Die Umsetzung des Konzepts „Lebenslanges Lernen“ ist eine der wichtigsten aktuellen Forderungen der Bildungspolitik und pädagogischer Programme. Menschen sollen befähigt werden, über die gesamte Lebensspanne hinweg zu lernen, auch über das Berufsleben hinaus. Dabei werden nicht nur die Grenzen herkömmlicher Bildungsstrukturen und die Einteilung in strikt aufeinanderfolgende Abschnitte des Bildungsweges durchbrochen, es entstehen auch neue Berufsfelder für Pädagoginnen und Pädagogen.
Christiane Hof
Lebenslanges Lernen
Eine Einführung
2., überarbeitete Auflage
2022. 198 Seiten, 6 Abb., 1 Tab. Kartoniert. € 36,–
ISBN 978-3-17-042137-0
Was bedeutet Lebenslanges Lernen konkret?
Lebenslanges Lernen ist nicht nur eine bildungspolitische Forderung. Es verweist auch ganz konkret auf die Tatsache, dass Menschen sich über die gesamte Lebenszeit hinweg neues Wissen, neue Kompetenzen und neue Perspektiven aneignen. Lebenslanges Lernen geht also einher mit einem Blick auf das Lernen im Lebenslauf. Dieses Lernen findet nicht nur in Bildungseinrichtungen statt, sondern auch im Alltag, im Kontext von Arbeit, in der Familie, in Vereinen und anderen, nicht primär pädagogischen Bereichen. Lebenslanges Lernen ist damit als eine soziale Praxis zu begreifen, in der Einzelne ihr Leben aktiv gestalten und sich dabei in ihren verschiedenen Lebensbereichen mit den konkreten Situationen und Herausforderungen befassen.
Muss man denn bis ins hohe Alter lernen?
Im bildungspolitischen und arbeitsmarktbezogenen Diskurs wird Lebenslanges Lernen oft als Anforderung formuliert. Dadurch kommen die Menschen jenseits des sog. erwerbsfähigen Alters kaum in den Blick. Mein Verständnis vom Lebenslangen Lernen ist hier sehr viel weiter. Neben dem Erwerb von Qualifikationen und beruflichen Kompetenzen geht es um Handlungsfähigkeit in allen Lebenssituationen – also um Lebensbewältigung. Entsprechend ist es für alle Menschen notwendig. Hinzu kommt die Erkenntnis der Studien zur Weiterbildungsteilnahme, dass Menschen, die häufiger an Weiterbildung teilnehmen, zufriedener und gesünder sind, und dass das Lernen gesellschaftliche Teilhabe befördert. Aus diesem Grund erscheint mir die Unterstützung von Lernaktivitäten und der Auseinandersetzung mit neuen Erfahrungen für alle Menschen bis ins hohe Alter wichtig.
Welche neuen Berufsfelder und Aufgaben für Pädagoginnen und Pädagogen bringt das Lebenslange Lernen mit sich?
Lernen und Bildung findet in expliziten Bildungsinstitutionen, etwa Schulen oder Weiterbildungseinrichtungen, aber auch eingelagert in alltägliche Lebenszusammenhänge statt. Für Pädagoginnen und Pädagogen ergibt sich damit die Herausforderung, über neue Formen der Unterstützung von Lernen nachzudenken. Dabei geht es etwa um die Gestaltung von Lernmöglichkeiten am Arbeitsplatz – jenseits der Konzeption von Schulungen und Trainings –, um den Ausbau von Beratung für Einzelne wie auch für Organisationen und nicht zuletzt auch um die pädagogische Gestaltung medialer Lernumgebungen.
Wie wird das Lebenslange Lernen die Bildungslandschaft in Zukunft beeinflussen?
Wenn ich es recht sehe, ist der Transformationsprozess der Bildungslandschaften schon in vollem Gange. Dies zeigt sich etwa darin, dass die traditionelle Ausrichtung der Bildungsangebote nach Lebensaltern zunehmend brüchig wird. So besuchen auch Erwachsene die Schule, um einen Bildungsabschluss nachzuholen, ehrenamtlich engagieren sich nicht nur junge Erwachsene – etwa im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahrs –, sondern auch Erwachsene im mittleren und im höheren Alter; Familienbildungsstätten und Jugendzentren werden in kommunalen Zentren zusammengelegt. Diese wenigen Beispiele verweisen auf Veränderungen, die sich ebenso auf die Trennung der Altersgruppen wie auf die Ausrichtung der Angebote beziehen. Fürsorge, Beratung, und Bildung sind in einer am Lebenslauf orientierten Pädagogik keine Gegensätze, sondern unterschiedliche Formate zur Unterstützung der Menschen bei der Lebensbewältigung.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung – besonders seit der Pandemie – dabei?
Digitalisierung verweist zum einen auf neue technische Medien des Lehrens und Lernens wie auch der Beratung. Entsprechende Angebote – ebenso wie die Fähigkeiten zu ihrer Nutzung – haben in der Pandemie stark zugenommen. Dieser Prozess wird wohl noch weiter gehen. Ob und in welcher Weise digitale Medien altersgruppenübergreifend genutzt werden, wäre ein Thema für die Forschung. Klar aber scheint zu sein, dass die Nutzung solcher Medien ungleich verteilt ist und sich damit auch Ungleichheiten in den Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe zeigen – bzw. verstärken.
Digitalisierung verweist zum anderen auch auf neue Formen der Generierung, Verbreitung und Kommunikation von Informationen. Wir beobachten eine Zunahme an Informationen, die über das Internet zur Verfügung stehen, und die damit verbundene Notwendigkeit einer begründeten Auswahl bzw. der kritisch-reflexiven Beurteilung der angebotenen Informationen. Darüber hinaus wird zunehmend deutlich, dass Algorithmen und Künstliche Intelligenz eine zentrale Rolle spielen. Deren Funktionieren zu verstehen und sich kritisch-reflexiv mit ihnen auseinanderzusetzen, ist eine Aufgabe für alle Nutzerinnen und Nutzer. Hier scheint mir u.a. auch pädagogische Begleitung und Unterstützung notwendig.
Zwar findet das Lebenslange Lernen auch außerhalb pädagogischer Einrichtungen statt und ist damit nicht allein in die Verantwortung von Pädagoginnen und Pädagogen zu legen. Dennoch sind sie wichtige Akteure bei der Unterstützung lebenslanger Lernprozesse.
Bleiben Sie auf dem Laufenden –
Abonnieren Sie den Kohlhammer Newsletter