Die digitale Transformation in Unternehmen besteht nicht nur aus technologischer Innovation. Erst durch den kompetenten Umgang der Menschen mit den Potenzialen digitaler Technologien kann der Veränderungsprozess aktiv und ökonomisch werthaltig gestaltet werden. Erfolgreiche Digitalisierung setzt dabei nicht nur technologisches Können voraus. Denn die digitale Transformation verändert vor allem auch den sozialen Raum von Unternehmen. Die Entwicklung digitaler Kompetenz im Beruf muss daher die gesamte Person in den Blick nehmen und ihr Denken, ihre Kommunikationsfähigkeit, ihr Handeln und ihren Umgang mit Emotionen gleichermaßen beinhalten.
Ausgehend von diesem Verständnis digitaler Kompetenz stellen die Autoren ein mehrdimensionales Kompetenzmodell vor und skizzieren wichtige Schritte zur Ausbildung digitaler Kompetenz für Führungskräfte in Unternehmen und anderen Organisationen. Dabei betrachten sie die zentralen Entwicklungsfelder jedes Unternehmens, auf denen sich die Zusammenarbeit von Menschen durch die Digitalisierung verändert: Kommunikation, Mobiles Arbeiten, Führung, Lernen und Mitarbeitergewinnung. Das Ziel dieser ganzheitlich gedachten Kompetenzentfaltung im Beruf ist die eigenverantwortliche und reflektierte Gestaltung der eigenen Arbeit im Sinne digitaler Souveränität und digitaler Fairness.
Wir nehmen das Erscheinen des Bandes „Digitale Kompetenz im Beruf“ zum Anlass für ein kleines Gespräch mit den Tübinger Autoren Dr. Sebastian König, Dr. Simon Drescher und Prof. Dr. Ulrich Helmel zur aktuellen Frage des Wandels der Arbeitswelt und der ökonomischen Implikationen:
König/Drescher/Hemel
Digitale Kompetenz im Beruf
2022. 192 Seiten. Kartoniert. € 35,–
ISBN 978-3-17-041122-7
Man hat im Moment den Eindruck, dass digitales und mobiles bzw. hybrides Arbeiten zur neuen Normalität wird. War die
König: Das ist eine spannende Frage. Die Voraussetzungen für mobiles und hybrides Arbeiten waren durch die technologischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte schon gegeben. Allerdings haben viele Unternehmen nicht daran geglaubt, dass effektive Zusammenarbeit auch digital möglich ist. In der Covid19-Pandemie wurde die Arbeit im Homeoffice dann notwendig für das ökonomische Überleben vieler Unternehmen und Organisationen. Die Anforderungen dieser Krisensituation haben den Bereich des kulturell Möglichen radikal verschoben: Formen der digitalen Zusammenarbeit, die insbesondere in mittelständischen Betrieben kaum denkbar waren, wurden innerhalb kürzester Zeit zur Realität des Arbeitsalltags.
Drescher: Allerdings sind Krisen und ihre Anforderungen immer nur vorübergehend. Momentan befinden wir uns im Übergang in eine postpandemische Phase, in der sich eine neue Normalität der Arbeitswelt definiert. Diese neue Normalität bedeutet einen Rückgang des Extremen. Viele Menschen sind froh darüber, wieder zu ihren Kolleg:innen und in ihre Büros zurückkehren zu können. Die Ausschließlichkeit des mobilen Arbeitens, die wir in der
Hemel: Beachtlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass trotz der Entwicklung des Mobile Working die Geschwindigkeit der Veränderung durch die Digitalisierung von vielen Unternehmen weiterhin unterschätzt wird, gerade im Bereich KI. Vernachlässigt werden außerdem Fragen der Cybersicherheit und Fragen der digitalen Sinngebung und Selbststeuerung. Denn zum Umgang mit der digitalen Welt gehört nicht nur Technik, sondern auch die Fähigkeit, klug auszuwählen, was jemand digital wirklich erreichen will.
Mobiles Arbeiten verlangt Verantwortungsbewusstsein auf beiden Seiten, also bei Belegschaft und Führungskräften – wie soll man es vor diesem Hintergrund in der digitalen Arbeitswelt mit der Kontrolle halten?
Drescher: In unserem Buch gehen wir unter anderem auf Forschungsergebnisse zum Thema Kontrolle durch digitale Medien ein. Da zeigt sich, dass die gleichen technischen Lösungen, die von Mitarbeitenden positiv bewertet werden, weil sie Menschen in virtuellen Teams besser miteinander verbinden, auch als Kontrollinstrumente eingesetzt werden können und dann auf Ablehnung stoßen.
Hemel: Kulturell betrachtet sind Vertrauen und Kontrolle zwei Seiten einer Medaille und müssen klug abgewogen werden. Die Einzelheiten hängen in einer stark ausdifferenzierten Arbeitswelt stark vom einzelnen Betrieb, von der einzelnen Person und vom betrieblichen Rahmen ab. Entscheidend dabei ist das Übermaßverbot: Weder geht es an, kleinräumig Bildschirmeingaben per Tastaturbewegung zu kontrollieren noch gibt es Vertrauensschutz für den Missbrauch von Arbeitszeit zu privaten Zwecken. Hier ist aber noch ein weiteres Feld für tarifliche Vereinbarungen und betriebliche Regelungen. Der Königsweg dafür ist der Dialog, denn im gemeinsamen Gespräch lassen sich viele praktische Fragen einfach am besten klären.
König: Dialog ist hier ein wichtiges Stichwort. Neue Arbeitsformen erfordern immer auch kulturelle Veränderungen und eine neue Haltung. Die entsteht im gemeinsamen Dialog. Das ist bei der digitalen Zusammenarbeit nicht anders. Die Arbeit in virtuellen Teams ist dann sinnvoll und effektiv, wenn eine Kultur des Vertrauens und der Eigenverantwortlichkeit herrscht, in der Teammitglieder eine hohe Motivation besitzen, Aufgaben eigenständig übernehmen und Entscheidungen selbstständig treffen. In virtuellen Teams ist Mikromanagement und Kontrolle im Detail nicht ökonomisch und häufig auch schlicht nicht möglich. Das Ziel von Führungskräften muss es daher sein, Zielvereinbarungen klar zu definieren und Teammitglieder bei Ihren Aufgaben und Ihrer individuellen Weiterentwicklung zu unterstützen. Strategische Überlegungen der Teamzusammensetzung und des Empowerments lösen beim mobilen Arbeiten also die Frage nach der Kontrolle ab.
Am festen Arbeitsplatz war zumindest die enge Führung von Low Performern im Team einfacher möglich – wie soll die digitale Führungskraft hier agieren und sanktionieren?
König: Wir würden gar nicht von Sanktionierung sprechen, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist. Wenn jemand keine guten Leistungen erbringt, stellt sich zunächst die Frage: Passen zugewiesene Aufgaben und die geforderte Arbeitsweise zur Persönlichkeitsstruktur und zum Kompetenzprofil der jeweiligen Person? Aus diesem Grund betrachten wir auch die psychologische Seite digitaler Kompetenzentwicklung.
Drescher: Geht es um eine nachhaltige digitale Kompetenzentwicklung sollte der Fokus von Führungsarbeit auch in kritischen Fällen auf der konstruktiven Unterstützung von Mitarbeiter:innen liegen. Das kann beim mobilen Arbeiten sehr unterschiedlich sein. Bewährt haben sich die Erhöhung der Frequenz von Feedbackgesprächen, aber auch Formen des Buddy-Systems. Kämpft ein:e Mitarbeiter:in mit einer Herausforderung, ist es beim mobilen Arbeiten besonders sinnvoll, ein Zweierteam zur Bewältigung oder zur Reflexion von Aufgaben zu bilden. Coaching, Delegation und Empowerment auf Peer
Hemel: Vielmehr sind digitale Zusammenarbeit und Leistungskontrolle auch gar kein Widerspruch. In vielen Berufen wird die digitale Leistungskontrolle sogar einfacher als bisher. Dazu kommt der fließende Übergang von festen Arbeitsverhältnissen zu freiberuflich tätigen digitalen Freiberuflern. Hier müssen wir insbesondere die gesellschaftliche Aufgabe der sozialen Absicherung für Krankheit und Alter neu denken. Führungskräfte im digitalen Raum tun daher gut daran, eine eigene, auf digitale Verhältnisse angepasste Personalstrategie zu entwerfen.
Auf welchem Wege kann die von Ihnen beschriebene digitale Kompetenz erworben werden bzw. vermittelt werden?
König: Diese Frage haben wir uns auch gestellt und dem digitalen Lernen ein ganzes Kapitel gewidmet. Die Entwicklung digitaler Kompetenz im Sinne der Ausbildung einer digitalen Identität ist ein komplexer Prozess, der nicht mit einer didaktischen Einzelmaßnahme abgeschlossen werden kann. Vielmehr sind verschiedene Formen des Lernens notwendig, um unterschiedliche digitale Kompetenzen auszubilden oder zu vermitteln. Geht es zum Beispiel um den Erwerb von technischem Wissen, reichen meist Fachartikel, Expertenvideos oder Podcasts aus, um das bisherige Kompetenzlevel zu steigern. Für die Aneignung von neuen Handlungsweisen, etwa im Bereich Kommunikation oder Leadership sind allerdings nach wie vor Workshops, Trainings und
Hemel: Wenn wir von digitaler Kompetenz sprechen, sollten wir begrifflich dabei Folgendes beachten: Digitale Kompetenz im Singular ist die Fähigkeit einer Person, selbstbestimmt und zielorientiert im digitalen Raum zu handeln. Digitale Kompetenzen im Plural beziehen sich auf Facetten des digitalen Wirkens einer Person, so etwa im kommunikativen Raum, im Raum der digitalen Emotionalität oder im Raum digitaler Kenntnisse und Fertigkeiten im fachlichen Sinn. Aus dieser Unterscheidung folgt, dass „digitale Kompetenz“ im Singular ein klassisches Kerngebiet der Persönlichkeitsentwicklung ist, während „digitale Kompetenzen“ im Plural durch professionelle Trainingsmaßnahmen adressiert werden können.
Drescher: Solche Trainingsmaßnahmen müssen in Unternehmen in jedem Fall betreut und aufeinander abgestimmt werden, damit eine in sich stimmige Lernkultur entstehen kann. Für die angesprochene Persönlichkeitsentwicklung schlagen wir vor, sich einen persönlichen Entwicklungsplan für die Aneignung oder den Ausbau digitaler Kompetenz zu machen. Darauf gehen wir im dritten Teil unseres Buches ein und skizzieren die Schritte, die zur Erstellung dieses Entwicklungsplans führen.
Zum Abschluss noch ein Blick in die Zukunft: Wird die Arbeit der Führungskräfte in der neuen digitalen Arbeitswelt einfacher oder komplexer?
Drescher: Komplexität ist ein passender Begriff, um die Entwicklung der Arbeitswelt im digitalen Raum zu beschreiben. Komplex bedeutet nicht, dass alles schwieriger wird, sondern vor allem, dass Führungskräfte vernetzter denken müssen. Silos und Standardprozesse machen Unternehmen oft starr und unflexibel. Die digitale Arbeitswelt ist aber zugleich Folge und Treiber schneller Veränderungen am Markt. Unternehmen müssen wendiger werden und das betrifft natürlich vor allem die Entscheidungen ihrer Mitarbeitenden. Deshalb sagen wir auch, dass digitale Kompetenz nicht nur in Wissen besteht, sondern auch in der Fähigkeit, neu auftretende Herausforderungen selbstständig zu lösen.
König: Die Arbeit für Führungskräfte wird auch in dem Sinn komplexer werden, als die Heterogenität von Teams zunehmen wird. Viele Teams werden digital oder hybrid, aber auch international aufgestellt sein. Es gilt dann für Führungskräfte noch stärker als bisher, die Individualität der Teammitglieder zu verstehen und gleichzeitig eine gemeinsame Teamidentität aufzubauen. Ferner wird der Fokus dann noch vielmehr auf dem Aufbau von effektiven Arbeitsprozessen, der Koordination des Teams und der Gestaltung von passender Kommunikation liegen. Führungskräfte müssen dabei lernen, fachliche Expertise an das Team abzugeben. Ihre zentrale Aufgabe ist die Reduktion von Komplexität in Zeiten zunehmender Komplexität, sodass die Experten im Team ihre Arbeit machen können.
Hemel: Das sehe ich genauso. Grundsätzlich wird die Arbeit komplexer, weil ja stets zwei Welten parallel zu beachten sind: Die explizit digitale und die explizit analoge Welt. Tatsächlich ist es aber so, dass wir beruflich und privat immer stärker in die Richtung einer „hybriden Alltagsgestaltung und Berufsorientierung“ unterwegs sind. Anders gesagt: Die Mischung aus digitalem und analogem Handeln geht uns in Fleisch und Blut über und wird zur neuen Normalität. Auf diese aber müssen wir uns erst vorbereiten! Und genau darum geht es im Buch „Digitale Kompetenz im Beruf“!
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
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