Metal, in steirisches Kürbiskernöl getaucht

Im Heavy Metal wird seit jeher der Mythos gepflegt, die gesamte Szene bewege sich außerhalb aller gesell­schaft­licher und kultureller Normen. Paradig­matisch wird dieses Ideal in dem Klassiker „Breaking the Law“ von Judas Priest zum Ausdruck gebracht. Obwohl sich diese Vorstel­lung als wichtiger Teil des Identitäts­fundaments der Metal-Szene etablierte, gibt es bis heute keine Forschungen, die nach dem Zusammen­hang von Rechts­bezug, Szene-Ethos und Sound im Heavy Metal fragen.
Der Kultur­historiker Peter Pichler zeigt, wie die lokale Metal-Szene in Graz und der Steiermark in den letzten 40 Jahren durch diese Aspekte geprägt wurde. Er weist nach, dass man die Entstehung der individuellen „Klang­lichkeit“ des steirischen Metals durch das kulturelle Zusammen­spiel von Recht, Moral und Sound erklären kann.

Lieber Herr Pichler, Sie sind Historiker und haben u.a. Bücher zur Europäischen Union und zu Theorien der Kultur­geschichte publiziert. Wie kamen Sie dazu, Metal zu erforschen?

Ich bin als Metal-Fan mit der steirischen und inter­nationalen Szene auf­gewachsen. Im Zuge meiner Forschung zu Euro­päisierungs­prozessen seit den 1970er-Jahren bin ich dann auf das spannende Faktum gestoßen, dass die Subkultur Metal paneuro­päisch ist, wenn auch mit lokalen Differen­zierungen. Das Tragen von Band-T-Shirts und das Zeigen der „Metal-Horns“ funktio­nieren zum Beispiel in Graz und Wien auf dieselbe Weise wie in London, Warschau, Berlin oder Budapest. Und das oft schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs um 1989/90. Wir haben es mit einem Alltags­prozess der Euro­päisierung zu tun, dem ich auf den Grund gehen wollte. Deswegen habe ich mir die steirische Szene als Bei­spiel vorgeknöpft.

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Feiern in der Metal-Diskothek „Hard Rock Ost“ in Strallegg/Steiermark in den 1980er-Jahren;
Styrian Metal History/Facebook

Mit welchen Quellen arbeiten Sie, wenn Sie die Geschichte des Metal untersuchen?

Mir ist wichtig, Metal mit den Instrumentarien der Geschichts­wissenschaft als Popkulturgeschichte zu erzählen. Als Kultur­historiker finde ich es faszinierend, dass eine Musikform Fans oft lebens­lang, ja existenziell und identitätsstiftend an sich binden kann. Die steirischen Fans investieren liebend gerne viel Geld, Mühe und Zeit in das Kaufen von Platten, Besuchen von Konzerten oder Lesen von Webzines und Magazinen. Man hat also Oral-History-Interviews, aber auch Szene-Materialien wie Konzert­flyer, T-Shirts und CD-Covers als Quellen zur Verfügung. Diese Materialien kann man danach befragen, wie sie die Identi­tät der Szene trans­portieren. Und so werden etwa die oft expliziten Cover­bilder im Extreme Metal zu Quellen, die uns erzählen, wie sich die Szene selbst versteht und wie sie sich entwickelte.

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The Darkside of Humanity (1996), © Skull Crusher

Bislang war die Steier­mark eher weniger für ihre Metal­szene bekannt. Was ist das Besondere an dieser Szene und inwie­weit ist sie paradig­matisch für den Metal seit den 1980er-Jahren allgemein?

Diese Szene ist – wie wahr­scheinlich alle Metal-Szenen weltweit – zugleich lokal und global gefärbt. Einer­seits gelten in dieser Szene alle weltweit gültigen ‚Gesetze‘ des Metal: die Rituale wie die „Metal-Horns“, das Tragen von Kutten und Shirts, das Verhalten im Moshpit usw. Anderer­seits aber – und das hat mich besonders interessiert – hat sich diese Musikform in Graz und der Steiermark intensiv mit der lokalen Alltags­kultur verbunden. Man verwendet den steirischen Dialekt; man hat das steirische Wappen des feuer­speienden Panthers vereinnahmt und zur Werbung für ein Festival in Graz genutzt. Dieses Zusammen­kommen von Lokalem und Globalem macht das Beson­dere und zugleich das Paradig­matische dieser Szene aus. Ein bisschen überspitzt ausgedrückt: Steirischer Metal ist globaler Mainstream-Metal, der kräftig in steirisches Kürbis­kernöl getaucht wurde.

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T-Shirt zum „Metal on the Hill“-Festival 2021 in Graz mit gehörntem steirischen Panther; © 2021 Napalm Records

Inwieweit spiegelt die Metal-Szene gesamt­gesellschaftliche Diskurse wider?

Eine ‚Regel‘ der Metal-Geschichte ist, dass sich alle großen sozio­kulturellen Entwick­lungen seit den 1970er-Jahren in der Szene wider­spiegeln. Man kann sogar behaupten, dass gerade die kleine und über­schau­bare steirische Szene dazu taugt, gesell­schaftliche Entwick­lungen wie im Brenn­glas zu studieren.
Wie geht etwa eine solche Szene, die zuerst in den 1980er-Jahren größten­teils aus männ­lichen Jugend­lichen und jungen Männern bestand, damit um, dass heute weibliche Fans zunehmend Führungs­rollen in der Szene verlan­gen und auch einnehmen? Wie werden die Krisen unserer Zeit – Pandemie, Ukraine­krieg und Klima­wandel – in Liedtexten thema­tisiert und verarbeitet? Die Mechanismen, die dabei entstehen und funktionieren (oder auch nicht), spiegeln direkt die Welt­geschichte wider, gebrochen durch das Prisma des Metal-Sounds. Wenn man sich darauf einlässt, kann man gerade durch den Metal viel über die Welt lernen.

Im Song „Breaking the law“ von Judas Priest geht es um das Gefühl, gesell­schaft­lich keine Perspektive zu haben und deswegen zum Gesetzes­brecher zu werden. Wie viel hat dieser Song von 1980 noch mit dem Selbst­verständnis der heutigen Metal-Szene zu tun? Wie hat sich die Szene verändert?

Der rebellische Gestus, der in dem Lied steckt, stellt heute den tradierten Kern­stock des Metal-Ethos dar. Fans weltweit kennen den Song, seinen Ohrwurm-Chorus und können ihn mitsingen. Wörtlich zu nehmen war der Text vom Gesetzes­bruch schon 1980 nicht; er war ein Aufruf, sich kritisch mit den Schief­lagen der Welt aus­einander­zusetzen. Bei Judas Priest war das 1980 der Sozial­abbau in Groß­britannien unter Margaret Thatcher. Heute kann man „Breaking the Law“ als Sound­track zum Hinter­fragen aller derzei­tigen sozialen Unsicher­heiten begreifen. Ich würde ihn als Auf­forde­rung deuten, aktiv gegen demokratie­zerstörende, rechts­extreme und polarisie­rende Ten­denzen unserer Welt anzugehen.

War der wild aussehende Metalhead mit langer Mähne und Jeanskutte denn jemals überhaupt ein „Outlaw“?

Der Metal-Fan mit seiner langen Mähne war schon immer ein Rebell und „Outlaw“. Wenn man etwa in den frühen 1980er-Jahren in einer noch teils miefig konservativ-katholischen Steier­mark lange Haare und Band-T-Shirts mit Toten­köpfen trug, war das ein bisschen „Breaking the Law“ im Alltag. Man brach die Regeln der Umwelt und hatte auch seinen Spaß daran. Heute sind die Regeln des Sagbaren weit­gehend ausgetestet – aber der Metal-Outlaw, der durchaus kritisch über sich und seine Welt nach­denkt, ist im Kern noch derselbe. Zumindest habe ich großen Spaß und Freude daran, Metal so zu erleben und zu hören.

Vielen Dank für das Interview!


Dr. Peter Pichler ist Kulturhistoriker in Graz. Er lehrt und forscht zur Kultur­geschichte von Heavy Metal, zu kulturellen Aspekten der euro­päischen Inte­gration und der Theorie der Kulturgeschichte.
Das Interview führte Dr. Johanna E. Blume aus dem Lektorat Geschichte/Politik/Gesellschaft.

Peter Pichler
Breaking the Law?
Recht, Moral und Klang in der steirischen Heavy-Metal-Szene seit 1980

2024. 278 Seiten mit 23 Abb. und 2 Tab. Kart.
€ 48,–
ISBN 978-3-17-043465-3

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