Beziehungen in der modernen Ökonomie – weit mehr als nur die „Weiterempfehlung vom Kunden“

Professor Dr. Peter Witt
Professor Dr. Peter Witt

Die Grundlagen bzw. die Funktions­weisen der Ökonomie sind nicht voraus­set­zungs­los, sondern vielmehr sozialer Natur: Der Wirt­schafts­kreis­lauf, die durch ihn kon­stitu­ierten Geld- und Güter­flüsse sowie die ökono­mi­schen Insti­tutio­nen ins­gesamt basie­ren auf Bezieh­ungen, über die sich auch Erwar­tungs-, Regel- und Ver­trauens­bildung sowie andere öko­nomi­sche Zusam­men­hänge erklä­ren lassen. Die Kenntnis der Wirkungs­weisen sowie der sozio­logi­schen, psycho­logi­schen und öko­nomi­schen Impli­katio­nen von Bezie­hun­gen ist damit zen­tral für das Ver­ständ­nis einer Öko­nomie; darum dreht sich dieses inter­dis­zipli­näre Ein­füh­rungs­werk und thema­ti­siert dabei, wie Digi­tali­sie­rung, Pandemie und sons­tige gesell­schaft­liche Krisen auf das Ein­gehen und Auf­recht­erhal­ten von Bezieh­ungen zurückwirken.

Mit seiner neuen Buch­publi­kation „Bezie­hungs­kompe­tenz. Soziale Bindung in Zeiten von Digi­tali­sie­rung und gesell­schaft­lichen Krisen“ stellt Professor Dr. Peter Witt, Inhaber des Lehr­stuhls für Techno­logie- und Inno­vations­management an der Bergi­schen Univer­sität Wupper­tal, die neues­ten Er­kennt­nisse aus Sozio­logie, Psycho­logie und Wirt­schafts­wissen­schaften praxis­nah und ver­ständ­lich zusammen – wir hatten die Gelegenheit, mit den Autor ein kurzes Gespräch zu führen.

Umschlagabbildung des Buches

Peter Witt
Beziehungskompetenz
Soziale Bindung in Zeiten von Digitalisierung und gesellschaftlichen Krisen

2023. 220 Seiten. Kartoniert. € 32,–
ISBN 978-3-17-043368-7

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Inwiefern spielen Beziehungen eine Rolle für die Ökonomie?

Beziehungen spielen in der Ökono­mie immer dann eine Rolle, wenn Men­schen mit­ein­ander inter­agie­ren. Das geschieht nicht nur im per­sön­li­chen Verkauf oder in der Mit­arbei­ter­füh­rung, sondern auch bei Ko­ope­ratio­nen zwischen Unter­nehmen oder in Lei­tungs­gremien von Unternehmen. Fast alle öko­nomi­schen Trans­aktio­nen sind sozial ein­gebet­tet, finden also zwischen Menschen statt. Eine Aus­nahme sind elek­troni­sche Trans­aktio­nen, die wir mit Maschi­nen oder auf ano­ny­men Markt­plätzen durch­führen, zum Bei­spiel beim Auto­maten­verkauf, beim Online Brokerage oder beim E-Commerce. Aber selbst da kommt es immer wieder vor, dass wir menschliche Ansprechpartner brauchen, um Rückfragen zu klären oder Probleme zu beheben. Soziale Bezieh­ungen sind im Ãœbri­gen auch dann von Be­deu­tung, wenn es um Trans­aktio­nen zwi­schen Organi­satio­nen geht, also bei­spiels­weise bei Liefer­anten­bezieh­ungen, bei Ko­opera­tio­nen oder beim Umgang mit Behörden. Denn Orga­nisa­tionen werden immer ver­tre­ten durch Menschen. Die Bezieh­ungs­kompe­tenz der betei­lig­ten Per­so­nen ent­schei­det darüber, wie gut oder wie schlecht Orga­nisa­tionen zusammenarbeiten.

In der klassischen BWL fin­det man noch wenig über Bezieh­ungs­kompe­tenz – ist das über­haupt lehr- und lernbar?

Beziehungskompetenz wird durch­aus in Teil­berei­chen der BWL erforscht und in der ent­spre­chen­den Lehre behandelt. Ein Beispiel ist das Marketing. Es gibt viele wissen­schaft­liche Studien und gute Lehr­bücher zum Thema per­sönli­cher Verkauf. In diesem Bereich der BWL war immer klar, dass der Ver­triebs­er­folg eines Unter­nehmens von der Bezieh­ungs­kompe­tenz seiner Ver­käufer­innen und Verkäu­fer abhängt. Ein anderes Bei­spiel ist die Per­sonal­wirt­schaft. Auch dort ist schon seit langer Zeit bekannt, dass die Mit­arbei­ter­moti­vation von der Be­zieh­ungs­kompe­tenz und der Füh­rungs­kompe­tenz der Vorge­setzten abhängt.

Ansonsten haben Sie aber sicher Recht. In der klas­sischen BWL wird insge­samt gese­hen noch wenig zu Fragen der Bezieh­ungs­kompe­tenz ge­forscht und gelehrt. Da findet sich häufig noch die Vor­stel­lung vom Homo Oeconomicus, dem stets ratio­nal handeln­den wirt­schaft­lichen Akteur, für dessen Ver­hal­ten soziale Bezieh­ungen oder psycho­logi­sche Ein­fluss­fakto­ren irre­levant sind. Aber das hat sich auch schon stark geän­dert. Mit dem Sieges­zug der Behavioral Economics haben Er­kennt­nisse aus der Psycho­logie deut­lich mehr Be­rück­sich­ti­gung in der klas­sischen BWL erfahren. Ich würde auch sagen, dass es mitt­ler­weile mehr Teil­be­reiche der BWL gibt, in denen psycho­logi­sche und sozio­logi­sche Er­kennt­nisse verar­bei­tet werden. Ein Beispiel ist die For­schung zu Fami­lien­unter­nehmen, die ganz klar gezeigt hat, welche große Rolle fami­liä­re Bezieh­ungen für die unter­nehme­ri­schen Ent­schei­dun­gen haben. Ein anderes Bei­spiel ist die Er­for­schung von Unter­nehmens­netz­werken, die unmit­tel­bar Metho­den der Sozio­logie ver­wen­det und auch die Bezieh­ungs­kompe­tenz der handeln­den Akteure thematisiert.

Lehr- und lernbar ist das Thema Bezieh­ungs­kompe­tenz allemal. Es handelt sich um erlern­bare Fähig­kei­ten, nicht um an­gebo­rene Eigen­schaf­ten. Die wich­tigs­ten Kom­ponen­ten der Be­zie­hungs­kompe­tenz kön­nen ver­mit­telt und trai­niert werden. Denken Sie nur an Kom­muni­kations­fähig­keiten. Aber auch Prin­zi­pien wie Empa­thie und Rezi­prozi­tät lassen sich lehren und lernen. Natürlich gibt es Menschen, denen der gute Um­gang mit ande­ren Men­schen leicht­fällt, die also ohne wei­tere Aus­bil­dung über ein hohes Maß an Bezieh­ungs­kompe­tenz verfügen. Und es gibt Men­schen, die sich um Um­gang mit ande­ren Men­schen eher schwer­tun und lieber allein sind. Aber das Grund­gerüst der Fähig­kei­ten, die Be­zie­hungs­kompe­tenz aus­ma­chen, ist zwei­fel­los lehr- und lernbar.

Moderne Studien­ange­bote gel­ten häu­fig als seg­men­tiert, spe­ziali­siert und verschult. Dagegen arbei­ten Sie im Rah­men die­ser Publi­katio­nen mit um­fas­sen­den Themen­stel­lun­gen und bewusst inter­dis­zipli­närem Ansatz – warum eigentlich?

Aus meiner Sicht brauchen wir viel mehr inter­diszi­pli­näre Forschung. Das Silo­denken in tradi­tio­nellen Dis­zipli­nen ist über­holt. Jedes Fach hat Nach­bar­diszi­pli­nen, ohne deren Ein­bin­dung ein echter Er­kennt­nis­fort­schritt auf Dauer nicht mög­lich ist. Wir sehen das in Fel­dern wie Behavioral Economics, einer Ver­bin­dung von Psycho­logie und Öko­no­mie, Behavioral Law, wo psycho­logi­sche Er­kennt­nisse Eingang in die Rechts­wissen­schaf­ten gefun­den haben, oder im Be­reich des Nach­hal­tig­keits­manage­ment, das tech­nische, poli­tik­wissen­schaft­liche und öko­nomi­sche For­schungs­an­sätze zu­sammen­bringt. In anderen Berei­chen fängt die inter­diszi­pli­näre For­schung gerade erst an. Zukunftsthemen wie Fintech und Legaltech erfor­dern eine Inte­gra­tion von IT-Forschung in die tra­ditio­nellen be­triebs­wirt­schaft­lichen und rechts­wissen­schaft­lichen Fakultäten.

Ebenso brauchen wir aus meiner Sicht inter­dis­zipli­näre Stu­dien­gänge, von denen wir schon jetzt einige sehr inte­ressan­ter haben. Denken Sie nur an Fächer wie Wirt­schafts­inge­nieur­wesen, Ökotro­pholo­gie oder Stadt­ent­wick­lung. Die kombinieren alle zwei oder meh­rere Fach­dis­zipli­nen. Die Interdisziplinarität er­scheint mir jedoch aus­bau­fähig. Zudem erscheint es mir wün­schens­wert, inner­halb ein­zel­nen Fach­studien­gänge immer auch Social Skills zu ver­mit­teln, um besser auf das Berufs­leben vor­zube­reiten. Dazu gehört neben Themen wie Ver­hand­lungs­kompe­tenz oder Prä­sen­tations­tech­niken eben auch die Be­zieh­ungs­kompe­tenz. Ich bin jeden­falls fest davon über­zeugt, dass beruf­liche Karrie­ren nicht nur von Fach­kompe­ten­zen abhän­gen, sondern sehr stark auch von sozia­len Kom­peten­zen. Ab einer gewis­sen Füh­rungs­ebene sind es dann nur noch Bezieh­ungs­kompe­tenzen, über das beruf­liche Fort­kommen entscheiden.

Bei mir selbst ist das Inte­resse an inter­diszi­plinä­ren Themen­stel­lun­gen aus der Er­kennt­nis heraus ent­stan­den, dass die klas­sische BWL wich­tige Aspek­te der Ent­schei­dungs­fin­dung von Indi­vi­duen und Or­gani­satio­nen nicht rich­tig ab­deckt. Neuere Erkenntnisse und rea­litäts­nähere Modelle kamen häu­fig aus ande­ren Fächern, ins­beson­dere der Psycho­logie und der Sozio­logie. Als dann im Jahr 2002 mit Daniel Kahneman ein Psycho­loge den Nobel­preis für Wirt­schafts­wis­sen­schaften bekam, wurde mir end­gül­tig klar, dass inter­diszi­pli­näre An­sätze einen grö­ßeren Er­klä­rungs­bei­trag lie­fern als die rein fach­be­reichs­spezi­fische Forschung.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

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