem der Arzt helfen konnte, erschien er den Menschen im Barockzeitalter als eine Art Engel, sobald es aber zur Honorierung kam, wandelte sich der Arzt in der populären Kultur zum Teufel. Außerdem war damals das Sozialprestige der Heiler, wenn man von den studierten Ärzten (medici) einmal absieht, eher gering.
Was würden Sie dem Lesenden noch gerne sagen, bevor er Ihr Buch aufschlägt?
Medizin ist nicht nur eine Geschichte des Fortschritts.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.