Inflation – ein schleichendes Gift

Vor genau 100 Jahren, im Verlauf des Jahres 1924, gelang es der deutschen Reichsregierung, durch eine neue Währung den Geldwert wieder zu stabilisieren. Im November 1923 wurde die Rentenmark ausgegeben, im Oktober 1924 die Reichsmark.
Aber die Hyperinflation des Jahres 1923 hatte schreckliche Folgen. Sparer hatten ihr gesamtes Vermögen verloren. Dies traf vor allem den oberen Mittelstand. Die Einkommen wurden drastisch reduziert, die Arbeitszeit von 48 auf 54 Stunden heraufgesetzt. Aktionäre hatten 80% ihres investierten Kapitals verloren. Die Kreditvergabe an Unternehmen wurde durch Kontingente stark eingeschränkt. Viele Firmen mussten aufgeben. Der Wohlstand des Deutschen Reiches fiel auf das Niveau der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurück.

Klaus Wilhelm Hornberg war viele Jahre in der Vermögensverwaltung führender Banken (Commerzbank, Sal. Oppenheim, J. P. Morgan) tätig und ist gleichzeitig Historiker. Er hat den Anstieg der Inflation bis auf 8,8% im Jahr 2022 verfolgt und sieht ihn auch als eine Ursache für die Stimmenzuwächse extremer Parteien. Er hat sich deshalb intensiv mit der Zeit von 1914 bis 1924 beschäftigt und ein spannendes Buch geschrieben, in dem er auf Gefahren hinweist und zur Wachsamkeit aufruft.

Herr Hornberg, nach der Inflation von 1923 hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Erhöhung der Geldmenge durch die Verschuldung des Staates eine wesentliche Ursache der Inflation war. Die Kosten des Krieges, die Belastungen durch Kriegsfolgen und Reparationen, alles wurde auf Kredit finanziert, und der Staat druckte ständig neues Geld. Heute ist unser Schuldenstand mit aktuell 2,3 Billionen auch beträchtlich, aber mit den Zahlen von vor 100 Jahren nicht zu vergleichen. Wo sehen Sie Risiken?

In den letzten Jahren haben sich viele Probleme dramatisch zugespitzt. Es herrscht wieder Krieg. Der Klimawandel beschleunigt sich, die Migration nimmt zu. Wir müssen immer mehr Geld ausgeben für Verteidigung, die Energiewende und soziale Hilfen. Außerdem kämpft Deutschland mit einer Rezession, die strukturelle, nicht nur konjunkturelle Ursachen hat. Der Staat wird versuchen, durch Eingriffe in die Wirtschaft gegenzusteuern. Außerdem verursachen Einkommensverluste eine hohe Unzufriedenheit in der Bevölkerung. In der Weimarer Republik gab der Staat viel Geld aus, um Arbeitsplätze und Löhne zu sichern, den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten. Es gibt Parallelen, glücklicherweise auch deutliche Unterschiede. Das Wissen über inflationäre Prozesse ist heute ungleich größer als vor 100 Jahren. Und die Gesellschaft reagiert – besonders in Deutschland – sensibel auf Preissteigerungen. Trotzdem: Inflation ist ein süßes Gift. Es gilt, wachsam zu sein!

200 Marks
Foto: Jerry „Woody“ from Edmonton, Canada.

Die junge Weimarer Republik hatte damals sehr viele Gegner. Rechtsextreme ermordeten im August 1921 den Finanzminister Matthias Erzberger. Im Juni 1922 wurde der Außenminister Walter Rathenau von der gleichen Organisation erschossen. Hintergrund war – unter anderem – der erbitterte Streit um die deutschen Reparationen. Heute wird das politische System von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Aber viele Menschen stehen dem Staat und seinen Institutionen heute wieder kritisch, ja ablehnend gegenüber. Sie sehen das als ein alarmierendes Warnzeichen.

Ja, das ist sehr beunruhigend. Das sinkende Vertrauen der Menschen in den Staat und seine Ordnungskraft hat eine zentrale Rolle in der Inflation von 1923 gespielt. Wenn die Produzenten und Händler oder auch die Verbraucher an der Handlungsfähigkeit des Staates und der Geldwertstabilität zweifeln, kann sich ganz schnell eine Dynamik entwickeln, die die Inflation befeuert.

Eine zentrale Ursache der verhängnisvollen Entwicklung in der Weimarer Republik war auch die damalige Abhängigkeit der Notenbank von der Regierung. Ihre Eigenständigkeit erscheint uns heute selbstverständlich. Aber Donald Trump hat angekündigt, dass er als Präsident – sollte er wiedergewählt werden – künftig an den Entscheidungen der Notenbank Fed beteiligt werden will.

Ja, manche Faktoren, die vor hundert Jahren in Deutschland zur Hyperinflation geführt haben – Kriegsfinanzierung, politischer Extremismus, hohe Staatsverschuldung – stellen heute wieder eine Gefahr für die Geldwertstabilität dar. In den USA betrug der Schuldenstand im letzten Jahr 122% des Bruttosozialprodukts. Wenn es zur Inflation kommt, müssen letztlich die Bürger die gesamte Zeche bezahlen, nicht der Staat. Mit der Währungsreform 1923 löste sich die Staatsverschuldung des Deutschen Reiches in Nichts auf, die Ersparnisse der Bürger aber auch! Deshalb ist es wichtig, die Entwicklung im Auge zu behalten und der Regierung deutlich zu machen, dass man eine „kalte Enteignung“ durch steigende Inflation nicht akzeptieren wird.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Klaus-Wilhelm Hornberg führte Karin Burger aus dem Lektorat Geschichte/Politik/Gesellschaft.

Bildnachweis: commons.wikimedia.org/wiki/File:GERMANY,_1923_-200_MARKS,_RAPID_INFLATION_PERIOD_a_-_Flickr_-_woody1778a.jpg
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Klaus-Wilhelm Hornberg
Inflation
Ein deutsches Trauma

2024. 206 Seiten mit 14 Abb. und 4 Tab. Kart.
€ 26,–
ISBN 978-3-17-044957-2

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