Im Folgenden ein Interview mit Frau Dr. Preißmann, das wir anlässlich des Erscheinens ihres Werkes „Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom“ geführt haben.
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Frau Dr. Preißmann, Sie haben Medizin studiert, den Facharzt in Notfallmedizin gemacht und später eine Ausbildung zur Psychotherapeutin. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu gebracht hat, sich näher mit der Psyche des Menschen auseinanderzusetzen?
Ja, es gab eine langjährige eigene Erfahrung mit einer psychotherapeutischen Behandlung, die mir auch heute noch eine sehr wichtige Stütze ist und von der ich sehr profitiere. Ich erkannte erstmals, dass es nicht reicht, sich mit der körperlichen Seite zu beschäftigen, wenn man Menschen gut behandeln will. Deshalb habe ich beide Richtungen kombiniert und würde das auch wieder so machen.
Im Alter von 27 Jahren wurde bei Ihnen die Diagnose des Asperger-Syndroms gestellt, können Sie in ein paar kurzen Sätzen zusammenfassen, was dieses Störungsbild ausmacht?
Das Asperger-Syndrom ist eine Erkrankung aus dem autistischen Spektrum. Die betroffenen Menschen haben meist große Schwierigkeiten im Kontakt mit anderen Menschen. Es fällt uns schwer, auf andere Menschen zuzugehen, ein Gespräch mit ihnen zu beginnen und in Kontakt zu bleiben. Wir haben daher meist nur wenige freundschaftliche Beziehungen und sind oft sehr isoliert. Hinzu kommen viele Ängste im Alltag, beispielsweise bei Veränderungen oder unerwarteten Ereignissen. Wenn man nicht weiß, was einen erwartet, bereitet das große Angst. Nicht selten reagieren Menschen mit Asperger-Syndrom dann mit Wutausbrüchen, die anderen Menschen in erster Linie als Ungezogenheit erscheinen, nicht aber als Ausdruck großer Furcht. Und auch mit den Sinnesorganen haben wir oft Probleme, viele Reize sind für uns so stark, dass wir sie kaum aushalten können (Gerüche wie Deodorants, Sonnenlicht, Lärm etc.). Es resultieren Schwierigkeiten in allen Lebensbereichen und in allen Altersstufen.
Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom, so lautet der Titel Ihres nun in 3. Auflage erschienenen Werks. Welche Schwierigkeiten können sich beispielsweise in der Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten mit Asperger-Syndrom ergeben?
Viele autistische Menschen sind anfangs kaum in der Lage, eine Beziehung einzugehen, sie wirken auf ihr Gegenüber abweisend und unnahbar. Erst wenn man sich näher mit ihnen beschäftigt, erkennt man die hochsensible, schutzbedürftige und einsame Seite, und man bemerkt, dass wohlwollende Hilfsangebote gern angenommen werden und die Betroffenen davon auch sehr profitieren können.
Welche Themen spielen in der Psychotherapie und Beratung bei Menschen mit Asperger-Syndrom eine besondere Rolle?
Die Themen sind natürlich so vielfältig wie die Menschen selbst. Das fängt bei der Schule an und geht über Arbeit und Beruf, Wohnen, Freizeit, Freundschaft und Partnerschaft bis hin zu Begleiterkrankungen und Krisen. Für die Neuauflage wurden viele Kapitel aktualisiert und ergänzt, insbesondere zeigt sich das Kapitel „Krisensituationen“ völlig überarbeitet. Neu hinzugefügt wurden Ausführungen zur geschlechtsspezifischen Beratung von Menschen mit Autismus, ein Thema, das bislang völlig vernachlässigt wurde. Im größeren Rahmen thematisiert wurde außerdem innerhalb des Kapitels „Schule“ die Forderung nach einer inklusiven Bildung für alle Menschen.
Frau Preissmann, Sie halten immer wieder Vorträge zum Thema Autismus und Asperger. Wie ist das für Sie als Betroffene, mit den vielen Menschen und dem Stress umzugehen?
Es ist anstrengend, ganz klar. Vor allem aber ist es einfach wahnsinnig schön und bereichernd. Es gibt mir sehr viel Kraft, wenn ich die Rückmeldung erhalte, dass ein Teilnehmer nun autistische Menschen sehr viel besser verstehen kann. Das ist das größte Lob und das schönste Geschenk. Mit Ihren Vorträgen klären Sie über das Krankheitsbild auf und möchten die Menschen dazu ermutigen, sich ein realistisches Bild von Menschen mit Autismus zu machen.
Welche Punkte sind Ihnen bei Ihren Vorträgen noch wichtig?
Es ist mir wichtig zu betonen, dass es sich lohnt, ein unverständliches Verhalten zu hinterfragen, statt es sofort zu verurteilen. Autistische Menschen sind in der Regel ausgesprochen liebenswerte Menschen, denen es fern liegt, anderen weh zu tun. Oft sind es Missverständnisse, die zu einer krisenhaften Zuspitzung führen, oder kleine Anliegen, für die man leicht eine Lösung finden kann. Manchmal wirken wir ungezogen, dabei sind es Unsicherheit und Angst, die unser Verhalten bestimmen.
Und auch die realitive Normalität ist mir wichtig zu betonen. Oft entsteht in den Medien ein falsches Bild von autistischen Menschen. Meist sind es rätselhafte Sonderbegabungen, die Aufmerksamkeit erregen. Oder man stellt sich das Kind „unter der Glasglocke“ vor, das schaukelnd in der Ecke sitzt und keinerlei Kontakt aufnehmen kann. Das alles gibt es natürlich, aber die meisten von uns sind ganz unspektakuläre Menschen, die nur ein bisschen anders sind als andere, die ihren Platz in dieser Welt suchen, die integriert werden möchten und integriert werden können.
Was möchten Sie dem Leser noch mit auf den Weg geben, bevor er Ihr Buch aufschlägt?
Es war mir wichtig, ein Buch zu schreiben, das sowohl Fachleute wie Ärzte, Therapeuten, Pädagogen oder Sozialarbeiter als auch Angehörige autistischer Menschen und Interessierte mit Gewinn lesen können. Die Kombination aus eigenen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, aus Fachinformationen und der Schilderung von Hilfebedarf aus Betroffenensicht entspricht der Tendenz in der modernen Psychiatrie, Betroffene als Experten in eigener Sache aktiv in alle Entscheidungs- und Behandlungsbereiche einzubeziehen.
Herzlichen Dank für das Interview, Ihre Zeit und Mühe.
Das Interview führte Joanna Amor.
Die offizielle Homepage von Christine Preißmann ->