Der Liebe nah â€“
Abschied nehmen und trauern

In ihrem Werk „Der Liebe nah â€“ Abschied nehmen und trauern“ beleuchtet Rébecca Kunz die viel­schichtigen Aspekte der Trauer. Sie erforscht die Unter­schiede zwischen Trauer­prozessen, Trauer und Verlust­schmerz und bietet erhellende Perspek­tiven auf ein universelles mensch­liches Erlebnis.
Ihr Buch öffnet ein Fenster zu einem besseren Verständ­nis der Trauer und bietet wertvolle fach­liche und persön­liche Einblicke, wie man Menschen in ihrem Trauer­prozess unterstützen kann.

Portrait von Rébecca Kunz
Rébecca Kunz

Sie unterscheiden in Ihrem Buch Trauer­prozesse, Trauer und Verlust­schmerz. Weshalb sind für Sie diese Unter­scheidungen so wichtig?

Trauerprozesse, also Trauer­wege, sind individuell. Die Basis­emotion Trauer jedoch ist universell. Viele Menschen verwechseln den Verlust­schmerz mit der Trauer, dabei sind das zwei gegen­läufige Aspekte im Trauer­prozess: Gefühlte Trauer hilft, einen Abschied zu verarbeiten, und insbesondere auch, den Verlust­schmerz zu verringern. Echte Trauer fühlen zu können, ist somit sehr hilf­reich! Manch­mal will das gelernt sein. Trauer ist eine Emotion mit großem Potenzial für Tiefgang und Weisheit; der Trauer wohnt eine nicht zu unter­schätzende Wachstums- und Heilkraft inne. Diese Haltung ist für mich zentral und vielleicht hilft sie, die weit­verbrei­tete Angst vor der Trauer etwas abzubauen.

Trauer hat bekanntermaßen viele Seiten und Gesichter, jeder Mensch trauert anders. Gibt es dennoch „allgemein­gültige“ Tipps, wie Menschen, die einem nahe­stehen, in ihrem Trauer­prozess unter­stützt werden können?

Es hilft, einfach da zu sein für einen Menschen, und dessen Gefühle weder zu bewer­ten noch vor­schnell weg­trösten zu wollen. Manchmal ist auch eine schlichte Um­armung sehr stimmig.
Menschen, die selbst fähig sind zu trauern, und offen sind für das, was sich in einem Trauer­prozess so alles zeigen kann, sind für Trauernde die beste Hilfe. Hierzu Moti­vation und Inspi­ration zu geben, waren für mich die Haupt­gründe, dieses Buch­projekt zu realisieren. Die leben­digen Erfahrungs­werte von direkt Betroffenen sind für mich aufschluss­reicher, als wenn Trauer­prozesse in starre, theo­retische Kon­zepte gepresst werden.

Gibt es typische Verhaltens­weisen, die Menschen zeigen, wenn sie trauern?

Weinen ist sicher etwas, das Erleich­terung verschaffen kann und zudem die Bindungs­systeme von Mit­menschen aktiviert. In unseren Breiten­graden sind jedoch Gefühle, ins­beson­dere die Trauer, oft scham­besetzt. Vor anderen zu weinen ist vielen pein­lich. So wird Trauer meist nur in den eigenen vier Wänden aus­gedrückt und nur mit wenigen Mit­menschen geteilt. Manch­mal findet sogar ein regel­recht isolierender Rückzug statt. Zum Schmerz des Verlustes kommt somit noch der Schmerz der Einsam­keit dazu.
Es wäre doch das Natür­lichste auf dieser Welt: Jeman­dem geht es schlecht und ich nehme ihn in die Arme! Doch der potenziell Empfan­gende muss dafür bereit sein.
In einem Trauer­prozess, den ich wie gesagt von der eigent­lichen Emotion Trauer klar unter­scheide, haben auch alle anderen Gefühle, Empfin­dungen, Stimmungen und Regungen Platz. Es ist völlig normal, dass dabei vielerlei, auch ganz Wider­sprüchliches, auftaucht.

Menschen fühlen sich häufig hilf­los und unsicher, ob, wann und wie sie auf eine trauernde Person zugehen sollten. Welche Wünsche haben Trauernde in dieser Zeit?

Menschen in einem Trauerprozess sollten immer selbst bestimmen können, was im Moment für sie stimmt und was nicht. Wir können einfach fragen, was genau sich jemand von uns wünscht. Oder auch kon­krete Vor­schläge machen, z.B.: „Heute Nach­mittag kann ich um 14 Uhr für einen Spazier­gang zu dir kommen, ist das in Ordnung?“ Und nicht: „Sag mir einfach, wenn du mich brauchst.“ Und dann, auf dem Spazier­gang, falls sich das nicht von alleine ergibt, könnten wir fragen: „Möchtest du reden oder lieber nicht?“ Viele Trauernde wollen ganz kon­kret und ausführ­lich über den Verstor­benen reden – so ist er noch ein wenig da. Wichtig ist, dass wir nicht in eine Hektik verfallen und hohe Selbst­ansprüche auf­bauen in Bezug darauf, wie wir einer trauernden Person beistehen sollten. Wir können uns merken: Der Lead ist immer bei der trauernden Person. Wir müssen nichts „machen“, sondern viel­mehr einfach da sein, Raum geben. Uns nicht auf­drängen mit Ideen, wie der Trauer­prozess verlaufen sollte. Denn wir wissen das schlicht­weg nicht.
Die 25 Porträts geben uns intime Einblicke in Trauer­prozesse, insbeson­dere auch zu Aspekten, die im Trauer­prozess geholfen haben oder eben nicht dienlich waren. Es ist ein groß­artiger Schatz an Erfahrungen zusammen­gekommen, den wir uns zu Herzen nehmen können. Ich bin den Porträtierten unglaub­lich dank­bar, wieviel Hilf­reiches sie uns mit ihren berühren­den Geschichten zur Verfügung stellen.

Was ging in Ihnen vor und wie gingen Sie damit um, als Sie all diese Abschiede und zum Teil auch trauma­tischen Schicksals­schläge zu Papier brachten?

Anspruchsvoll waren die Tonaufnahmen, die 1:1-Begegnungen, die jeweils mehrere Stunden dauerten und sich inten­siv gestalteten. Mich hat jeder einzelne porträtierte Mensch mit seiner jeweils ein­maligen Geschichte tief berührt. Auch das Trans­kribieren war heraus­fordernd, doch ich war mit dem Schreiben auch kognitiv beschäftigt und somit in einem etwas anderen Modus und nicht nur rein rezeptiv. Als ich dann das Ganze am Schluss mit größerem Abstand en bloc durchlas, merkte ich, dass mir, wie wohl vielen von uns, Geschich­ten ganz besonders unter die Haut gehen, wenn Kinder in Leid involviert sind.
Ich habe im Leben gut (und manchmal unter Schmerzen, zugegeben) gelernt, selbst­fürsorg­lich zu sein und schätze wohl­wollenden, nährenden, inspi­rierenden Austausch mit anderen Menschen. Bzw. organi­siere ich mir Hilfe, wenn zum Beispiel Wald­spazier­gänge, Schwimmen und dgl. nicht mehr reichen, um mein Nerven­system zu regu­lieren.

Was hilft Ihnen in der Beglei­tung eines Menschen, der gerade tiefen seeli­schen Schmerz durchsteht?

Natürlich muss ich damit um­gehen können, wenn ein Gegen­über während eines Gesprächs seine see­lische Schmerzen zeigt und weint. Ich nehme glücklicher­weise gut wahr, wo meine Grenzen sind und wo die Grenzen eines Gegen­übers liegen. Auch kann ich das gemein­same Energie­feld und die auf­tauchenden Emotionen gut halten und Sicher­heit vermitteln.
Und natür­lich gibt es eine Art Empathie-Schmerz, der nicht mit Mitleid zu ver­wechseln ist. Sondern er zeigt, dass ich ganz präsent bin, ein weites Toleranz­fenster für innere Erregung habe, und mich somit echt und tief berüh­ren lasse. Wenn ich den seeli­schen Schmerz eines Gegen­übers nicht einfach „weg­machen“ will, zeige ich, dass ich tiefen Respekt vor seiner Leidens­fähigkeit habe: Sie ist die Kehr­seite einer Medaille, die auf der anderen Seite die Liebes­fähigkeit trägt. Mit dieser Ein­stellung kann ich einen Menschen ein Stück weit durch seinen Schmerz begleiten. So kann sich dieser wandeln.

Erzählungen von Schicksals­schlägen können sehr brutal sein und einen lange verfolgen. Gibt es in Ihrem Buch Trauer­berichte, die Sie nicht mehr loslassen? Was machte die Arbeit an diesem Buch ins­gesamt mit Ihnen?

Weil ich durch alle Emotionen mit­gegangen bin wäh­rend der Gespräche, bleibt nichts in einem ver­folgen­den Sinne hängen. Es hängt alles davon ab, mit wie­viel eigenem seeli­schem Schmerz wir um­gehen können. In den Gesprä­chen war es mir unter anderem auch wichtig, explizit zu fokus­sieren auf das, was geholfen hat in der oft sehr großen seeli­schen Not. Ich habe längere Zeit auch Rund­funksen­dungen zu existenzi­ellen Themen gemacht und immer war ich neu­gierig, welche Kraft denn in einer Seele steckt, um auch mit widrigen, manch­mal heftig­sten Kontexten umzu­gehen. Ich erfahre beruf­lich viel seeli­sch Schmerz­liches und nach einer grund­legenden Würdi­gung desselben gibt es verschie­dene Mittel und Wege, damit etwas ein wenig besser, ein wenig heiler wird. Step by step – Baby­steps, wie es so schön heißt. Ohne den Fokus auf eine in jedem Menschen innewohnende, ganz beson­dere, schon fast trans­zendent anmu­tende Kraft zu richten, hätte ich dieses Buch­projekt nicht zustande gebracht. Wenn ich an der Zart­heit und der Schön­heit der mensch­lichen Seele teil­haben kann und das Wunder des Lebens immer tiefer erfor­schen und erleben darf, bin ich glück­lich. Vielleicht trage ich mit meinem Schaffen sogar ein klein bisschen dazu bei, die Erde zu einem heileren Ort zu machen. Jedenfalls wünsche ich mir das.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und Ihre Mühe!

Rébecca Kunz
Der Liebe nah – Abschied nehmen und trauern
Erfahrungen und Erkenntnisse von Fachleuten und Betroffenen

2024. 256 Seiten. Kart.
€ 39,–
ISBN 978-3-17-043985-6

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