Wir sprachen mit Professor Dr. Peter Zentel anlässlich des Erscheinens des von ihm herausgegebenen Buches „Lebensqualität und geistige Behinderung“. Lebensqualität ist dabei heute zu einem Leitbegriff mit zunehmender Relevanz in den Kernbereichen der Pädagogik geworden. Und es ist mehr als ein wissenschaftliches Konzept, denn es zielt auf Wirkung in der Praxis, auf die sehr konkrete und nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit geistiger Behinderung.
Peter Zentel (Hrsg.)
Lebensqualität und geistige Behinderung
Theorien, Diagnostik, Konzepte
2022. 247 Seiten, 10 Abb., 8 Tab. Kartoniert. € 39,–
ISBN 978-3-17-041512-6
Herr Professor Zentel, wie kam es, dass Sie ein Buch zum Thema Lebensqualität herausgegeben haben?
An der LMU München wurde 2020 ein neuer Lehrstuhl der Geistigbehindertenpädagogik eingerichtet. Ein Neuanfang evoziert immer auch Überlegungen zur grundsätzlichen Ausrichtung der Lehre und Forschung. Als verbindende Vision haben wir Lebensqualität von Menschen mit geistiger Behinderung identifiziert. Programmatisch kommt damit zum Ausdruck, dass unsere Arbeit Wirkung zeigen soll: Durch unsere Forschung und Lehre möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass sich die Lebensqualität von Menschen nachhaltig verbessert.
Ist Lebensqualität denn ein aktuelles Konzept?
In unserem gerade erschienenen Buch wird deutlich, dass Überlegungen zur Lebensqualität von Menschen mit geistiger Behinderung etwas relativ Neues sind. Lange Zeit wurde dieser Zielgruppe keine Lebensqualität zugesprochen. Die ersten Bemühungen im 19. Jahrhundert, die darauf abzielten, Lebensqualität zu verbessern, offenbarten eine noch eingeschränkte Sicht auf das, was an Qualität erwartbar ist: Es ging nicht darum, ein erfülltes Leben wie Menschen ohne Behinderung leben zu können, sondern in speziellen Einrichtungen sollte ein angemessener Lebensstandard gewährt werden, den wir heute mit dem Label „satt und sauber“ versehen würden. Deutlich jünger ist der Gedanke des Anspruches auf eine universelle, uneingeschränkte Lebensqualität, der erst durch Leitideen wie der Normalisierung, Selbstbestimmung, Inklusion und Teilhabe der Weg bereitet wurde.
Welche Wirkung hat das Konzept der Lebensqualität?
Der Lebensqualitätsansatz hat sich mit den sonderpädagogischen Leitideen sukzessive entwickelt, hat sich erweitert und kann nun zum einen selbst als übergreifende Leitidee verstanden werden, zum anderen ist Lebensqualität ein Qualitätsmerkmal, an dem wir den Erfolg bzw. die Wirkung von aktuellen Leitideen wie Teilhabe und Inklusion messen können.
Ändert sich dadurch für eine einzelne Person etwas?
Lebensqualität kann nicht nur als Globalmaß für die Beurteilung von gesellschaftlichen Prozessen herangezogen werden, was sowohl für Politik als auch Wissenschaft von Bedeutung ist. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Instrumente entwickelt, die auf individueller Ebene zu ermitteln versuchen, wie es um die subjektiv empfundene Lebensqualität eines einzelnen Menschen steht. Die Parameter der subjektiv empfundenen Lebensqualität können wiederum genutzt werden, um Praxis weiterzuentwickeln, die Mensch-Umfeld-Passung zu verbessern und das Leben lebenswerter zu machen.
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