Anlässlich des Erscheinens des Bandes Das Konstanzer Konzil führten wir mit dem Autor Dr. Ansgar Frenken das folgende schriftliche Interview.
Das Konstanzer Konzil dauerte vier Jahre, welche Entscheidungen – außer der uns heute noch geläufigen Verbrennung des Ketzers Jan Hus – hat das Konzil getroffen?
Vor allem stellte das Konstanzer Konzil nach einer fast vier Jahrzehnte dauernden Spaltung die Einheit der westlichen Kirche wieder her. Drei Päpste wurden zum Rücktritt veranlasst bzw. abgesetzt und mit Martin V. wurde 1417 ein neuer Papst gewählt, der nahezu in der gesamten westlichen Kirche Anerkennung fand. Zweifellos war diese Überwindung des Großen abendländischen Schismas ein enormer Erfolg, der dem Konstanzer Konzil einen bleibenden Platz in Geschichte und Erinnerung einräumte. In Sachen Reform gab es zwar eine Reihe von Beschlüssen; die von vielen geforderte umfassende Reform kam allerdings nicht zustande – zu gegensätzlich waren die unterschiedlichen Interessen. Auch wurde nicht geklärt, was diese umfassende Reform eigentlich bedeutete. Schließlich einigte man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, die Kürzung der Einnahmen von Papst und Kurie.
In Konstanz ging es schließlich auch um eine Neubestimmung des Machtverhältnisses zwischen Papst und Konzil. Steht das Konzil über dem Papst? Die hier losgetretene Diskussion führte bald nach Konzilsende in eine Konfrontation, die auf dem Basler Konzil ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte und bis heute in der Kirche diskutiert wird.
Der Prozess mit der abschließenden Verurteilung und Verbrennung von Jan Hus war dagegen eine Nebensache, deren Folgen – die revolutionären Unruhen in Böhmen mitsamt den nachfolgenden Hussitenkriegen – die Konzilsväter noch gar nicht abschätzen konnten. Der Hus-Prozess war auch nicht der einzige, der in Glaubensangelegenheiten geführt wurde. Beispielsweise setzte sich das Konzil mit der Frage auseinander, ob es erlaubt sei, einen Tyrannen zu töten.
Ist es sinnvoll, besonders an dieses Konzil zu erinnern, oder reiht es sich in die Reihe der übrigen Konzile ein, ohne hervorzuragen?
Die Erinnerungskultur geht mitunter eigenartige Wege. Nicht immer ist nachvollziehbar, warum ein geschichtliches Ereignis in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, ein anderes aber nicht. Das Konstanzer Konzil war indes immer schon ein Ereignis, das auf besonderes Interesse. Die Ausstellungen, Tagungen und Events rund um das aktuelle Jubiläumsjahr bestätigen einmal mehr den nahezu singulären Platz, den das Constantiense in der Reihe der Konzilien des Spätmittelalters, jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung, einnimmt.
Konstanz steht indes in einer ganzen Reihe von allgemeinen Kirchenversammlungen, beginnend mit Pisa (1409), bald gefolgt von Pavia-Siena (1423/24), Basel (1431-49) und Ferrara-Florenz (1437-1448), die sich alle mehr oder weniger dem Ziel verschrieben hatten, die damaligen Missstände zu beseitigen. Es ist daher kein Zufall, dass diese Konzilien die Reform der Kirche auf ihr Panier geschrieben haben. Trotz einer Reihe von Reformschritten gelang es allerdings nicht, den im Schisma stark in Mitleidenschaft gezogenen Alleinvertretungsanspruch der Kirche auf Dauer wiederherzustellen. Insofern lässt sich Hus auch als Vorläufer Luthers interpretieren.
Das Konstanzer Konzil war nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches und gesellschaftliches Ereignis. Wie veränderte das Konzil das Alltagsleben in Konstanz, über die Stadt hinaus vielleicht sogar in Deutschland?
Die neuere Konzilsforschung spricht heute von einer vormodernen Großversammlung. Das Konzil war deutlich mehr als nur eine kirchliche Veranstaltung. Es wurde Politik gemacht, es kam zu einem kulturellen Austausch zwischen den aus allen Richtungen der damaligen Welt Angereisten und natürlich hat ein solches Event auch Rückwirkungen auf die Stadt, die das Konzil beherbergt, und deren Bewohner. Konstanz befand sich für einige Jahre im Ausnahmezustand.
Dass das Konzil den Alltag der Stadt deutlich prägte, ist nicht zu übersehen. Der bekannte städtische Chronist Ulrich Richental beschrieb das Leben in Konstanz, die zahlreichen Prozessionen, die vielen Veranstaltungen, die in diesen Jahren stattfanden, z.B. die Turniere. Es gab auch für den Normalbürger, der von den Verhandlungen des Konzils eher weniger mitbekam und sich dafür auch nicht sonderlich interessierte, einiges zu sehen. An der Enge in der Stadt, den steigenden Preisen, aber auch an dem fremdartigen Angebot auf den Märkten und dem Sprachgewirr in den Gassen konnte er das Besondere dieser Konzilsjahre wahrnehmen. Wirtschaftlich erlebte die Stadt einen Boom. Umso heftiger war der Schock, als nach der Abreise der Gäste sich in der Stadt wieder der Alltag einstellte. So mancher hätte gerne eine Neuauflage des Konzils in Konstanz gesehen.
Die Auswirkungen auf das Reich – Deutschland gab es damals ja noch nicht und ein Bewusstsein deutscher Nationalität begann sich gerade erst zu entwickeln – hielten sich in engen Grenzen. Vielleicht war man in Konstanz zum ersten Mal mit Renaissance und Humanismus in Berührung gekommen. Viel wichtiger für den Kulturtransfer aus Süd- und Westeuropa ins Reich war aber das anderthalb Jahrzehnte später in Basel tagende Konzil.
Wie war die Wahrnehmung von Hus‘ Verurteilung – haben die Zeitgenossen diese überhaupt registriert oder war es nur eine Entscheidung unter vielen, um die Einheit der Kirche wiederherzustellen?
Der Prozess, der gegen den Prager Magister geführt wurde und schließlich zu dessen Ende führte, war die Fortsetzung eines Inquisitionsverfahrens, welches bereits seit 1410 an der Kurie lief. Hus hatte diesen Umstand zweifellos unterschätzt und war mit falschen Vorstellungen nach Konstanz gereist. Auch das ihm vom römischen König Sigmund gewährte Geleit konnte ihn vor dem Prozess nicht retten. Als hartnäckiger Ketzer wurde er zum Tod verurteilt, weil er seinen Freunden und Anhängern in der tschechischen Reformbewegung nicht in den Rücken fallen wollte. Die Angebote maßgeblicher Konzilsväter, seine Auffassungen zu widerrufen, musste er daher ablehnen – auch eine persönliche Tragik.
Im Rahmen der konziliaren Unionsbemühungen hat der Fall Hus keine besondere Rolle gespielt. Es war eine Glaubensangelegenheit. Allerdings wollten die Konzilsväter zeigen, dass sie ihren Glauben gegen alle Angriffe – auch von innen – verteidigten. Ein Zusammenhang zwischen diesem Demonstrationsakt ihrer Rechtgläubigkeit und den Anstrengungen, die Union durch pragmatische Verfahrensweisen wieder-herzustellen – auch durch eine Überordnung des Konzils über die nicht unumstrittenen Päpste – ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.
Was bleibt vom Konstanzer Konzil? Sagt es uns heute noch etwas und warum ist die Erinnerung an diese vier Jahre wichtig?
Von den vielen Publikationen zum Thema einmal abgesehen, von denen manche das Jubiläum wohl kaum überdauern werden, hat es bereits einige Anstöße für eine weitere Erforschung des Konzils gegeben. Perspektivenwechsel und neue Forschungsfragen lassen trotz einer mehr als hundertjährigen Erforschungsgeschichte durchaus noch Neues an Erkenntnissen erwarten. Was letztlich aber bleiben wird, ist schwer vorauszusagen.
Die Stadt Konstanz hat die Feierlichkeiten zur 600. Wiederkehr des Ereignisses auf fünf lange Jahre ausgedehnt, mit wechselndem Themenschwerpunkt für jedes Jahr. Das Generalmotto lautet „Europa zu Gast”, ein Anknüpfen an die Tagesaktualität liegt geradezu auf der Hand. In diesem Sinne wurde auch der „Konstanzer Konzilspreis. Preis für europäische Begegnungen” ausgelobt. Viele Menschen wurden bereits an den Bodensee gelockt; das ‚Konstanzer Konzil‘ damit auch in ihren Köpfen verankert. Ob dies von nachhaltiger Wirkung ist, bleibt abzuwarten. Popularisierung und Aktualisierung sind zweifellos für das Erinnern an das Konzil wichtig. Andererseits darf dies aber nicht über die Andersartigkeit und Fremdheit dieser Epoche hinwegtäuschen, für die das Mittelalter neben aller Modernität und Aktualität auch steht.
Wir danken Ihnen für Ihre Mühe und Ihre Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.