Was wir inzwischen über SARS-CoV-2 gelernt haben und wie wir damit professionell umgehen

PD Dr. med. habil. Andreas Schwarzkopf, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie ist öffentlich bestellter und beeidigter Sachverständiger für Krankenhaushygiene. Zusammen mit seiner Frau betreibt er das Institut Schwarzkopf, das als Dienstleister für das Gesundheitswesen und die Industrie zum Thema Mikroben und Viren tätig ist und Seminare zur Hygiene anbietet. Warum seine schon im Mai erschienene Infobroschüre „Virale Pandemien am Beispiel SARS-CoV-2“ weiterhin aktuell ist, und was wir inzwischen über den Umgang mit dem Virus gelernt haben, erklärt er im Interview.

Umschlagabbildung des Buches

Andreas Schwarzkopf
Virale Pandemien am Beispiel SARS-CoV-2
Hintergründe – Maßnahmen – Prävention

2020. 59 Seiten, 8 Abb., 14 Tab. Kart. € 14,–
ISBN 978-3-00-039400-3

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Herr Dr. Schwarzkopf, Sie waren schon früh mit den Auswirkungen der Pandemie befasst. Wie haben Sie die Anfangszeit im März wahrgenommen?

Pandemien sind eigentlich nichts Ungewöhnliches. Wir haben gelernt, mit den häufigen Grippepandemien zu leben. Natürlich gab es immer wieder Paniken, die ich mit meistern musste, Rinderwahn, Vogelgrippe, Schweinegrippe, Ebola. Neu war diesmal die heftige Reaktion der Politik, mit Maßnahmen, die zuerst absolut korrekt waren, dann aber zunehmend befremdlicher wurden. Dies gilt insbesondere für das wenig strukturierte Vorgehen der Bundesländer, im Grunde machte jede Staatsregierung bzw. Senat ihr Ding. Bei einem gefährlichen Virus hätte dies gravierende Todeszahlen mit sich gebracht.

Was hat sich seither verändert?

Wir haben viel gelernt. Wir wissen nun aus den Studien aus Schweden, Heinsberg und Kupferzell, dass es sich nicht um ein hoch infektiöses Virus handelt. Genauso wissen wir, dass die Versuche mit der Impfung wohl noch dauern werden, weil der Erreger selbst schon öfter nicht genügend Antikörper bei den Infektionen provoziert. Gelernt haben wir einiges in Bezug auf die Therapie. Was sich leider nicht verändert hat, ist die fehlende Kompetenz im Management, die unter anderem dazu führen kann, dass Supermärkte Flächendesinfektionsmittel als Händedesinfektionsmittel anboten. Dass die Handhabung nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Landkreis zu Landkreis verschieden ist, ist auch alles andere als hilfreich.

In Ihrer Infobroschüre „Virale Pandemien am Beispiel SARS-CoV-2“ nehmen Sie einen Vergleich zwischen der Influenza und der COVID-19-Pandemie vor. Welche Lehren konnten von der Influenza auf die jetzige Situation übertragen werden?

Die Influenza als regelmäßig pandemisch auftretende, durch behüllte RNA-Viren mittels Tröpfchen-Infektionen (wie SARS-CoV-2) Erkrankung half vor allem bei den Hygienemaßnahmen. Die Zielgruppen sind aber unterschiedlich und auch die Krankheitsbilder sind nicht gleich. Natürlich hätte man hier auch von längst Gelerntem profitieren können, wie man mit einer Pandemie umgeht, ohne Panik zu verbreiten, aber das wurde versäumt.

Ihre Infobroschüre entstand bereits im Mai, mitten in der Hochphase der Pandemie in Deutschland. An wen genau richtet sich die Broschüre und warum hat sie auch jetzt nicht an Aktualität verloren?

Die Broschüre richtet sich an Pandemiebeauftragte, besorgte Eltern, die einfach einmal genau wissen möchten, womit man es zu tun hat und Hygienefachpersonal in allen Einrichtungen.

Und gerade jetzt steuern wir auf ein Desaster zu. Die Influenza steht vor der Tür, auch die anderen üblichen „Winterviren“ für banale Erkältung klopfen an. Die Symptomatik aller Erreger ist ähnlich. Gleichzeitig gibt es viel zu wenig Testkapazität, die vollmundigen Versprechungen der Politik erwiesen sich allzu oft als Flop.

Das Problem muss das Hygienefachpersonal „an der Front“ lösen, die Broschüre kann ihnen durch angstnehmendes Wissen den Rücken stärken.

Oft wird behauptet, dass Deutschland bisher so gut durch die Pandemie gekommen sei, läge daran, dass wir früh und mit konsequenten Maßnahmen reagiert hätten. Sehen Sie das anders?

Bei einem neuen Virus kann man erst mal nicht vorsichtig genug sein. Unzweifelhaft wurden auch ein paar Leben gerettet. Aber der Lockdown war überschießend und hat viele Tote verursacht, die nicht oder nicht rechtzeitig behandelt wurden. Diese wären gegenzurechnen. Tausende vernichtete wirtschaftliche Existenzen junger und jüngerer Menschen, Kinder mit massiven psychischen Traumatisierungen, alte Menschen, die vor Einsamkeit wegen der Isolation zu ihrem Schutz gestorben sind oder immobil wurden, weil sie sich nicht mehr aus der Wohnung trauten. Der Beispiele sind viele mehr und die Rechnungen werden erst in den kommenden Jahren präsentiert. Ich glaube nicht, dass Deutschland besser dasteht als Schweden, wenn man diese Wahrheiten mit einkalkuliert und am Schluss abrechnet.

Das Interview führte Alexandra Schierock aus dem Lek­torat des Bereichs Pflege/ Gesundheitsberufe.

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