Spätestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Beziehungen zwischen Schweden und dem Südwesten ein fester Bestandteil des europäischen Netzes internationaler Kooperationen. Das Herrscherhaus Vasa betrieb eine aktive Konfessions-, Außen- und Dynastiepolitik: Es sah in den protestantischen Fürsten des Heiligen Römischen Reiches „natürliche“ Verbündete, um die Herrschaft im eigenen Land zu konsolidieren und nach außen hin zu legitimieren. So spielten auch für den Kriegseintritt Schwedens 1630 die Tatsachen eine zentrale Rolle, dass die konfessionelle Frage im Reich erneut an Brisanz gewann und dass das Wohl der deutschen Verwandtschaft auf dem Spiel stand.
Gewinnen Sie erste Eindrücke der Geschichte der Schweden in Süddeutschland in diesem Interview.
Volker Rödel/Ralph Tuchtenhagen (Hrsg.) Die Schweden im deutschen Südwesten
Vorgeschichte – Dreißigjähriger Krieg – Erinnerung
Was gab den Anstoß, ein Buch über Schweden und den deutschen Südwesten während des Dreißigjährigen Krieges zu publizieren?
Prof. Dr. Volker Rödel: Äußerer Anlass für die 2018 in Heidelberg veranstaltete Tagung, deren Ergebnisse der Band präsentiert, war der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 400 Jahre zuvor. Es galt dabei bewusst zu machen, dass schon seit der Mitte des 16. Jahrhunderts – ausgehend von Sebastian Münsters „Kosmographie“ – im südwestdeutschen Raum kulturelle und vor allem auch dynastische Beziehungen der Häuser Pfalz und Baden mit Schweden bestanden, was sowohl hier wie dort bisher kaum bekannt war. Das schwedische Engagement im Dreißigjährigen Krieg hatte hierzulande eben auch eine Vorgeschichte, zu der z. B. gehört, dass König Gustav Adolf schon 1620, also zehn Jahre vor seinem Kriegseintritt, hier am Oberrhein inkognito unterwegs war. Genauso wenig aufgearbeitet war bisher das historische Erinnern an die Kriegsbeteiligung Schwedens, das konfessionell verschieden ausfiel, beispielsweise Dankprozessionen für die seinerzeitige Bewahrung vor den Schweden hier und Gustav-Adolf-Kult da, worüber man sich in diesem Band auch gut informieren kann.
Welche Forschungsergebnisse des Bandes sind besonders bemerkenswert?
Prof. Dr. Volker Rödel:Es mag befremdlich klingen, aber das an erster Stelle zu nennende Ergebnis der Tagung ist, dass viele noch weitergehende Forschungsfragen als die hier behandelten nun präziser gestellt und künftig besser beantwortet werden können. Das gilt besonders für die bisher kaum beachtete intensive Fortdauer der schwedischen Kriegsbeteiligung nach dem frühen Tod Gustav Adolfs. Dabei zeichnete sich trotz der schwedischen Präsenz im Elsass zunehmend der Rhein als Grenze zwischen den politischen Einflusssphären Schwedens und Frankreichs ab, wie sich überhaupt im südwestdeutschen Raum die spanisch-österreichischen mit den französischen Interessen überschnitten haben. Wir wissen nun auch mehr darüber, auf welche Weise der Dreißigjährige Krieg sein Wesen von einem Religionskrieg im Reich zu einem internationalen Konflikt wandelte, aber auch darüber, welche Rolle die persönliche Frömmigkeit der Protagonisten beider Seiten spielte, wobei sich die Konfessionsunterschiede mehr und mehr verwischten. Auch die Frage nach der Anwendung von Recht im Krieg ist nun prägnanter zu formulieren und zu beantworten.
Aus welchen Gründen engagierte sich das schwedische Herrscherhaus Vasa während des Dreißigjährigen Krieges im deutschen Südwesten?
Prof. Dr. Ralph Tuchtenhagen: Es gab hierfür ein ganzes Bündel von Gründen. Sie waren teils dynastischer, teils konfessioneller, teils militärisch-strategischer und -logistischer, teils symbolpolitischer Art:
dynastischer Art, weil das Haus Vasa mit einer Reihe deutscher Fürsten im deutschen Südwesten über Heiratsverbindungen verwandt war, darunter besonders mit den Häusern Pfalz und Baden. Das schwedische Engagement stellte also eine Art Verwandtschaftshilfe (Wiederherstellung von Recht und Reputation, Restitution von Territorien) dar, die in den offiziellen Begründungen für den Kriegseintritt in einigen Fällen auch explizit genannt wurde;
konfessioneller Art, weil die Vasas und damit gemäß der schwedischen Grundgesetze („Regierungsform“) auch die gesamte Bevölkerung des Schwedischen Reiches evangelisch waren und Schweden seine „Religionsverwandten“ im Südwesten vor einer Rekatholisierung bewahren wollte – auch dies ein expliziter Grund in den Kriegserklärungen. Dabei ging es insbesondere um die Unterstützung der Kurpfalz, Baden-Durlachs, des Herzogtums Württemberg und einer Reihe protestantischer Reichsstädte, allen voran Straßburg, Heilbronn, Ulm und Augsburg, aber auch einiger Städte der elsässischen Dekapolis, am Bodensee und im Allgäu;
militärisch-strategischer bzw. -logistischer Art, weil 1. die Besetzung des deutschen Südwestens einen Teil der sogenannten „Spanischen Straße“, d. h. der Verbindung der habsburgischen Besitzungen in Oberitalien und in den habsburgischen Vorlanden am Oberrhein mit den spanischen (habsburgischen) Niederlanden und damit die katholischen Truppenverlegungen in diesem Raum blockierte, 2. der Südwesten als Versorgungs- und Aufmarschgebiet für den schwedischen Vorstoß gegen das Herzogtum/Kurfürstentum Bayern und die habsburgischen Kernlande in Tirol, Österreich, Böhmen und Mähren genutzt werden konnte und 3. die Nähe zu den wichtigen schwedischen Bündnispartnern Hessen(-Kassel) und Frankreich effektiver aufrecht erhalten werden konnte;
symbolpolitischer Art, weil insbesondere die Rückeroberung der inzwischen katholisch besetzten Kurpfalz und Böhmens, der Hauptbrennpunkte des Krieges zu Kriegsbeginn, den Akt der „Restitution“ und damit Schwedens Legitimation als Vertreter des „gerechten Krieges“ unterstreichen konnte.
Welche zentralen Auswirkungen hatte der Eintritt ins Kriegsgeschehen in Schweden?
Prof. Dr. Ralph Tuchtenhagen: Die Auswirkungen lassen sich nach traditionellen und unmittelbaren Wirkungen unterscheiden.
Traditionell ging es bei den schwedischen Kriegsengagements um das Prestige und damit die internationale Anerkennung der relativ jungen Vasa-Dynastie durch die europäischen Mächte. Durch einen erfolgreichen Krieg stieg die Dynastie in der Rangordnung der europäischen Herrscherhäuser auf. Gleichzeitig legitimierten sich die Vasas als herrschende Dynastie gegenüber rivalisierenden schwedischen Fürstenhäusern innerhalb des Schwedischen Reiches. Mit diesem innenpolitischen Grund hatte auch eine andere Wirkung zu tun: Der schwedische Adel war im Krieg außerhalb seines eigenen Landes beschäftigt und konnte für seine Kriegsdienste mit eroberten fremden Territorien (Donationen), Titeln und Würden belohnt werden. Konflikte innerhalb Schwedens wurden dadurch vermindert. Durch den Charakter eines Religionskrieges kam der „Teutsche Krieg“ außerdem der Lutherischen Kirche in Schweden zu Gute, indem sie ihre beherrschende Stellung innerhalb Schwedens gegenüber Ansprüchen etwa der katholischen Vasa in Polen-Litauen festigen konnte. Wirtschaftlich entlastete der Krieg, der natürlich auch eine Menge Geld kostete, durch Eroberungen, Plünderungen und die Ausbeutung der Wirtschaftskraft vor allem der finanziell potenten großen Handelsstädte die schwedische Staatskasse. Kontributionen und Subsidien der schwedischen Bündnispartner im Heiligen Römischen Reich und darüber hinaus (v. a. Frankreich) taten ein Übriges.
Zu den unmittelbaren Wirkungen zählen die Bereicherung von Adel, Kirche, Städten und Industrie durch Beutegut und verstärkte Kommunikation. Gleichzeitig bedeutete der Kriegseintritt einen enormen Aderlass für die Bauern, die in der Folge rasch verarmten, weil die Arbeitskräfte auf dem Land fehlten und die Kriegssteuern schwer auf der bäuerlichen Bevölkerung lasteten. Der Kriegseintritt brachte aber auch eine beschleunigte Europäisierung von Politik und Kultur in Schweden mit sich. Die internationalen politischen Beziehungen Schwedens erweiterten sich bedeutend, europäische kulturelle Entwicklungen und europäisches Statusverhalten (v. a. beim adligen und bürgerlichen Habitus) hielten auch in Schweden Einzug. Mit der Bündnispolitik im Heiligen Römischen Reich sicherte sich die schwedische Krone den Status als römisch-deutscher Reichsstand. Der Eintritt Schwedens in den Dreißigjährigen Krieg bedeutete auf längere Sicht seine Etablierung als europäische Großmacht und sicherte seine dominierende Stellung im Ostseeraum gegenüber Dänemark und Polen ab. Die aus den militärischen Eroberungen und aus der erweiterten Städte- und Handelspolitik gewonnenen Ressourcen ermöglichten außerdem – zumindest für kurze Zeit – die Etablierung Schwedens als europäische Kolonialmacht in Amerika.
Das Interview führte Isabelle Löffler von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg.