Spielerisch in die Kirchen­geschichte eintauchen

Ein Leben im Kloster scheint heutzutage wie aus der Zeit gefallen, besten­falls etwas für Aus­steiger oder zum zeit­wei­ligen „Digital Detox“. Und doch: In der Populär­kultur sind Mönche, Nonnen und Klöster erstaun­lich präsent – nicht zuletzt in analogen und digi­talen Spielen. Ãœber deren Settings, Spiel­materia­lien und Regel­systeme werden Vor­stel­lungen von histo­rischen Ereig­nissen, Personen und Epochen erzeugt, die sich im Bewusst­sein der Öffent­lich­keit oft leichter fest­setzen als die Themen aus dem Geschichts­unterricht. Wer kennt nicht das geheimnis­volle, düstere Kloster, den immer fröh­lichen Mönch mit dem Bier­krug oder die Krieger­nonne, die in fantas­tischen Welten gegen das Böse kämpft?

Zeit also zu unter­suchen, wie die Kloster­kultur in unter­schied­lichen Spiel­genres und -mechaniken aufge­griffen und verar­beitet wird, welche Mecha­nismen dabei am Werk sind und wie Spiele in der Geschichts­vermitt­lung von kirchen­histo­rischen Themen zum Einsatz kommen können. Der vorlie­gende Sammel­band unter­sucht diese Fragen anhand zahl­reicher Beispiele. Lesen Sie erste Ein­drücke in unserem Interview mit zwei der Heraus­geber:innen, Anna Klara Falke und Lukas Boch.

Umschlagabbildung des Buches

Boch/Falke/Püttmann/Steinbach (Hrsg.)
Von bierbrauenden Mönchen und kriegerischen Nonnen
Klöster und Klerus in analogen und digitalen Spielen

257 Seiten. Kartoniert. € 28,–
ISBN 978-3-17-042666-5

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Frau Falke, Herr Boch, Sie sind beide Mitbegründer des Projekts „Boardgame Historian“ und waren lange im Vorstand des „Arbeits­kreises Geschichts­wissen­schaft und Digitale Spiele“: Wie ist Ihr Interesse für das Thema „Geschichte im Spiel“ entstanden?

Falke: Bei mir kam es vor allem durch die Arbeit im Museum. Dabei hat mich insbe­sondere inte­res­siert, wo histo­rische Themen heut­zutage im Alltag vieler Menschen noch präsent sind. Dabei bin ich schnell auf Spiele gestoßen, die eine hohe Ver­brei­tung haben. Hinzu kommt, dass ich selbst auch gerne spiele – sowohl analog als auch digital. Die Darstellung und Kon­struk­tion von Geschichte in Spielen kann sehr gut genutzt werden, um einen Bezug zu histo­ri­schen Themen her­zu­stellen. Das zeigt sich an ver­schie­denen Aus­stellungs­konzept­ionen, an denen ich mit­gear­beitet habe und die im Sammel­band kurz thema­ti­siert werden. Daraus entstand dann auch ein for­schen­des Interesse und schließ­lich die Idee, im Museum Abtei Liesborn eine Aus­stel­lung über Spiele entstehen zu lassen.

Boch: Bei mir ist es ganz ähnlich. In meiner Familie wurde viel gespielt, so bin ich mit Risiko, aber auch Siedler von Catan sozia­lisiert worden. Während meines Geschichts­studiums bin ich dann mit dem Konzept der Geschichts­kultur in Kontakt gekommen. Hier steht die Frage im Mittel­punkt, wie in unserer Gesell­schaft Bilder von der Ver­gangen­heit entstehen. Seit Mitte 2020 promo­viere ich außerdem über das Mittel­alter im modernen Brett­spiel am Seminar für historische Theologie und ihre Didaktik der Universität Münster. Einer unserer Arbeitsschwerpunkte in Münster liegt dabei auf der Darstellung von Kirchen­geschichte in der Öffent­lich­keit, dafür wollen wir das Konzept der Kir­chen­geschichts­kultur eta­blieren. Die klaffende Forschungs­lücke im Bereich der analogen Spiele war auch der Grund, warum wir mit unserem Projekt Boardgame Historian so aktiv sind.

Anna Klara Falke und Lukas Boch bei der Eröffnung der Ausstellung „Mönch ärgere dich nicht“ im Museum Abtei Liesborn.
Anna Klara Falke und Lukas Boch bei der Eröffnung der Ausstellung Mönch ärgere dich nicht im Museum Abtei Liesborn.

Was können uns Spiele über Klöster und Klerus lehren? Oftmals entsteht ja der Eindruck, es würde eher ein verzerrtes Bild voller Fantasy-Anlehnungen gezeichnet …

Falke: Wir dürfen nicht vergessen, dass Spiele in erster Linie populär­kultu­relle Medien sind, die nicht den Anspruch haben, Ver­gangen­heit im Sinne der Geschichts­wissen­schaft dar­zu­stellen. Das ist auch gar nicht möglich. Historische Abläufe sind viel zu komplex, um in einem Regel­werk herunter­gebrochen werden zu können. Vielmehr lehrt uns die Dar­stel­lung und Kon­struk­tion von Geschichte in Spielen etwas darüber, wie wir heut­zu­tage Geschichte ver­stehen und auf­fassen. Das Konzept dahinter, die Geschichts­kultur, erläu­tert Lukas Boch im Sammel­band in einem Aufsatz.

Boch: Anna spricht da einen sehr wich­tigen Punkt an. Wenn wir uns mit Kloster­kultur in Spielen beschäf­tigen, geht es weniger um die Ver­gangen­heit, sondern viel­mehr um das Bild, das davon in der Gegen­wart vorherrscht. Die bloße Frage nach der Triftig­keit der Dar­stellun­gen würde daher viel zu kurz greifen. Es muss viel­mehr darum gehen, zu unter­suchen, welche Narrative durch das Medium trans­por­tiert werden und vor allem wie die Spiele es schaffen, eine his­tori­sche Atmo­sphäre zu erzeugen. Ein ganz wichtiger Punkt ist dabei der Begriff der Authen­tizität. Wir müssen verstehen, dass Authen­tizi­tät immer eine sub­jek­tive Kategorie ist. Was ein Mensch als histo­risch wahr­nimmt, hängt maß­geblich mit seiner Sozia­lisa­tion bzw. seinen Seh­gewohn­heiten zusammen. Nicht umsonst ist das „finstere Mittelalter“ so beliebt, obwohl viele Mediä­visten die Epoche deutlich diffe­renzier­ter betrachten.

Spiel Ora et Labora.
Im Spiel Ora et Labora von Uwe Rosenberg bauen die Spielenden ein Kloster als Wirt­schafts­zentrum auf. Die Karten zeigen Gebäude, die sich in mittel­alter­lichen Klöstern finden. Der Sammelband enthält ein Interview mit dem Erfolgsautor.

Falke: Es zeigt sich aber, dass bestimmte Stereo­type vor­herrschen – so werden in analogen Spielen, wie der Titel des Sammel­bandes ja deutlich zeigt, Mönche oft mit Bier in Ver­bindung gebracht. Das ist in den Spielen natür­lich recht über­spitzt, aber im Kern geht diese Dar­stel­lung doch auf histo­rische Gegeben­heiten zurück, denn Klöster waren im Mittel­alter wich­tige Produ­zenten von Bier und anderen Lebens­mitteln. Somit ist nicht alles, was in Spielen darge­stellt wird, frei erfunden. Vielmehr kommt es sogar häufig vor, dass Autor:innen sich über die in den Spielen dar­gestell­ten Themen infor­mieren und bestimmte As­pekte mit ein­bauen, um die das Gefühl der Authen­tizi­tät zu erhöhen.

Worin liegt die Besonderheit des Mediums Spiel gegenüber anderen pop­kultu­rellen Medien wie Film oder Roman?

Boch: Im Spiel sind wir, anders als im Film oder Roman, aktiv beteiligt. So entscheiden wir in einem digi­talen Spiel zum Bei­spiel selbst, wo wir hingehen, welchen Auftrag wir erfüllen wollen und wie wir unseren Charakter agieren lassen. Auch im ana­logen Spiel liegt es an uns, wie wir inner­halb des Spiels eine Geschichte ent­stehen lassen wollen. Ein Spiel ist oft­mals auch ein Gemein­schafts­erleb­nis, das wir zu­min­dest beim Lesen eines Buches nicht haben. Der Austausch mit anderen ist beim Spielen viel mehr gegeben.

Falke: Hinzu kommt, dass wir in Spielen neben dem Thema oder Setting ein Regel­werk haben, an das wir uns im Ideal­fall halten. Bei analogen Spielen müssen wir uns dieses selber bei­bringen, um das Spiel über­haupt zu ver­stehen – wir haben hier also eine etwas größere Hürde als bei Filmen oder Büchern und auch im Ver­gleich zu digi­talen Spielen. Im analogen Spiel wird außer­dem eine haptische Ebene eingebaut: Wir haben Spiel­material, das wir in die Hand nehmen und mit dem wir inter­agieren. Das findet sich in keinem anderen Medium in diesem Maße.

Diorama „Dies Irae 795“
Im Rahmen der Aus­stel­lung wurde von einem Team aus Histo­riker:innen und Modell­bauer:innen das Diorama Dies Irae 795 gestaltet, das den Angriff von Wikingern auf ein irisches Kloster zeigt. Im Sammel­band findet sich ein detail­lier­ter Werk­statt­bericht über dessen Entstehung.

Der Band behandelt ein breites Spektrum ver­schie­dener Arten von Spielen – vom klassi­schen Brett­spiel, über Tabletops, Sammel­karten­spiele und Rollen­spiele bis hin zum Computer­spiel. Würden Sie sagen, diese unter­schied­lichen Spiel­typen be­ein­flussen, wie kirchen­histo­rische Themen jeweils trans­portiert werden?

Boch: Absolut! Je nach Genre hat das Thema eines Spiels andere Auf­gaben für das Spiel­erlebnis. Nehmen Sie bei­spiels­weise klassische Echt­zeit­strategie­spiele wie Age of Empires. Eine Story kommt, wenn über­haupt, nur in „Kampagnen“ vor. Das histo­rische Thema ist eher in Form von Gebäuden oder mili­täri­schen Ein­heiten präsent. Bei Rollen­spielen ist der narra­tive Teil ungleich höher. Es ist wichtig zu ver­stehen, dass ver­schie­dene Spiel­genres unter­schied­lich funk­tionie­ren und sich auch an unter­schied­liche Ziel­gruppen richten. Gleiches gilt für die Unter­suchung von analogen und digi­talen Spielen. Deswegen sind wir auch so stolz, dass wir in dem Band so viele Expert:innen zu unter­schied­lichen Spiel­genres ver­sammeln konnten und erst­mals in einer Publi­kation auch ana­logen Spielen einen gleich­bedeu­tenden Platz einräumen.

Falke: Das ist ein sehr span­nendes Thema, das noch viel mehr unter­sucht werden sollte! Wir können auf jeden Fall sagen, dass düstere Motive wie „Killer­nonnen“, die Aurelia Brandenburg in ihrem Beitrag untersucht, häufiger in digi­talen Spielen vor­kommen, aber kaum in analogen. Das ist natür­lich nur ein Bei­spiel unter vielen. Gerade in Brett­spielen wird das Mittel­alter all­gemein eher als freund­licher Sehn­suchts­ort dargestellt. Das kann im digitalen Spiel deutlich düsterer sein.

Screenshot von „The Abbey“
In digitalen Spielen wie The Abbey treten Mönche mitunter als düstere Gestalten auf. Diese Art der Darstellung findet sich in analogen Spielen ver­gleichs­weise selten.

Dass Spiele einen anderen Zugang zu histo­rischen In­halten bieten als beispiels­weise Schul­unter­richt und Lehr­bücher, wird ja sicher­lich gezielt genutzt. Können Sie ein paar Bei­spiele nennen, wie Spiele in der Geschichts­ver­mitt­lung eingesetzt werden?

Falke: Dazu muss man erst einmal den Begriff Spiele etwas unter­teilen: Es gibt soge­nannte consumer games, die für einen breiten Markt geschaffen werden, und soge­nannte serious games, die gezielt für das Erlernen bestimmter Themen konzipiert werden. Serious games werden in der Geschichts­vermitt­lung gezielt einge­setzt, beispiels­weise in Aus­stel­lun­gen, bei denen minigames Inhalte vermitteln. Aber auch consumer games bieten sich für die Geschichts­vermitt­lung an, so sind wir beispiels­weise mit einigen Lehrer:innen im Kontakt, die Spiele im Unter­richt nutzen.

Boch: Dabei ist wichtig zu betonen, dass histo­rische Themen nicht richtig darge­stellt sein müssen, um diese zu behan­deln – vielmehr geht es darum, im Sinne der Public History zu unter­suchen, wie bestimmte Themen darge­stellt werden und warum. Abseits des histo­ri­schen Wissens können Spiele aber auch die Medien­kompetenz stärken, so können beispiels­weise kritische Dar­stel­lungen hinter­fragt werden. Das war uns auch in der Aus­stel­lung ein großes An­liegen, wie in dem Beitrag von Anna Falke dargelegt wird.

Die Ausstellung „Mönch ärgere dich nicht“ im Museum Abtei Liesborn
Die Ausstellung Mönch ärgere dich nicht im Museum Abtei Liesborn zeigte auf, wie mittel­alter­liche Kloster­kultur im modernen Brett­spiel insze­niert wird und was dies über die Wahr­neh­mung von Geschichte aussagt. Den Besuchenden wurde dabei eine Medien­kompe­tenz vermit­telt, denn Geschichts­dar­stel­lun­gen in pop­kultu­rellen Medien müssen kri­tisch hinter­fragt werden.

Das Interview mit Anna Klara Falke und Lukas Boch führt Dr. Julius Alves aus dem Lektorat Geschichte/ Politik/ Gesellschaft.
Boardgame Historian: https://bghistorian.hypotheses.org/
Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und digitale Spiele: https://gespielt.hypotheses.org/

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