Ludwig Uhland
Dichter – Germanist – Jurist – Politiker
Ende des 19. Jahrhunderts gab es kaum eine deutschsprachige Stadt ohne eine Uhlandstraße. Als Dichter hatte Uhland seinen Platz neben Goethe und Schiller. Als Wissenschaftler gehört er neben den Brüdern Grimm zu den Begründern der wissenschaftlichen Germanistik. Daneben war er lange Jahre württembergischer Landtagsabgeordneter und 1848 schließlich Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung. Die Tübinger Studenten haben den Hochschullehrer und streitbaren Demokraten mehrfach mit Fackelzügen geehrt. Doch heute ist Uhland fast vergessen – warum?
Herr Peters, Sie haben eine große Lücke gefüllt und eine spannende Biografie über Ludwig Uhland geschrieben, der ja auf ganz verschiedenen Gebieten Großes geleistet hat. Sie richten sich mit ihrem gut verständlichen Stil explizit auch an ein Publikum außerhalb der Wissenschaft. Was hat Sie an Uhland fasziniert?
Wir sprechen bei Ludwig Uhland ganz allgemein immerhin vom nach Goethe meistgelesenen deutschen Autor des 19. Jahrhunderts, der einige der schönsten Balladen und Gedichte deutscher Sprache verfasst hat. Wer Texte wie „Frühlingsglaube“, „Schäfers Sonntagslied“, „Des Sängers Fluch“ oder „Schwäbische Kunde“ aufmerksam liest, kann sich der gedanklichen und emotionalen Tiefe wohl kaum entziehen. Meine Faszination rührt daher, dass man in Uhland, zunächst aus literarhistorischer Sicht, einen Dichter des 19. Jahrhunderts findet, der Größtes geleistet hat, aber in der heutigen Wahrnehmung hinter vielen anderen zurückbleibt. Uhland hat es verdient, dass ihm mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird. Dem habe ich mich angenommen, da ich in so gut wie allen Bereichen ein Freund der Nische bin und die sogenannten hidden champions, um einen Begriff aus der Wirtschaft anzuführen, gerne ins rechte Licht rücken möchte.

Sie zeigen, wie bedeutend auch die wissenschaftlichen Beiträge sind, die er hinterlassen hat. Daneben betonen Sie, dass Uhland als Jurist und Politiker eine wichtige Rolle gespielt hat. Könnte es sein, dass Uhlands Bedeutung auch deshalb oft unterschätzt wurde, weil jeweils nur eins seiner Arbeitsgebiete näher betrachtet wurde? Wurde der romantische Dichter als rückwärtsgewandt, vielleicht sogar als reaktionär eingeschätzt, weil seine zutiefst demokratische Grundhaltung nicht bekannt war?
Nach meinem Eindruck ist die politische Rolle Uhlands heute noch weniger bekannt als seine literarische. Dass die Romantik im Kern eine tendenziell konservative Strömung war, die sich zumindest teilweise nach der guten, alten Zeit mit ihren Ritterburgen und einem zutiefst christlichen Fundament der Gesellschaft zurücksehnte und bestimmten Entwicklungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts kritisch gegenüberstand, ist bekannt, auch wenn die landläufige Meinung, wir hätten es bei der Romantikern mit einem Haufen illiberaler Reaktionäre zu tun, überholt ist. Wir lesen ja auch Brentano, Eichendorff, Novalis und Co. ohne Angst vor reaktionären Invektiven und Propagandismen. Aber ich sehe diese Fehleinschätzung bei Uhland nicht, sondern heute einfach eine Indifferenz der Person, dem Werk und der Wirkung gegenüber. Man muss Uhland kennen, um ihn bewerten zu können. Und dann kommt seine zutiefst demokratische Grundhaltung, wie Sie richtigerweise sagen, auch schnell zum Vorschein.
Viele Gedichte wurden vertont und gehörten in den Gesangvereinen zum Repertoire. Er schrieb auch politische Gedichte. Er wurde in allen sozialen Schichten verehrt. Wie präsent ist Uhland heute noch?
Um ehrlich zu sein: Ich bin selbst unter Germanistik-Studierenden und sehr Literaturinteressierten erschrocken, wie wenig bekannt der Name überhaupt noch ist. Wenn man über Uhland spricht, blickt man häufig in ratlose Gesichter. Vielleicht ist die Zeit der Lyrik auch vorbei oder Uhlands Gedichte werden in der Schule nicht mehr auswendig gelernt, sodass der Bezug verlorengegangen ist. Es ist aus meiner Sicht jedenfalls erstaunlich, welches Nischendasein Uhland heute fristet, nachdem er im 19. Jahrhundert behandelt worden ist wie ein Popstar, zu dessen 75. Geburtstag zum Beispiel Uhland-Linden und Uhland-Eichen gepflanzt wurden und dessen Lyrik von Komponisten wie Johannes Brahms, Franz Schubert, Robert Schumann, Richard Strauss und Felix Mendelssohn Bartholdy vertont worden ist. Das Lied Der gute Kamerad begleitet immer noch staatliches Gedenken bei Begräbnissen von Bundeswehr-Soldatinnen und Soldaten und die Erinnerung an die Toten lang vergangener Kriege. Den Text hat Uhland 1809 verfasst und damit das Grauen der napoleonischen Kriege in knappen Versen zusammengefasst – nur kennt den Text kaum noch jemand oder bringt ihn mit Uhland zusammen, obwohl die Auseinandersetzung damit wichtig wäre. Denn leider ist das Grauen des Krieges heute auch in Europa präsenter als jemals zuvor in den Generationen, die das Privileg hatten, nach dem Zweiten Weltkrieg geboren zu sein.
Uhland hat sich mit der altdeutschen Poesie im Mittelalter, dem Nibelungenlied und Wolfram von Eschenbach beschäftigt. Sie schreiben, dass Literatur und Geschichte bei Uhland nicht zu trennen sind, „sodass sich aus der Literatur Einsichten in die Nationalgeschichte ergeben, aber zugleich auch historische Ereignisse und Erkenntnisse mit der Literatur verknüpft sind“. Wie ist das zu verstehen?
Die Mediävistik als die Wissenschaft des europäischen Mittelalters befasst sich eingehend mit der Literatur dieser Zeit. Im frühen 19. Jahrhundert war die Germanistik deutlich von der Romantik und der Wiederentdeckung der mittelalterlichen Dichtung geprägt, deutsche Philologie hieß damals nicht, sich mit zeitgenössischer Literatur wissenschaftlich zu befassen, sondern vor allem den Nachweis einer spezifisch „deutschen“ Kulturtradition über die Erforschung mittelalterlicher Werke zu erbringen. Daraus meinte man, einen Beitrag zur deutschen Nationalgeschichte zu leisten, weil man aus der Literatur so etwas wie einen „deutschen Geist“ zu ziehen meinte. Darauf bezieht sich die von Ihnen angesprochene Beobachtung: Geschichte wird bei Uhland „Objekt seiner philologisch-literarhistorischen Studien“, und das Mittelalter bietet ihm „als Archiv von Vergangenem Bilder und Ereignisse, die sich der Gegenwart zur Unterhaltung, aber auch Belehrung erzählen ließen“, wie Gerhard Schulz in seiner Geschichte der deutschen Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration schreibt.
Uhland hatte seine Wurzeln im liberalen Württemberg. Er war an der Ausarbeitung der württembergischen Verfassung von 1819 beteiligt, der einzigen Landesverfassung jener Zeit, die auf gegenseitigem Vertrag eines Parlaments mit einem Monarchen gegründet war. Sie schreiben, Uhland war „zuallererst Schwabe, dann Dichter und dann Romantiker“. Was meinen Sie damit?
Ludwig Uhland hat sich zeitlebens als Schwabe verstanden und viel Energie und Zeit investiert, damit es seiner Heimat gut geht und diese sich politisch in die Zukunft entwickeln kann. Das Schwäbische ist bei ihm nicht mundartlich gedacht, sondern patriotischer Heimatstolz und Verbindung mit der Verpflichtung, der Heimat etwas zurückzugeben. Als Dichter tritt er auch für diesen Ansatz ein, etwa durch seine Gedichte, mit denen er den Kampf für die Einführung der württembergischen Verfassung in einer bestimmten Form begleitete. Das Romantische als Epochenzuschreibung kommt in der Reihung zuletzt, weil sich Uhland nicht als typischer Romantiker gerierte, der am liebsten außerhalb der Gesellschaft stünde und seinen Kampf gegen die bürgerlichen Philister feiert. Uhland mochte sein Haus mit Obstgarten und seine gesicherte Existenz, er war kein romantischer Eichendorff’scher „Taugenichts“ und wollte auch keiner sein. Die Liebe zur schwäbischen Heimat steht immer an erster Stelle, das gilt auch für die übrigen Mitglieder der sogenannten Schwäbischen Dichterschule beziehungsweise Schwäbischen Romantik.
Uhland hat 1848/1849 in der Frankfurter Nationalversammlung eine wichtige Rolle gespielt. Als Jurist hat er den Entwurf der Paulskirchenverfassung mit ausgearbeitet. Aber Württemberg war der einzige größere deutsche Staat, der sie akzeptierte. Die anderen zogen ihre Abgeordneten ab, die Deutsche Revolution von 1848/1849 war gescheitert. Die 154 verbliebenen Vertreter zogen nach Stuttgart. Als auch die württembergische Regierung ein Versammlungsverbot aussprach, entschlossen sie sich zu einer Demonstration, an der Spitze: Ludwig Uhland. Sie wurden von Soldaten auseinandergetrieben. Uhland war deprimiert, oft wurde er als „politisch gescheitert“ bezeichnet … Ist das gerechtfertigt?
Dem kann ich nicht zustimmen. Bertolt Brecht wird der Satz zugeschrieben: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Das sehe ich auch bei Uhland. Er hat sich für eine große Sache eingesetzt, nämlich die Einführung der Demokratie in Deutschland. Das hat nicht funktioniert, weil die deutsche Revolution von 1848/1849 generell niedergeschlagen wurde. Wenn man nun sagte, Uhland sei „politisch gescheitert“, klingt das, als sei er persönlich unterlegen. Der Versuch, einen demokratisch verfassten, einheitlichen deutschen Nationalstaat zu schaffen, ist in diesem ersten Schritt gescheitert. Uhland kommt vielmehr das Verdienst zu, sich dafür mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln engagiert zu haben, bis hin zum offenen Entgegentreten gegen die Soldaten in Stuttgart am 18. Juni 1849. Diese Erinnerung an Uhland muss bleiben, da ihm sein politisches Engagement nicht hoch genug anzurechnen ist!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Patrick Peters führte Karin Burger aus dem Lektorat Geschichte/Politik/Gesellschaft.
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Patrick Peters
Ludwig Uhland
Ein Leben zwischen Poesie und Politik
2024. 206 Seiten. Kart.
€ 25,–
ISBN 978-3-17-044522-2
Persönlichkeiten aus dem Südwesten