Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen – Ãœbergangsphänomen oder Indikator für Handlungsbedarf?

Kaum ein Thema wird gegen­wärtig so intensiv disku­tiert wie die Trans­sexua­lität. Bei vielen Kindern und Jugend­lichen erweist sich die Gender­dysphorie aber als ein Ãœber­gangs­phänomen. Das verweist darauf, wie vor­sich­tig vorge­gangen werden muss, wie wichtig Bera­tung, Unter­stüt­zung, Therapie sind. Worauf besonders geach­tet werden sollte, erklä­ren Marion Felder und Bernd Ahrbeck im Interview.

Umschlagabbildung des Buches

Bernd Ahrbeck/Marion Felder (Hrsg.)
Geboren im falschen Körper
Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen

2022. 233 Seiten, 8 Abb. Kartoniert. € 34,–
ISBN 978-3-17-041238-5

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Wie kommt es, dass immer mehr Kinder das Gefühl äußern, im falschen Körper geboren zu sein?

Bernd Ahrbeck
Prof. Dr. Bernd Ahrbeck, International Psychoanalytic University Berlin

Zunächst einmal hat sich die Personen­gruppe verändert. Es sind immer mehr Mädchen, die sich in oder kurz vor der Puber­tät in ihrem Körper fremd fühlen und ihr Geschlecht um­wan­deln wollen. Oft sehr plötz­lich, ohne jede Voran­kündi­gung. Mediale Einflüsse spielen dabei eine wich­tige Rolle. Wenn eine Tran­sition in ein­schlä­gigen Inter­net­foren als ein Be­frei­ungs­akt gepriesen wird, kann das für Puber­tie­rende, die sich in einer schwie­rigen und auf­wüh­lenden Lebens­phase befin­den, sehr ver­füh­rend sein. Häufig ver­stecken sich hinter einer Ge­schlechts­dys­phorie viel­fäl­tige psy­chische und soziale Probleme, die zunächst uner­kannt bleiben, nicht selten auch abgewehrte homosexuelle Neigungen.

Sie behaupten, in den meisten Fällen sei die Gender­dys­phorie ein Über­gangs­phänomen, das sich gewis­ser­maßen auswächst?

Marion Felder
Prof. Dr. Marion Felder, Hochschule Koblenz, Fach­bereich Sozial­wissen­schaften.

Das ist empi­risch ein­deutig belegt. In der über­wiegen­den Mehr­zahl der Fälle baut sich eine Geschlech­ter­dys­phorie wieder ab, es findet eine Versöh­nung mit dem urs­prüng­lichen Geschlecht statt. Insofern handelt es sich nur um zeit­weise Irri­tatio­nen, keinen fest in der Person veran­ker­ten und zeit­über­dauern­den Um­wand­lungs­wunsch. Den gibt es auch, er kommt nur viel selte­ner vor. Die Behaup­tung, nun­mehr träten genuine Tran­sitions­wünsche offen hervor, die bisher versteckt gehalten wurden, ist angesichts der exponentielles Anstiegszahlen vollkommen lebensfremd.

Sie mahnen einen „vorsichtigen“ Umgang mit diesem Thema an? Was ist damit gemeint?

Eine Geschlechtsumwandlung stellt, wenn Hormone vergeben und chirurgisch eingegriffen wird, einen gravierenden und irreversiblen Schritt dar, der gut überlegt sein muss. Für viele Jugendliche ist gar nicht klar, dass es eine wirkliche Umwandlung gar nicht gibt, allenfalls eine Annäherung an den gewünschten Zustand. Um eine solche Entscheidung zu treffen, bedarf es einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst und anderen, einer ergebnisoffenen Beratung oder Therapie. Und vor allem viel Zeit. Eine solche Entscheidung darf nicht leichtfertig erfolgen.

Warum wird gerade dieses Thema, das bis vor kurzem kaum wahrgenommen wurde, plötzlich breit diskutiert?

Das liegt zum einen daran, dass sich ein ursprünglich sehr seltenes Phänomen unter starker medialer Aufmerksamkeit ausgeweitet hat. Zugleich ist es zu einem heiß umstrittenen Politikum geworden, wie sich anhand des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes zeigt. Kinder ab vierzehn Jahren sollen dann einmal jährlich ihren standesamtlichen Geschlechtseintrag per Sprechakt verändern und in der Folge eine medizinische Transition einleiten können, auch gegen den Willen ihrer Eltern. Das ist ein hochproblematischer Vorschlag, der das Kindeswohl gefährdet.

In welcher Hinsicht ist Genderdysphorie ein zeit- und gesellschaftstypisches Phänomen?

Gegenwärtig wird vieles infrage gestellt, das bisher als selbstverständlich galt. Der schnelle Wandel ist zur zeittypischen Devise geworden. Grenzen scheint es kaum noch zu geben. Jedem Menschen soll alles möglich sein. Das subjektive Empfinden wird zunehmend zu einer Leitlinie, die alleinige Gültigkeit beansprucht. Was erlebt wird, darf nicht mehr hinterfragt werden. Soziale Rollen sollen fernab jeglicher Tradition frei definierbar sein und selbst das biologische Geschlecht gilt mitunter als Produkt einer Selbstkonstruktion. Insofern befinden sich Gender­dysphorie und Umwandlungs­wünsche auf der Höhe der Zeit.

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