Silke-Petra Bergjan und Beat Näf haben ihr neues Buch „Märtyrerverehrung im frühen Christentum“ veröffentlicht. Mit den Autoren führten wir ein kurzes Gespräch.
Märtyrer scheinen uns heute befremdlich zu sein, mit seinem eigenen Tod für Ideen einzustehen, ruft Verwunderung und Ablehnung hervor, auch im christlich-kirchlichen Bereich scheinen Märtyrer ein Anachronismus zu sein. Hat sich die Bedeutung der Märtyrerverehrung gewandelt, ist sie noch zeitgemäß und sind Märtyrer als Identifikationsfiguren heute noch wichtig?
Ihre Frage gibt modernen Gefühlen Ausdruck, die wir beide auch teilen. Es fällt uns schwer zu verstehen, wenn Menschen von Opfertod und dem Ertragen von Qualen berichten und dies noch als etwas Gutes interpretieren.
Aber: Unsere Gefühle täuschen uns. Sie reduzieren die Vorstellungen der Märtyrerverehrung zu etwas Unverständlichem. Liest man die Quellen unvoreingenommen, so entsteht ein anderes Bild. Es geht nämlich um die Rede vom Leben, vom angemessenen Leben und von der Überwindung von Tod und Qual. Märtyrerinnen und Märtyrer werden als Menschen gezeichnet, die konsequent für bestimmte Ideale gelebt und dafür sogar den Tod in Kauf genommen haben. Nicht Schmerz und tödliches Ende, sondern vielmehr Leben und Lebensführung sind das zentrale Thema. Märtyrerverehrung steht im Dienste von Kollektiven und ihren Vorstellungen darüber, wie Leben zu führen sei und dadurch ein höheres, ewiges Leben gewonnen werden könne.
Wie Sie ganz richtig sagen, kommt dann noch hinzu, dass sich solche Vorstellungen in der Zeit verändern. Es stimmt aber auch, dass bei modernen Formen des Totenkultes nicht selten Altes wieder auftaucht. Wenn man dann fragt, ob das zeitgemäß sei oder nicht, so antworten wir darauf in erster Linie mit Beobachtungen und Beschreibungen solcher Phänomene. Dabei wird ziemlich rasch klar: Totenkult gehört zu allen menschlichen Kulturen, auch in der Moderne. Eine seiner Funktionen ist, wie Sie es sagen, die Stiftung von Identität. Indem wir uns an Heilige oder Helden erinnern, binden wir uns als erkennbare und sich im Anschluss an die Vorbilder profilierende Einzelne an eine religiöse, kulturelle oder politische Gemeinschaft, die ihrerseits an Erkennbarkeit und Profil gewinnt.
Gerade vor dem Hintergrund der Terrorakte der letzten Jahre ist die Märtyrerverehrung ein zweischneidiges Schwert, wurden die christlichen Märtyrer eher als „Terroristen“ oder „Glaubenszeugen“ gesehen?
Die Vorstellung des Terrorismus wird erst seit dem ausgehenden 18. und vor allem dem 19. Jahrhundert wichtig. Im Horizont christlicher Interpretationen haben Märtyrer damit nichts zu tun. Man könnte natürlich von modernen Erfahrungen her einzelne frühchristliche Bewegungen so interpretieren, aber das ist sehr, sehr weit weg von den damaligen Vorstellungen. Für Christen sind Märtyrerinnen und Märtyrer Heilige, das heißt Menschen, welche die Evangelien kennen und in ihrem Leben konsequent Zeugnis dieser Kenntnis ablegen, das heißt Christus nachfolgen und ihr Leben zu einem Zeugnis solcher Christusnachfolge machen.
Sähe die Kirche heute anders aus, wenn es keine Märtyrer gäbe?
Ja, denn für das Christentum sind Märtyrer sehr wichtig, vom frühen Christentum an bis heute.
Besteht in der medialen Welt noch ein „Bedarf“ an Märtyrern, haben also vielleicht die „Leiden“ der Stars und Sternchen die Märtyrer der Spätantike abgelöst?
Zweifellos gibt es solche Verbindungen. Die moderne mediale Welt schöpft immer wieder aus der überlieferten Kultur. Von einer Ablösung kann man aber wohl nicht sprechen. Die Formen des Totenkults sind vielfältig. Auch Kulte frühchristlicher Märtyrerinnen und Märtyrer sind noch immer lebendig.
Wie begeistern Sie jemanden, der sich bislang noch nicht mit der Märtyrerverehrung auseinandergesetzt hat, für das Buch, was möchten Sie ihm mit auf den Weg geben?
Wir sehen unser Buch als eine Analyse der frühchristlichen Märtyrerverehrung anhand von Texten und weiteren Zeugnissen, die wir als Menschen von heute zusammengestellt haben. Für uns ist diese Beschäftigung spannend. Wir sind auch überzeugt, dass sie wichtig ist, weil wir es mit Formen unserer Kultur zu tun haben, die eine große historische Wirkung ausgeübt haben und ausüben. Wir sehen es indes nicht als unsere Aufgabe an zu begeistern und jemanden etwas auf den Weg zu geben.
Haben Sie Besten Dank für Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.