Anlässlich des Erscheinens des Bandes Deutsche Außenpolitik von Professor Dr. Wolfram Hilz führten wir mit dem Autor das folgende schriftliche Interview:
Ist die Außenpolitik die Königin der Politikfelder oder hat in einer globalisierten postfaktischen Welt die Bedeutung von Diplomaten und Außenpolitikern abgenommen?
Außenpolitik ist schon deswegen von zentraler Bedeutung für jeden Staat, da ihre erfolgreiche Gestaltung entscheidend für die Sicherheit des eigenen Landes und der Bevölkerung ist. Gerade in einer unübersichtlicher gewordenen Welt, in der immer mehr, scheinbar unkalkulierbare Gefahren auftauchen, vermitteln klare außenpolitische Positionen eines Landes Orientierung – nach innen und außen.
Die Deutsche Außenpolitik steht gegenwärtig vor gewaltigen Herausforderungen, ein Populist im Weißen Haus mit unklarer Agenda, ein Autokrat vor den Toren Europas und Russlands Weltmachtansprüche. Ist eine solche Fülle von Problemen schon einmal dagewesen und wie könnte die Politik vor dem Hintergrund der Geschichte agieren?
Die Ballung an wegbrechenden, bisher verlässlichen Partnern in der Welt ist eine ungewohnte Herausforderung gerade für die deutsche Außenpolitik. Seit Ende des Ost-West-Konflikts profierten die Deutschen vom weltweit fast uneingeschränkten Streben aller relevanten Mächte nach Frieden, Demokratie und Wohlstand – dem Kernanliegen aller (west-)deutschen Regierungen seit 1949. Das eigentliche Problem ist die erneute Umstellung der Außenpolitik auf Situationen, in denen nicht mehr alle großen Nachbarn – v. a. im Osten und im Süden – die gleichen Ziele verfolgen wie die Deutschen. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten waren die außenpolitischen Herausforderungen aber schon deswegen ungleich größer, da sie durch die direkte militärische Bedrohung existenziell waren. Heute kann es der deutschen Außenpolitik helfen, die damaligen, oftmals pragmatischen Kooperationsstrategien wieder zu beleben und Meinungsverschiedenheiten, z. B. mit Russland, zu akzeptieren.
Die Kernelemente der Deutschen Außenpolitik scheinen in den letzten 70 Jahren Multilateralismus, Berechenbarkeit und wirtschafliches statt sicherheitspolitisches Engagement gewesen zu sein, welche Vorteile haben sich aus dieser Agenda ergeben, die unabhängig von Parteipolitik verfolgt wurde?
Der unbeirrbare Multilateralismus, also der Ausschluss nationaler außenpolitischer Alleingänge in allen relevanten Fällen, ist zweifellos Teil der „außenpolitischen DNA“ Deutschlands. Während es bis 1990 wegen der deutschen Teilung gar keine andere Möglichkeit gab, erleichtert dieser selbstverordnete Zwang, immer mit Partnern zusammen internationale Probleme lösen zu wollen, die Außnpolitik enorm. Deutschland ist gerade in der unübersichtlich gewordenen Welt des 21. Jahrhunderts einer der wenigen verlässlichen, weil kalkulierbaren Partner in Europa und in internationalen Organisationen geblieben. Dass nationale militärische Alleingänge Deutschlands nach sieben Jahrzehnten fester multilateraler Selbsteinbindung undenkbar sind, ist ein seltener Stabilitätsanker, zum Wohl aller Europäer und Deutschlands selbst. Auch wenn sicherheitspolitisches Engagement Deutschlands nach dem Geschmack vieler Bündnispartner oft zu zögerlich erfolgt, würde ein zu forsches militärisches Auftreten Deutschlands in der Welt eher alte Ängste vor deutschem Nationalismus und Militarismus fördern – das kann auch niemand wollen.
Das Buch ist nach den Kanzlerschaften gegliedert, welchen Zeitraum halten Sie für die Geschichte und das Selbstverständnis Deutschlands als den wichtigsten; und welche Person mögen sie am meisten?
Wegen der weiterhin prägenden Wirkung der Westbindung, des erfolgreichen Aufbaus enger Beziehungen zu den Schlüsselmächten Frankreich in Europa und den USA im Westen, ist die Ära Adenauer für mich ohne Frage die wichtigste Phase der deutschen Außenpolitik. Die gesamte Außenpolitik Deutschlands, mit der europäischen Integration und der westlich geprägten internationalen Ordnung als Stabilitätsrahmen, ruht auf diesen zentralen Pfeilern. Ohne diese erfolgreiche außenpolitische Verankerung der Bundesrepublik im Westen, in einem anfangs noch feindlichen Umfeld der 1950er Jahre, wäre die gesamte politische und wirtschaftliche Entwicklung, die vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen eine unglaubliche Erfolgsgeschichte ist, nicht möglich gewesen. Ohne die feste Westbindung wäre weder die optimale Ergänzung durch die Ostpolitik Willy Brandts noch die Wiedervereinigung 1990 denkbar gewesen.
Dass es die Chance zur Wiedervereinigung 1990 gab und diese genutzt wurde, lag nicht zuletzt an Helmut Kohls Politik. Er ist für mich ein wunderbares Beispiel dafür, dass sich emotionaler und gut kalkulierter Einsatz für Europa für alle Europäer auszahlen kann. Das hat er zusammen mit Hans-Dietrich Genscher schon in den 1980ern bewiesen und bis zum Ende seiner Kanzlerschaft mit dem Einsatz für eine stabile Gemeinschaftswährung durchgehalten.
Was hat Sie beim Schreiben des Buches besonders überrascht?
Es ist durchaus überraschend, dass alle deutschen Bundeskanzler zu ihrer Zeit eine außenpolitische Linie entwickelt haben, die im Nachhinein wenig Raum für Kritik zulässt. Alle länger amtierenden Bundeskanzler/innen und Außenminister, haben sich mit ihrer klugen und der jeweiligen Weltlage angemessenen Außenpolitik enormen Respekt auf allen Seiten erworben. Das ist auch im internationalen Vergleich ziemlich einmalig.
Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und Zeit.
Das Interview führte Dr. Daniel Kuhn.