Der selbsternannte Friedensstaat DDR als Waffenschieber
Die Bilder gingen 1989 um die Welt: In Kavelstorf bei Rostock hatten Bürger kurz nach dem Mauerfall ein geheimes Waffenlager des DDR-Außenhandelsbetriebs IMES entdeckt. Der selbsternannte Friedensstaat war als Waffenschieber entlarvt: Alexander Schalck-Golodkowski, Leiter des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Außenhandelsministerium, wurde aus dem Zentralkomitee der SED ausgeschlossen und floh in den Westen. Die Empörung war groß, doch bis heute ist weitgehend unbekannt, dass die IMES nur eine kleine Rolle beim internationalen Waffenhandel der DDR spielte.
In weit größerem Umfang und schon deutlich länger als die IMES hatte ein anderer Außenhandelsbetrieb für die DDR Geschäfte mit Rüstungsgütern abgewickelt: der Ingenieur-Technische Außenhandel, kurz ITA. Über ihn ist bis heute nur wenig bekannt. Wolfgang Klietz legt nun die erste umfassende Untersuchung dieser Organisation und des Waffenhandels der DDR vor. Lesen Sie erste Eindrücke in unserem Interview mit dem Autor.
Herr Klietz, der selbsterklärte Friedensstaat DDR handelte mit Waffen: Wie kam es dazu? Was sollt der ITA für die DDR leisten?
Der Außenhandelsbetrieb hatte mehrere Aufgaben. Dazu zählten die regulären Im- und Exporte von militärischer Ausrüstung im Warschauer Pakt und die Versorgung von Nationaler Volksarmee, Volkspolizei und Stasi mit Waffen. Kaum bekannt ist dagegen, dass die DDR den ITA einsetzte, um sogenannte Befreiungsbewegungen in Entwicklungsländern mit Rüstungsgütern zu beliefern. Ab Beginn der 80er-Jahre ging es dann vorrangig darum, Devisen für die klammen Staatskassen zu erwirtschaften.

Undatiertes Foto der Personenschutzabteilung der Stasi (BArch, MfS, HA PS, Fo 44).
Warum war die Arbeit des ITA so brisant?
Der Außenhandelsbetrieb arbeitete hochkonspirativ. Mit der Propaganda vom Friedensstaat und Moral hatten die Im- und Exporte wenig zu tun. So belieferte die DDR im ersten Golfkrieg die Kriegsgegner Iran und Irak parallel mit Waffen. Zu den Empfängern gehörten außerdem Terroristen, zum Beispiel bei der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, und weltweit Regierungen, die sich um Menschenrechte wenig scherten. Letztlich trugen Waffen aus der DDR dazu, die Menschen in diesen Ländern zu unterdrücken.

(ITA-Katalog; Interessengemeinschaft Zeitgeschichte Deutschland, IGZD).
Wie hat man sich den ITA als Organisation vorzustellen? Wer trug die Verantwortung?
Der ITA wurde von NVA-Offizieren geführt, war aber beim Ministerium für Außenhandel angesiedelt. Die Vorgängerorganisationen bestanden bereits seit den 50er-Jahren. Im Laufe der DDR-Geschichte wuchs die Organisation kontinuierlich und hatte Kontakte in die ganze Welt. Das komplette Unternehmen war von der Staatssicherheit durchsetzt.
Was ist nach der Wende aus dem ITA geworden?
Der Betrieb verschwand unter dem Radar. Die Öffentlichkeit nahm von der Abwicklung nach der Friedlichen Revolution kaum Notiz. Eine historische Aufarbeitung oder gar eine öffentliche Debatte fand nicht statt, obwohl der ITA eine immens wichtige Rolle in der SED-Diktatur gespielt hat.
„Waffenhändler in Uniform“ ist das erste umfassende Buch zu diesem Thema – warum ist dieses Kapitel der DDR-Geschichte bis heute weitgehend unbeleuchtet?
Tatsächlich waren die Recherchen kompliziert, aufwendig und haben in meinem Fall 14 Jahre gedauert. Das hatte mehrere Gründe: Zu Beginn der Forschungen war die Quellenlage desolat, weil die meisten Akten bei der Nachfolgeorganisation der Treuhand unter Verschluss lagen. Hinzu kam, dass kaum Literatur vorlag und Zeitzeugen schwiegen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
In den zahlreichen Akten, die Sie für das Buch gewälzt haben, sind Sie auch auf die ein oder andere eher kuriose Anekdote zu den Aktivitäten des ITA gestoßen. Hat Sie eine besonders amüsiert?
Amüsiert hat mich so manche Panne in dem militärisch straff organisierten Apparat, so zum Beispiel eine Lieferung von Waffen per Eisenbahnwaggon, die jedoch nicht in Frankfurt/Oder, sondern beim Klassenfeind in Frankfurt/Main ankam. Überraschende Neuigkeiten kamen hinzu. Dazu zählen zum Beispiel, dass die DDR über den ITA auch frisch geprägte Münzen und Banknoten nach Afrika und Asien lieferte. Der ITA übernahm den Transport komplett neuer Währungen und kassierte dafür kräftig – ein weiteres Thema, das in der DDR-Forschung bislang nicht auftaucht.

(Foto: Frank Behling).
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Wolfgang Klietz führte Dr. Julius Alves aus dem Lektorat Geschichte/Politik/Gesellschaft.
Wolfgang Klietz
Waffenhändler in Uniform
Geheime Im- und Exporte der DDR
2024. 395 Seiten mit 19 Abb. und 10 Tab. Kart.
€ 33,–
ISBN 978-3-17-043460-8